Elle, Haspel, Zentner: Ausstellung über historische Messgeräte in Veltrusy

Foto: Martina Schneibergová

Das Barockschloss Veltrusy liegt etwa 25 Kilometer nördlich von Prag am Rande des gleichnamigen Städtchens. Die Residenz ist von einem großen Park umgeben. Das Schloss haben wir Ihnen in unseren Sendungen bereits vorgestellt. Vorige Woche wurde jedoch eine neue Dauerausstellung im Gebäude des ehemaligen Speichers eröffnet.

Ehemaliger Speicher  (Foto: Martina Schneibergová)
Das Städtchen Veltrusy ist von Prag aus am besten mit dem Bus zu erreichen. Von der Bushaltestelle auf dem Marktplatz kommt man an der Johannes-Täufer-Kirche vorbei zum Haupttor des Schlossparks, dem sogenannten Wappentor. In den Park mündet die Chotkova-Straße, die nach den letzten Besitzern der Residenz benannt wurde. Vom Haupttor führt der Weg bergab, nach einigen Schritten ist in der Ferne schon das Barockschloss zu sehen. Im Ehrenhof des Schlosses im ehemaligen Speicher befindet sich eine neue Dauerausstellung. Sie dokumentiert die Geschichte des Messens und Wiegens. Pavel Ecler ist der Kastellan des Schlosses:



Pavel Ecler  (Foto: Martina Schneibergová)
„Wir wollen den Betrieb auf einem Herrengut wie Veltrusy den Besuchern näher bringen. In vielen anderen Schlössern gibt es Dauerausstellungen darüber, wie dort der Adel gelebt hat. Wir haben nach einem Thema gesucht, das zwar geläufig ist, aber bislang kaum irgendwo bearbeitet wurde. Dabei sind wir auf das Messen und Wiegen gestoßen. Bei den Nachforschungen habe ich festgestellt, dass wir eigentlich ständig etwas messen oder wiegen. Das war auch vor einigen Jahrhunderten nicht anders. Damals gestaltete sich diese Tätigkeit aber viel komplizierter als heute. Denn es gab keine einheitlichen Maßeinheiten. Zudem änderten sich die Maßeinheiten sehr oft. Wir haben es interessant gefunden, darüber eine Dauerausstellung zusammenzustellen. Denn das Messen und Wiegen ist eine Alltagsangelegenheit, deren Geschichte fast in Vergessenheit geraten ist.“



Foto: Martina Schneibergová
Mehr als 90 Prozent der Exponate stammen aus der Privatsammlung von Petr Cikrle. Er lehrt an der Technischen Universität in Brno / Brünn und ist ein passionierter Sammler historischer Messinstrumente und Gewichte. Petr Cikrle hat die Ausstellung auch zusammengestellt. Die zahlreichen Messgeräte werden mit Schautafeln erklärt. Bei der Führung durch die Ausstellung macht Petr Cikrle vor allem auf die Raritäten aufmerksam. So ist das Rathaus im nahe von Veltrusy gelegenen Mělník seinen Worten zufolge einzigartig.

Muster des Längenmaßes Elle in Mělník  (Foto: Petrcoul,  CC0 1.0)
„Neben dem Eingang hängt nicht nur ein Muster des Längenmaßes Elle, sondern sogar zwei. Das kürzere davon soll die ursprünglich böhmische, von König Přemysl Ottokar II. im 13. Jahrhundert eingeführte Maßeinheit sein. Die Böhmische Elle war knapp 60 Zentimeter lang. Auf dem anderen Muster, das 77,7 Zentimeter lang ist, steht die Jahreszahl 1765. Dies hängt mit den Reformen der Kaiserin Maria Theresia zusammen. Sie führte die obligatorische Benutzung niederösterreichischer Maßeinheiten ein.“

Musterstücke der Böhmischen Elle befinden sich an den Rathäusern mehrerer Städte. In Prag hängt es beispielsweise am Neustädter und dem früheren Hradschiner Rathaus. Es gibt aber auch Städte, in denen am Rathaus nur die Österreichische Elle hängt – beispielsweise in České Budějovice / Budweis oder in Hostinné / Arnau. Die Ratsherren in Mělník warteten damals vermutlich ab, welche Maßeinheit sich durchsetzen würde, meint Petr Cikrle. Sie richteten sich zwar nach der Verordnung und stellten am Gebäude die neue Österreichische Elle aus. Zugleich beließen sie aber auch die alte böhmische Maßeinheit.

