Gleis ins Nirgendwo erinnert an Prager Shoah-Opfer

Foto: ČTK

In Prag entsteht derzeit eine neue Gedenkstätte. Ihren Platz findet sie im Bahnhof Bubny im Norden der Stadt. Dort mussten sich auf Geheiß der Nationalsozialisten ab 1941 die jüdischen Bürger von Prag einfinden, von dort führten die Transporte in Ghettos und Konzentrationslager. Tausende kehrten niemals zurück. Diese Geschichte soll nun bald im „Památník ticha“ (Gedenkstätte der Stille) erzählt werden. Der Startschuss für das Projekt fiel in dieser Woche: Vor dem zukünftigen Museum wurde ein weithin sichtbares Denkmal in Form eines Gleises eingeweiht.

Mahnmal vor dem Bahnhofsgebäude in Holešovice-Bubny  (Foto: ČTK)
Viele Gäste hatten sich am Montag im Stadtteil Holešovice versammelt. Neben Diplomaten und Politikern waren unter ihnen auch mehrere Zeitzeugen, die vor über 70 Jahren vom Bahnhof Bubny aus deportiert wurden. Viele kamen zunächst ins Ghetto Terezín / Theresienstadt, später nach Auschwitz und in andere Konzentrationslager. Etwa 50.000 Menschen passierten den Bahnhof, nur 5.000 kehrten zurück nach Prag.

Genau hier am historischen Ort solle nun ein Kulturzentrum entstehen, sagt der Leiter des Projektes, Pavel Štingl. Und fürs erste darauf aufmerksam macht nun eine Art Leuchtturm. Direkt vor dem Bahnhofsgebäude steht das auffällige Mahnmal. Bildhauer Aleš Veselý hat ein Tor entworfen, aus dem ein Gleis emporwächst und 20 Meter weit in den Himmel ragt.

„Der Ort stand von Anfang an fest. An dieser Stelle begannen die Zugtransporte. Dadurch war das Thema Gleise sofort präsent. Zunächst habe ich mich von dem Gedanken eher ferngehalten, vor allem auch, weil andere Künstler wie Dani Karavan aus Israel damit arbeiten. Aber dieses Aufrichten der Gleise, die in den Himmel ragen, das war eine Sache, die mir gleich im ersten Moment in den Sinn gekommen ist, und so hat sich nach und nach die Gestalt dieses Denkmals entwickelt.“

Aleš Veselý  (Foto: ČTK)
Wie eine Treppe ins Nirgendwo wirkt das Denkmal. Der Spielraum für Interpretationen ist groß, sagt Bildhauer Veselý.

„Man sagt auch: etwas schreit zum Himmel. Das ist ein Moment, das durch dieses Gleis ausgedrückt wird. Da sind auf der einen Seite diejenigen, die hindurch gehen und die anderen, die der Meinung sind, dass sie das alles nichts angeht. Das Denkmal hat viele Ebenen.“

Beteiligt am Aufbau der Gedenkstätte Bubny ist auch das Prager Kunstzentrum Dox. Es befindet sich nur wenige Minuten entfernt vom Bahnhof Bubny, gleich jenseits der Gleise. Seit der Gründung vor sieben Jahren werden dort aktuelle, gesellschaftspolitische Themen aufgegriffen, kürzlich wurden unter anderem die Titelbilder von Charlie Hebdo gezeigt. Leoš Válka ist der Leiter des Zentrums für zeitgenössische Kunst. Die Kooperation mit der zukünftigen Gedenkstätte ist für ihn nicht nur ein Ausflug in die Geschichte:

Leoš Válka  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Es geht nicht nur um dieses Denkmal. Es ist lediglich Teil eines größeren Projektes, das direkt mit dem Bahnhof Bubny verknüpft ist: die Gedenkstätte der Stille. Damit ist die schweigende Mehrheit gemeint, und das wird in Zukunft das Hauptthema der Ausstellungen und der begleitenden Bildungsprojekte werden. Diese schweigende Mehrheit hat es auch ermöglicht, dass später solche Verbrechen geschehen sind. Und das Problem ist, dass es diese Mehrheit bis heute gibt. In der Stille liegt das Problem. Es sind die Menschen, die keine Probleme sehen wollen und keine Lust haben, sich das Leben zu verkomplizieren. Doch genau dazu müssen wir bereit sein. Und darum engagieren wir uns. Denn es ist ein Teil unserer Geschichte.“

Bahnhof Bubny  (Foto: ČTK)
Ein Team aus Historikern, Filmleuten und Grafikern arbeitet nun an der Ausstellung über die Shoah aus tschechischer Sicht. Eröffnen soll das neue Museum samt Kulturzentrum im Herbst 2016. Dann soll die Gedenkstätte der Stille ein Zeichen setzen – gegen das Schweigen.