Burg Týnec nad Sázavou: Nachtfalter umschwirren altes Steingutparadies

Burg Týnec nad Sázavou (Foto: Martina Schneibergová)

Die Stadt war einst durch die Steingutproduktion berühmt geworden. Später war sie als Stadt der JAWA-Motorräder bekannt. In Týnec nad Sázavou ist auch ein Teil der Burganlage erhalten geblieben, die aus dem 11. Jahrhundert stammt.

Burg Týnec nad Sázavou
Etwa neun Kilometer nordwestlich von Benešov / Beneschau entfernt liegt Týnec nad Sázavou. Schon im 11. Jahrhundert entstand am linken Sázava-Ufer eine hölzerne Burganlage der Přemysliden, die die Furt über den Fluss schützen sollte. Ende des 12. Jahrhunderts wurde hier dann eine steinerne Burg erbaut, erzählt Magdalena Timplová, die Kastellanin von Týnec:

„Zuerst wurde in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts an diesem Ort eine romanische Rotunde erbaut. Diese wurde später durch einen gotischen Verteidigungsturm ergänzt. Der Turm verband die Rotunde mit dem Palast. Die gesamte Burg diente zu drei Zwecken: die Rotunde für kirchliche Belange, der Turm spielte eine wichtige Rolle bei der Verteidigung der Burg und im Palast wohnten die Besitzer und Verwalter der Burg.“

Magdalena Timplová
Die Rotunde ist bis heute in einem sehr guten Zustand genauso wie der Turm. Der romanische Palast der Přemysliden wurde abgerissen. Vom ursprünglichen Palast sind nur Fundamente erhalten geblieben An seiner Stelle wurde ein Barockpalast erbaut. Die erste schriftliche Erwähnung von Týnec nad Sázavou stammt vom Anfang des 14. Jahrhunderts. Die archäologischen Funde zeugen jedoch davon, dass der Ort bereits in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts besiedelt war. Magdalena Timplová:

„Hier war eine Kreuzung von Handelswegen, die von Nord nach Süd und von Ost nach West führten. Die Archäologen fanden hier Beweise dafür, dass es da auch Erdhütten gab, in denen Kaufleute, die unterwegs waren, übernachten konnten. Es wurden hier zudem Fragmente einer Pfahlbefestigung gefunden. Das bedeutet, dass es dort eine eingefriedete Siedlung gegeben hat – im Tschechischen also eine ´zatýněná osada´. Davon wurde der Name der Siedlung – Týnec – abgeleitet. Der erste bekannte Besitzer der Burganlage war Oldřich Medek von Waldeck.“

Franz Josef von Vrtba
Dieser Adelige nannte sich auch Oldřich z Týnce, nach dem Ort, wo seine Burg stand. Die Vorgänger von Oldřich auf der Burg Týnec nad Sázavou sind unbekannt Der Familie von Waldeck gehörte die Burg bis zum Ende des 15. Jahrhunderts. Danach wechselte Týnec oft den Besitzer. Große Verdienste um den Aufschwung von Týnec erwarb sich erst die Familie von Vrtba.

„Týnec ist dank Graf Franz Josef von Vrtba berühmt geworden. Er richtete 1791 im so genannten ´alten Schloss´, das er von seiner Mutter geerbt hatte, eine Steingutmanufaktur ein. Für die Steingutproduktion nutzte er damals alle Gebäude: Sogar in der Rotunde und im Turm wurde Glasur gemahlen. Wegen seiner Qualität wurde das Steingut aus Týnec sehr geschätzt. Die Produktion musste erweitert werden, und Graf Vrtba ließ 1812 unweit der Burg ein Empiregebäude für die Steingutfabrik erbauen. Heutzutage dient das Gebäude als ein Kultur- und Informationszentrum. Es passiert oft, dass mich die Touristen fragen, was ist das für ein schönes Schloss. Und ich antworte nur: Sehen Sie, was für schöne Fabriken unsere Vorfahren gebaut haben.“

Steingut
Aufgrund des Deutschen Kriegs von 1866 gab es Probleme mit dem Absatz des Steinguts und die Produktion wurde stillgelegt. Etwa 20 Jahre später hatte Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este die Güter von Konopiště / Konopischt erworben. Er ließ die Steingutfabrik in Týnec in ein Hotel umbauen. Wertvolle Beispiele für das Steingut aus Týnec kann man heutzutage in einem Steingutmuseum bewundern, das neben dem Turm untergebracht ist. Ein Teil der Exponate wurde aus dem Prager Nationalmuseum geliehen. Steingut aus Týnec ist auch im Museum in Netvořice und auf Schloss Konopiště zu sehen.