Betrüger beim Garnverkauf

Petr Cikrle  (Foto: Martina Schneibergová)
In der Dauerausstellung enthält eine der Vitrinen eine ganze Sammlung von Holzinstrumenten. Im Tschechischen heißt das Holzstück „motovidlo“, auf Deutsch ist es eine Haspel. Petr Cikrle:

„Vor allem in jenen Regionen, in denen das Weben verbreitet war, war dieses Instrument ein geläufiges Hilfsmittel zum Auf- und Abwickeln von Garnen. Eine Haspel gab es in jedem Haushalt. Sie diente auch als Maß. In den Böhmischen Ländern war die Haspel eine Elle, also etwa 60 Zentimeter lang. Wenn der Faden um alle vier Ecken aufgewickelt wurde, war er vier Ellen lang. Davon wurden weitere Zählmaße abgeleitet, wie beispielsweise das Stück – auf Tschechisch ‚štuka‘–, das 4800 Fäden umfasste. Höhere Zählmaße waren Mandel – tschechisch ‚mandel‘ – und Schock – tschechisch ‚kopa‘. Eine der ausgestellten Haspeln ist jedoch kürzer als die anderen. Sie misst nur eine Dreiviertel Elle. Diese kürzeren Haspeln wurden für feines Garn wie beispielsweise Seide benutzt.“

Foto: Martina Schneibergová
Unter Maria Theresia wurden die Haspeln, die als Zählmaß genutzt wurden, erstmals geeicht. In der Ausstellung ist ein mit dem Böhmischen Löwen geeichtes Exemplar auch zu sehen. Als Kuriosität gilt die Hälfte des Musters einer Haspel, das vom Rathaus in Moravská Třebová / Mährisch Trübau stammt. Das Fragment ist 30 Zentimeter lang. Eine kürzere Haspel benutzten manchmal diejenigen, die beim Garnverkauf zu schwindeln versuchten. Dafür wurden sie vom Vogt bestraft, sagt Petr Cikrle:

„Wenn jemand mit einer kürzeren Haspel erwischt wurde, brach der Vogt diese Haspel übers Knie. Für den Betrüger war dies eine große Schande. Niemand wollte dann von ihm noch etwas kaufen. Das war die größte Strafe.“

Dezimalwaage als Durchbruch

Dezimalwaage  (Foto: Martina Schneibergová)
Zu den größten Exponaten gehört eine Dezimalwaage. Sie wird in Veltrusy nicht wegen ihrer historischen Exklusivität gezeigt, sondern kommt vor allem beim Begleitprogramm für Kinder zum Einsatz. Petr Cikrle:

„Die Erfindung der Dezimalwaage war von großer Bedeutung. Sie wurde beispielsweise dann in der Landwirtschaft viel genutzt. Es gibt aber auch Bilder, auf denen feine Damen in breiten Röcken fröhlich diese neue Erfindung testen. Benediktinermönch Friedrich Alois Quintenz meldete 1821 die Quintenz-Dezimalwaage in Straßburg zum Patent an.“

Außer der Dezimalwaage sind kleine historische Waagen mit Gewichten zu sehen – von den kleinsten Laborwaagen bis zu den Kaufmannswaagen. Bis zum 18. Jahrhundert wurden Gewichte aus Stein genutzt, später bestanden die Gewichte nur noch aus Gusseisen, erzählt der Experte:

Foto: Martina Schneibergová
„Das größte Gewicht, das ich in meiner Sammlung habe, ist hier nicht zu sehen. Es wiegt 50 Pfund und ist eine große Steinkugel. Besonders interessant ist in diesem Teil der Ausstellung die Münzwaage aus dem Jahr 1858. Zwischen einer üblichen Kaufmannswaage und einer Münzwaage bestand ein sichtbarer Unterschied: Die Gewichte für die Kaufmannswaage hatten eine zylindrische Form, und die präzisen Gewichte für die Münzwaage waren konisch. So konnte man die Gewichte voneinander unterscheiden.“

Neben den Gegenständen aus der Sammlung von Petr Cikrle, die den Großteil der Ausstellung bilden, sind in Veltrusy auch Exponate zu sehen, die aus einigen Museen ausgeliehen wurden. Dazu gehören das Brünner Stadtmuseum und das Nationalmuseum für Landwirtschaft. Einer der wertvollsten Stücke ist der Brünner Zentner aus dem 14. Jahrhundert, sagt der Experte:

Foto: Martina Schneibergová
„Ein Zentner bedeutete 100 Pfund. Dies ist ein Beweis dafür, dass sich das mährische Maßsystem auf das österreichische stützte. Der Zentner ist aus Bronze und hat einen eisernen Griff. Er wurde im Brünner Museum entdeckt, denn er wurde nicht in der Sektion Gewichte und Messinstrumente aufbewahrt, sondern anderswo. Und er trug die provisorische Bezeichnung ‚Bügeleisen‘. Der attraktivste Gegenstand, der zu sehen ist, ist meiner Meinung nach nicht der wertvollste. Der Satz von Gewichtsstücken stammt aus dem 19. Jahrhundert, die kleinsten Gewichte fehlen. Alle Gewichtsstücke sind geeicht. Sie stammen höchstwahrscheinlich entweder vom Brünner Eichamt oder von der früheren städtischen Waage. Wir haben die Gewichtsstücke überprüft. Sie sind sehr präzise für die damalige Zeit.“

Zahlreiche Exponate dokumentieren des Weiteren die Entwicklung der Hohlmaße sowie die Entstehung des metrischen Systems.

Schloss Veltrusy  (Foto: Martina Schneibergová)
Im Februar und März ist die Dauerausstellung über Messen und Wiegen im Schloss Veltrusy nur am Wochenende geöffnet, und zwar von 10.30 bis 16 Uhr. Die Öffnungszeiten in der Hauptsaison werden bald veröffentlicht. Der Schlosspark ist das ganze Jahr hindurch geöffnet. Mehr erfahren Sie unter www.zamek-veltrusy.cz.

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