Meilenstein vor 100 Jahren: Erste tschechoslowakische Verfassung

Erste tschechoslowakische Verfassung (Foto: Archiv der tschechischen Akademie der Wissenschaften)

In Tschechien und der Slowakei ist man stolz auf die Gründung des gemeinsamen Staates im Jahr 1918. Einen besonderen Stellenwert hat dabei die Verabschiedung der ersten Verfassung vor 100 Jahren. Aus Anlass dieses Jahrestages findet am Dienstag ein Festakt im Verfassungsgericht in Brünn statt.

Erste tschechoslowakische Verfassung  (Foto: Archiv der tschechischen Akademie der Wissenschaften)

Vlastimil Göttinger  (Foto: Archiv des Verfassungsgerichts in Brno)
Als am 28. Oktober 1918 in Prag die Unabhängigkeit der Tschechoslowakei ausgerufen wurde, entstand ein unvollständiger Staat. Denn er hatte weder klare Grenzen, noch eine fertige Verfassung. Die offenen Fragen zu den Grenzen wurden später auf der Pariser Friedenskonferenz zugunsten der Tschechen und Slowaken geklärt. Der Annahme einer Verfassung wiederum gingen anderthalb Jahre harter Verhandlungen voraus. Und auch der finale Abgleich der Textvorlage verlief äußerst spannend, schildert der Generalsekretär des Verfassungsgerichts in Brno / Brünn, Vlastimil Göttinger:

„Man musste Kompromisse eingehen. Die jeweiligen Seiten hatten ihre Experten im Vorbereitungsausschuss, der hinter verschlossenen Türen tagte. Selbst die anderen Abgeordneten wussten nicht, wie es bei der Ausarbeitung des Dokuments vorangeht. Es wurde auf einer langen Sitzung, die über 70 Stunden dauerte, buchstäblich ausgebrütet. Es war der 29. Februar 1920, an dem die Verfassung fertig war und einstimmig verabschiedet wurde.“

Erste tschechoslowakische Verfassung
Eigentlich stammte das Papier jedoch nur aus der Feder von Tschechen und Slowaken. Diese betrachteten sich in dem entstandenen Vielvölkerstaat als Staatsnation: Deutsche, Ungarn und Polen waren nicht an der Ausarbeitung der Verfassung beteiligt gewesen.

Die Verhandlungen zwischen den deutschböhmischen und den tschechischen Politikern scheiterten gleich nach ihrem Beginn an der mangelnden Kompromissbereitschaft beider Seiten. Damit war die Chance, gemeinsam eine staatliche Gesetzgebung auszuarbeiten, ein für alle Mal vertan.

Schon die Präambel der tschechoslowakischen Verfassung verweist darauf, wer diese erstellt hat: die Tschechen und Slowaken. Das bestätigt auch Göttinger:

„In erster Linie war es eine demokratische Legitimität. Diese Verfassung war nämlich die allererste ihrer Art, die die Vertreter des tschechischen und slowakischen Teils der damaligen Republik unter sich ausgearbeitet, behandelt und gebilligt hatten. Die Verfassung war also ein wirklich staatstragendes Element, andererseits aber auch ein sehr moderner Katalog von Grundrechten und Freiheiten.“

In ihrer ersten Sitzung erklärten die Abgeordneten die Habsburger Monarchie für abgesetzt und wählten einstimmig Tomáš Garrigue Masaryk zum ersten tschechoslowakischen Präsidenten. Die Rechte und Pflichten des Staatsoberhaupts waren ebenso in der Verfassung verankert, bemerkt Göttinger:

Tomáš Garrigue Masaryk  (Foto: Stzeman,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)
„Die politischen Vertreter von damals rechneten ursprünglich damit, dass der Präsident lediglich eine zeremonielle Funktion haben werde. Das beträchtliche Engagement von Tomáš Garrigue Masaryk führte jedoch dazu, dass die Stellung des Präsidenten wesentlich stärker war und letztlich auch umfassender als heute. Es ist aber sehr schwierig, die heutige Zeit mit der damaligen zu vergleichen.“

Für die Tschechen und Slowaken war die Verfassung das letzte und wichtigste Glied in der Kette, mit der sie ihre Interessen in einem eigenen Staat endlich durchsetzen konnten. Dieser historische Meilenstein wird daher auch entsprechend gewürdigt, bedeutet Göttinger:

„Wir sehen es als notwendig an, auf die große Bedeutung der ersten tschechoslowakischen Verfassung zu verweisen. Zugleich wollen wir daran erinnern, dass das tschechoslowakische Verfassungsgericht das erste seiner Art in der Welt war. Deswegen veranstaltet das Verfassungsgericht in Brünn am Dienstag einen Festakt mit mehreren geladenen Gästen. Wir wissen es sehr zu schätzen, dass unserer Einladung unter anderem die slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová und der Vorsitzende des tschechischen Senats, Miloš Vystrčil, gefolgt sind.“