Comeback des Einkaufsnetzes in Tschechien

Photo: Česká síťovka

Die Tschechen waren bereits nachhaltig, bevor dies überhaupt cool war. Zumindest trifft das beim Einkaufen zu, denn hierzulande benutzt man schon seit jeher die sogenannte Síťovka, also das Einkaufsnetz. In den 1990er Jahren geriet diese praktische Tasche allerdings etwas in Vergessenheit. Seit einiger Zeit produziert eine kleine Firma aus Prag die Oma-Einkaufsbeutel wieder.

Foto: Magdalena Hrozínková

Karolína Pechová  (Foto: Magdalena Hrozínková)
Hinter dem kleinen Betrieb Česká Síťovka steht Karolína Pechová. Seit acht Jahren stellt sie die Retro-Netztaschen her. Der Grund ist ihre Abneigung gegen den Plastikbeutel-Wahnsinn hierzulande:

„Die Idee kam von meiner Oma, die mich immer mit einer Plastiktüte zum Einkaufen geschickt hat. Das war in den 1990er Jahren, als diese sich langsam massenweise durchgesetzt haben. Ich konnte das aber nicht ausstehen und habe meine Großmutter gefragt, ob sie denn nicht eine andere Tasche hätte. Ich musste ja sonst die ganze Zeit mit der Plastiktasche unterwegs sein, die meine Oma auch noch immer sorgfältig zusammengefaltet hatte. Sie legte dann eine Síťovka auf den Tisch und sagte zu mir: ‚Wir hatten damals diese Einkaufsnetze. Ich hatte mir selbst eins hergestellt, dieses habe ich aber von einem Verehrer aus Bulgarien bekommen.‘ Ich fand das super und habe gleich Marktforschung betrieben. Es gab ja schon einige Versuche, die Síťovka wieder in die Läden zu bringen. Aber so ist dann meine eigene Geschäftsidee entstanden.“

Tatsächlich gibt es die sogenannte Síťovka bereits seit fast 100 Jahren. Entstanden ist sie damals durch Not und einen Zufall:

Vavřín Krčil  (Foto: Archiv des Regionalmuseums in Žďár nad Sázavou)
„Die erste Síťovka hat im Jahr 1926 das Licht der Welt erblickt. Ein gewisser Vavřín Krčil hatte damals eine Haarnetz-Manufaktur in Žďar nad Sázavou. Auch wenn sein Betrieb recht klein war, lieferte er seine Produkte in die ganze Welt. Doch irgendwann waren dann bei den Damen eher kurze Haare in, weshalb Krčil nicht mehr wusste, was er herstellen sollte. Eines Abends probierte er mit einem der Netze herum, nähte zwei Henkel dran – und schon war die erste Síťovka geboren.“

Boom trotz schlechtem Marketing

Das größte Problem von Vavřín Krčil war aber nicht der Kampf mit modernen Frisurentrends, sondern dass er eigentlich kein geborener Unternehmer war. So ließ er den Netzbeutel nie patentieren und hat ihn auch nie wirklich unter einem guten Namen vermarktet. Deshalb bekam seine Erfindung im Ausland auch schnell Konkurrenz:

„Nach einigen Jahren war das Konzept sehr erfolgreich, und Vavřín Krčil exportierte seine Taschen beispielsweise nach Deutschland, Frankreich, Kanada oder in die Schweiz. Dort überall fing man aber sehr schnell an, seine Produkte zu kopieren. In der Tschechoslowakei wurde der Betrieb schließlich verstaatlicht, und mit der Produktion in der kleinen Manufaktur war Schluss.“

Einkaufsnetze aus Dederon  (Foto: BK1950,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0)
Eine besondere Beliebtheit erlangte die Maschentasche schließlich in der damaligen DDR – Stichwort: Netzwunder aus Dederon. Auch in Tschechien ist die Síťovka vor allem mit der Zeit des Sozialismus verbunden. Denn gerade da erlebte der praktische Beutel einen regelrechten Boom. Ob die chronisch neidischen Tschechen ihn auch tatsächlich gern hatten, bezweifelt Karolína Pechova jedoch. Immerhin kann man durch die großen Maschen den Einkauf sehen. Das betraf natürlich auch die Mangelwaren, die man unter dem Ladentisch ergattert hatte.

Trendprodukt Oma-Beutel

Karolína Pechova hat ihre Firma Česká Síťovka – also „Tschechisches Einkaufsnetz“ – mit einem ganz bestimmten Anspruch gestartet. Sie will ein als Oma-Beutel verschrienes Produkt trendy machen.

