Zauber der Befestigungsstädte in Tschechien - Stadtmauern in Policka

Wir werden heute eine Stadt besuchen - und doch nicht ihr eigentliches Gebiet betreten. Wir bleiben vor den Stadtmauern bzw. auf den Stadtmauern stehen. Weiter in die Stadt vorzudringen, gelingt uns nicht. Und darum geht es uns auch nicht. Denn unser heutiges Ziel sind die Stadtmauern. Genauer gesagt, die Stadtmauern der ostböhmischen Stadt Policka. Zu dieser neuen Ausgabe von "Reiseland Tschechien" begrüßen Sie Gerald Schubert und Markéta Maurová.

In etwa 100 Städten Tschechiens findet man bis heute sichtbare Reste der Stadtbefestigung. Bei etwa 20 Städten kann man gar von gut erhaltenen Stadtmauern sprechen. Der Originalität und Anziehungskraft dieser städtebaulichen Komponente ist sich Jan Matous, der Leiter des Informationszentrums in Policka, bewusst. Er hat deswegen ein Bündnis solcher Städte angeregt:

"In jeder Stadt hat sich, je nach derer Entwicklung, etwas anderes erhalten. Etwa 20 Städte können von ihren Stadtmauern behaupten, dass sie zu den am besten erhaltenen in der Tschechischen Republik gehören. Ich habe in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres diese Städte kontaktiert und gefragt, ob sie an einer gemeinsamen Präsentation interessiert wären. In diesem Sinne sind neun Städte zusammengekommen. Wir haben ein Faltblatt mit dem Namen 'Stadtmauern - der Zauber der Befestigungsstädte in der Tschechischen Republik' herausgegeben, in dem die wichtigsten Informationen verarbeitet wurden."

Ziel dieser Zusammenarbeit, zu der sich Policka, Beroun, Caslav, Kadan, Lipnik nad Becvou, Litomerice, Nymburk, Prachatice und Tachov zusammengeschlossen haben, ist es, darauf aufmerksam zu machen, dass es dort neben technischen Denkmälern, jüdischen Denkmälern und weiteren Kategorien eine offensichtliche und ziemlich außer Acht gelassene Kategorie der Denkmäler gibt, nämlich die Stadtmauern.

Policka, eine Stadt an der böhmisch-mährischen Grenze wurde von König Premysl Ottokar II. 1265 gegründet. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts wuchs eine Steinmauer mit Zinnenkranz um die Stadt herum. Türme mit einem Hufeisengrundriss sowie Turmtore verfestigten das 1200 Meter lange Oval der Mauer. Die Stadtmauern in Policka gehören heute zu den am besten erhaltenen Befestigungssystemen in der Tschechischen Republik. Jan Matous.

"In Policka gibt es die Hauptstadtmauer mit 19 Türmen. Der Ring rund um den historischen Stadtkern ist fast vollständig erhalten. Eine Besonderheit ist der zugängliche Mauerrundgang, den man mit einem Begleiter besuchen kann. Des Weiteren sind Abschnitte der Ringmauer erhalten geblieben, sowie der Teich, der ebenso ein Bestandteil des Verteidigungssystems war."

Und wie sorgt man für die Renovierung und touristische Belebung der Stadtmauern?

"Im Jahre 2003 wurde in Policka die Renovierung der Ringmauern vollendet. Es wurden dort die Häuschen der armen Stadtbewohner renoviert und es wurden darin eine Pension und ein Restaurant errichtet. In diesem Jahr planen wir, den Mauerrundgang hinter der Vaclavska-Straße zugänglich zu machen. Und es werden Szenarios für Ausstellungen in den Türmen vorbereitet."

Vom Zauber der Befestigungsstädte ist in dem bereits erwähnten Faltblatt die Rede. Worin beruht nach Meinung von Jan Matous diese Anziehungskraft?

"Städte mit Stadtmauern haben durch ihre besondere Atmosphäre eine außerordentliche Attraktivität. Die Stadtmauern sind Denkmäler, die mit den Städten eng verwachsen sind. Die Städte wuchsen in der Geschichte, entwickelten sich, überschritten die Grenze der Stadtmauern, und das ist dort sichtbar. Es gibt verschiedene interessante Ecken, Basteien, Burggräben, ehemalige Wassergräben, Parkanlagen, die direkt hinter den Stadtmauern errichtet wurden usw."

Auf eine weitere Besonderheit verweist Dr. Vladislav Razim vom Nationalen Institut für Denkmalpflege:

"Ich möchte daran erinnern, dass die Stadtmauer ein sehr spezifisches Denkmal ist. Sie verweist eigentlich auf die ersten Wurzeln der Städte. Wir sind uns manchmal dessen nicht bewusst, dass der heutige Urbanismus der Städte, den wir auf Plänen sehen, aber auch unbewusst direkt in der Stadt wahrnehmen, wenn wir durch verschiedene Straßen gehen, von den ursprünglichen Strecken der Stadtbefestigung abhängig ist."

So wie die Stadt wuchs, entwickelte sich auch ihre Befestigung. Über ihre Geschichte spricht Jan Matous:

"Der wichtigste Bestandteil war die Hauptmauer, die sich um die ganze Stadt herumzog, meistens in der Länge von mehr als einem Kilometer. Die neu gegründeten Städte erhielten das Privileg, Stadtmauern zu bauen. Früher wurden sie mit einer Art Holzpalisade geschützt, und seit etwa Mitte des 14. Jahrhunderts begann man Stadtmauern zu bauen. Die Hauptmauer wurde durch Türme befestigt. Während der Entwicklung des Verteidigungssystems rückte die Verteidigungsposition der Stadtmauern vorwärts in der Richtung zum möglichen Feind. Es entstand ein weiterer Mauerring, und der Raum zwischen den Mauern hieß Ringgraben. Des Weiteren wurden vor den Stadttoren so genannte Barbakane gebaut. Es gab dort natürlich Wassergräben, Fallbrücken und Bollwerke. In manchen Städten wurde dieses System durch eine doppelte Stadtmauer verstärkt, einige Städte hatten sogar eine dritte Mauer."

Doch im Laufe der Zeit änderte sich die Kriegsführung und die Stadtmauern verloren allmählich ihre Verteidigungsfunktion. Vladislav Razim:

"Ihr Sinn verschwand bereits im 18. Jahrhundert, als die Städte auf die Nutzung der Stadtmauern verzichteten. Der ursprüngliche Befestigungssinn verschwand. Dann folgte ein Verwachsen. Die Städte erweiterten sich in der Fläche, die Bevölkerung wuchs an und die Stadtmauern wurden zu einem gewissen Hindernis. Es trat ein Widerspruch ein: während die Stadtmauern bis zu jener Zeit begrüßt wurden und aus Sicherheitsgründen notwendig waren, gab es auf einmal starke Bemühungen sie zu beseitigen, was leider oft gelang. Das, was uns heute zur Verfügung steht, sind Bruchteile. Aber gerade jene Symbiose, die im 18. und 19. Jahrhundert herrschte, als in Burggräben Gärten und Obstgärten errichtet wurden, usw., ist heute das Interessante. Wir sind verpflichtet, das endgültige Stadium zu schützen und nicht zu den Vorstellungen zurückzukehren, wie es wohl im Mittelalter ausgesehen haben könnte. Wir müssen sehr sensibel, je nach der Lokalität abwägen, inwieweit das Denkmal zugänglich gemacht werden kann, inwieweit es renoviert werden kann usw."

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