Steingut
Die Führung durch die Burg beginnt in der romanischen Rotunde, der ältesten Sehenswürdigkeit im ganzen Bezirk. Seit mehr als 900 Jahren diene die Rotunde zu kirchlichen Zwecken, erzählt Magdalena Timplová:

„Die Rotunde, die 1050 erbaut wurde, gehört heutzutage der Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche. Wir haben sie von der Kirche gemietet. Einmal in zwei Wochen finden hier Gottesdienste statt. Die Rotunde wird auch für Hochzeiten genutzt. In der Adventszeit veranstalten wir hier Konzerte, denn die Akustik und Atmosphäre in dem romanischen Raum ist sehr gut.“

Im Turm
Aus der Rotunde geht es weiter in den gotischen Turm. Man muss jedoch zuerst 99 Treppen hinaufsteigen, um die Bewohner des Turms sehen zu können. Ganz oben in der Finsternis sind ab und zu Pfiffe zu hören. Die Kastellanin hat jedoch eine Taschenlampe dabei und zeigt mit ihr nach oben. An dem Balken bewegt sich ein schwarzer Haufen – es sind Fledermäuse. Die dritte Etage des Turms bewohnt im Sommer das Große Mausohr. So heißt diese Fledermausart.

„Im Frühjahr lassen sich die Mausohrweibchen hier nieder und bringen die Jungen zur Welt. Ende September oder im Oktober verlassen sie den Turm und fliegen weiter zu ihrem Winterquartier. Jedes Jahr schließen wir uns der so genannten ´europäischen Fledermausnacht´ an, auf der an den Schutz dieser Tierart appelliert wird. Bei dieser Veranstaltung können sich hier vor allem die Kinder die Fledermauskolonie genau anschauen. Eine Zoologin erklärt dabei die Details. In diesem Jahr konnten die Kinder in Fledermauskostümen kommen. Für die Fürsorge um die Mausohre bekamen wir von den Tierschützern in diesem Jahr eine Plakette mit dem Titel ´Unser Nachbar ist die Fledermaus´.“

Mausohrkolonie
Die Mausohrkolonie war früher im Turm der gegenüber stehenden Simon- und Juda-Kirche zu Hause. Nach der Renovierung des Kirchenturms vor 17 Jahren wechselten die Nachtfalter ihr Sommerquartier und fliegen jeden Frühling in den Burgturm, erzählt die Kastellanin.

„Die Touristen stören die Tiere wahrscheinlich nicht so sehr. Sonst wären sie im Kirchenturm geblieben.“

Der Turm ist aber nicht nur wegen seiner beflügelten Bewohner einen Besuch wert. Aus der obersten Etage ist die weite Umgebung von Týnec gut zu sehen. Der einstige Verteidigungsturm wird heutzutage vor allem als Aussichtsturm genutzt.

Ausstellung ´Wie unsere Omas und Opas gespielt haben´
Vom Turm ist unter anderem das Gebäude der ehemaligen Steingutfabrik zu sehen. Ihre Produkte kann man im Stadtmuseum gleich neben dem Turm bewundern. Einer der Säle im Museumsgebäue wird vom Landeskundlichen Verein für Ausstellungen genutzt. In diesem Jahr ist dort eine Ausstellung mit historischem Spielzeug zu sehen.

„´Wie unsere Omas und Opas gespielt haben´ – so heißt die Ausstellung. Sie ist sehr erfolgreich und gefällt sowohl den Omas und Opas, als auch den Enkelkindern. Jeder erinnert sich dort gern daran, was für ein Spielzeug er hatte oder was er von seiner Oma geerbt hat. Die Exponate stammen meistens von Bewohnern unserer Region, von Freunden des Museums oder Mitgliedern des Landeskundlichen Vereins. Die Exponate wurden von rund 15 Familien geliehen.“

Týnec nad Sázavou
Eine Etage tiefer ist eine Galerie eingerichtet, in der Bilder- und Fotoausstellungen installiert werden, die meistens einen Monat lang dauern. Noch tiefer unter der Erde sind Fragmente des romanischen Palastes zu sehen.

„Aus der Galerie geht es in zwei romanische Kellerräume. In dem größeren Raum ist eine Dauerausstellung von Gegenständen zu sehen, die bei den Ausgrabungen auf dem Burggelände sowie in der Umgebung von Týnec gefunden wurden.“

Auf der Burg kann man nicht nur eine Nacht mit Fledermäusen erleben. Während der ganzen Saison stehen auch Konzerte, Theatervorstellungen oder Künstlerwerkstätten auf dem Programm. Im August wird das historische Stadtfest „Týnecký střep“ (zu Deutsch etwa „Teinitzer Scherben“) veranstaltet. Anfang September treffen Laientheaterensembles bei einem Festival auf der Burg zusammen. Die Touristensaison wird mit einem keltischen Abend beendet:

„Dieser Abend ist für uns jedes Jahr mit dem Abschied vom Sommer und von der Saison verknüpft. Am 1. Oktober werden hier vier Ensembles keltische Melodien spielen. Es erklingt auch Dudelsackmusik. Auf dem Programm stehen zudem irische Tänze. Und der keltische Abend wird mit einer Feuershow beendet.“

Die Burg erwacht erst während der Adventszeit wieder zu neuem Leben. Mehr über das Programm in Týnec nad Sázavou erfahren Sie unter www.mestotynec.cz.

Foto: Autorin