„Das soll auch durch den Namen ‚Česká Síťovka‘ klar werden. Das hört sich nach einer traditionellen Marke an, aber mit einem leicht ökologischen und frischen Unterton. Wir wollen bewusst nicht nur retro sein, auch junge Leute sollen einen Zugang zu unserem Produkt finden.“

Foto: Archiv ‚Česká Síťovka‘
Die Anfänge seien aber sehr schwer gewesen, gibt die Jungunternehmerin zu:

„Wir haben mit einem einzigen Modell angefangen, wobei schnell noch weitere Ausführungen dazugekommen sind. Die ersten vier Jahre waren eigentlich so eine einzige große Testphase.“

Immerhin hat sich Karolína Pechová ein Produkt ausgesucht, das nicht unbedingt schwer herzustellen ist. Die Business-Frau erläutert das Verfahren:

„Wir haben ja so einige Modelle im Angebot, da gibt es auch Unterschiede. Manche werden komplett in Handarbeit hergestellt, die sind dann auch teurer. Die klassischen Varianten werden aber ganz einfach aus zugeschnittenem Netz-Stoff zusammengenäht. In einer Stunde entstehen so zwei bis sechs Stück, ganz so schnell geht es dann doch nicht.“

Derzeit würde man bei Česká Síťovka mit einem speziellen Webstuhl experimentieren, fügt Karolína Pechová noch hinzu.

Foto: Archiv ‚Česká Síťovka‘
Die Produktion sollte von Anfang an aber nicht nur nachhaltig, sondern auch sozial sein. Denn die Netz-Unternehmerin lässt ihre Einkaufstascherl nicht kostengünstig in Bangladesch produzieren. Sie setzt auf ganz besondere Handarbeit aus Tschechien:

„Ich wollte auch etwas für den guten Zweck tun, weshalb ich viel mit Behindertenwerkstätten kooperiere. Das hat mit einer solchen Einrichtung angefangen, wobei mit der Zeit viele weitere dazugekommen sind. Die meisten sind in Mittelböhmen, die Kosten in Prag auch da relativ hoch sind. Derzeit bin ich in Kontakt mit einer Werkstatt in Uherské Hradišťe in Mähren, die auch schon bald unsere Netzbeutel produzieren wird.“

Dazu arbeitet Karolína Pechova noch mit einigen rüstigen Rentnerinnen vor allem in Prag zusammen, die ebenfalls Taschen für Česká Síťovka nähen.

Foto: Archiv ‚Česká Síťovka‘
Mittlerweile stellt das Unternehmen weit mehr her, als nur den klassischen Retro-Netzbeutel. Karolína Pechová hat die Modell-Palette mit der Zeit massiv erweitert, sodass man bei ihr auch Taschen mit Verzierungen oder zusätzlichem Stauraum findet. Aber auch Netz-Rucksäcke, wiederverwendbare Obst- und Gemüsebeutel zum Einkaufen oder aber Bambusstrohhalme findet man im Online-Shop des Unternehmens.

Mehr als nur nachhaltig

Ohne Frage ist die Síťovka unglaublich praktisch. Solange sie leer ist, passt sie in jede Hosentasche. Dahinter verbirgt sich aber ein enormes Volumen, denn man bekommt fast alles rein in das dehnbare Einkaufsnetz. Und auch mit einer Tragkraft von über 20 Kilo steckt der Oma-Beutel jedes Plastiksackerl von der Supermarktkasse locker in die Tasche. Doch ist die Síťovka auch tatsächlich nachhaltig? Auf jeden Fall, findet Karolína Pechová:

„Sie hält einiges aus und überlebt jahrelang. Man kann sie immer wieder verwenden. Außerdem ist sie – ob sie nun aus Naturfasern oder Polyester besteht – auch immer recycelbar.“

Einkaufsnetz | Foto: Česká Síťovka
Doch auch mit der beliebten und vielgepriesenen Stofftasche kann die Síťovka konkurrieren. Und das nicht nur wegen ihrer Dehnbarkeit und dem Fassungsvermögen. Denn auch die Hygiene ist ein entscheidender Vorteil beim Netzbeutel:

„Manch einer sieht vielleicht keinen Vorteil darin, dass man durch die Maschen hindurchsehen kann. Das Einkaufsnetz ist aber sehr luftig. Bei Stofftaschen ist das nicht so. Und wenn die schmutzig werden durch den Kontakt mit Lebensmitteln, ist die Gefahr größer, dass sich da Bakterien und Schimmel verbreiten. Deshalb muss man die klassische Stofftasche auch häufiger waschen.“

Außerdem kann man die Síťovka nicht nur zum Einkaufen nutzen, sie ist nämlich ein richtiges Multitalent. Denn auch als Turnbeutel oder beim Picknick macht sie eine gute Figur.