Im Juni jährt sich zum 70. Mal die Zerstörung des mittelböhmischen Dorfes Lidice. Die Nazis nahmen damals auf äußerst brutale Weise Rache für das Attentat tschechischer Widerstandskämpfer auf den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich. Alle Männer des Ortes wurden erschossen, Kinder und Frauen ins KZ verschleppt und das Dorf dem Erdboden gleichgemacht. Heute steht an dem ursprünglichen Ort des Dorfes eine Gedenkstätte, die neue Gemeinde Lidice wurde nebenan aufgebaut. Zum Jahrestag soll die Gedenkstätte einen interaktiven Guide erhalten, ein Audiodrama. Doch die Bewohner des heutigen Dorfes Lidice haben starke Einwände gegen das Projekt.
Die Nazis zerstörten das Dorf Lidice
Am 9. und 10. Juni 1942 zerstörten die Nazis das Dorf Lidice. Das
Audiodrama soll nicht direkt an diese Gräueltat erinnern, sondern an die
Zeit kurz davor. Dabei haben die Autoren des Projekts, in Absprache mit der
Gedenkstätte, eine künstlerische Form gewählt. So wurden verschiedene
Szenen eingespielt, bei denen zum Beispiel fiktive Gespräche der damaligen
Ortsbewohner erklingen. Recherchiert haben die Autoren dafür so
gründlich, wie es ging: Sie haben unter anderem mit den einzigen
Überlebenden gesprochen – sechs Frauen im Alter von inzwischen 86 bis 99
Jahren.
Doch die heutigen Bewohner von Lidice haben sich nun an die Medien gewandt und erheben grundsätzliche Einwände gegen das Audiodrama. Veronika Kellerová, Bürgermeisterin des Ortes, sagte gegenüber Radio Prag:
Veronika Kellerová
„In der Form, wie das Projekt derzeit vorliegt, wünschen sich die
Bürger von Lidice nicht, dass es am Gedenkort erklingt. Die erdachten
Texte gefallen ihnen nicht, sie sind keine Ergänzung zur Geschichte des
Ortes.“
Die Autoren des Projekts können die Einwände nicht verstehen. Dramaturg Vilém Faltýnek verweist zum einen darauf, dass das Audiodrama noch nicht vollständig fertig ist, und zum anderen auf die vertragliche Übereinkunft mit der Gedenkstätte in Lidice. Im Vertrag habe man sich verpflichtet, die Anmerkungen von Zeitzeugen zu berücksichtigen, und genau so habe man auch verfahren:
„Als wir die ersten Unterlagen hatten, das war der Text des Audio-Dramas, haben wir in Lidice ein Treffen mit den Bewohnern abgehalten. Dort haben wir ihnen die Textausschnitte vorgelegt, die ihre Familien betreffen, damit sie uns verbessern oder auf Fehler oder Ungenauigkeiten hinweisen können. Das haben sie auch gemacht, und wir haben die Anmerkungen eingearbeitet. Trotzdem wurden weitere Einwände laut, auf die wir ebenfalls reagiert haben. Wir haben die Dinge erläutert.“
Milouš Červencl
So geht es zum Beispiel um einen ehemaligen Bewohner des Ortes, der den
neuesten Forschungen nach Widerstandskämpfer war, aber nach Meinung von
Überlebenden ein Nazi-Kollaborateur. In seiner jetzigen Form halten die
Bewohner von Lidice das Stück jedenfalls nicht für den Charakter einer
Gedenkstätte geeignet, sondern eher für den Rundfunk.
Zu den Einwänden der Bewohner hat mittlerweile auch der Leiter der
Gedenkstätte Lidice, Milouš Červencl, Stellung genommen. In einem
Interview für die Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks sagte er,
die Gedenkstätte arbeite eng mit den Zeitzeugen zusammen, und er könne
sich „nicht taub“ gegenüber ihren Einwänden stellen. Allerdings sagt
Faltýnek:
Gedenkstätte Lidice
„Im vergangenen Jahr haben wir mit der Gedenkstätte Lidice einen
Vertrag abgeschlossen zur Erstellung eines künstlerisch-dramatischen
Werkes, das am Ort des verschwundenen Dorfes und damit am Ort des Gedenkens
zu hören sein wird.“
Zur Lösung des Problems bleibt wenig Zeit, das Audiodrama soll am 9. Juni bereits öffentlich präsentiert werden – unter anderem auch in einer deutschen Version. Alle beteiligten Seiten betonen immerhin, man müsse sich erneut zusammensetzen.