Vor genau 50 Jahren hat sich der Philosophiestudent Jan Palach auf dem Prager Wenzelsplatz selbst verbrannt. Drei Tage später erlag er seinen Verletzungen. Mit seiner Tat wollte er die tschechoslowakische Gesellschaft wachrütteln. Diese war seiner Meinung nach in Lethargie verfallen, nachdem die Truppen des Warschauer Paktes 1968 den Prager Frühling niedergeschlagen hatten. An diesem Mittwoch wird in ganz Tschechien bei Gedenkveranstaltungen, Ausstellungen und Konzerten an Jan Palach erinnert. Schon am Dienstagabend fand in der Prager Salvatorkirche ein Gottesdienst zu Ehren des Studenten statt.
Foto von Jan Palach in der Salvatorkirche (Foto: Martina Schneibergová)
Ein Foto von Jan Palach schmückt den Altar in der vollen Salvatorkirche.
Den Gottesdienst zelebriert der katholische Priester und Theologe Tomáš
Halík. Bei seiner Andacht erinnert er sich daran, wie er die Tage vor
genau 50 Jahren erlebte. Halík betonte:
„Jan Palach verbrannte sich nicht aus Protest gegen die Okkupation der Tschechoslowakei selbst, sondern gegen die erkennbaren Folgen. Der Wille zum Widerstand war damals schon schwächer geworden. Das politische Regime fing an, die während des Prager Frühlings von 1968 erreichten Fortschritte Schritt für Schritt abzubauen. Die Zeit der sogenannten ,Normalisierung‘ hatte begonnen. Es war die Zeit, in der es normal geworden war, zu lügen und in der es naiv war, die Wahrheit zu sagen. Außerdem wurde die Feigheit zur Normalität. Die Kollaboration mit dem Feind galt als annehmbar, Widerstand hingegen als Irrsinn. Palachs Tat sollte zu einem Licht in einer Welt der Halbwahrheiten und Täuschungen werden.“
Halík zufolge leben wir auch jetzt wieder in einer schwierigen Zeit.
Deshalb müsse die Gesellschaft zu Mut und Wahrhaftigkeit ermutigt werden,
meint der Priester:
Tomáš Halík (Foto: ČTK / Ondřej Deml)
„Das politische Leben unseres Landes wird nicht mehr von einer Großmacht
bestimmt, die sich auf Panzer stützt. Wir selbst entscheiden bei den
Wahlen darüber, wer an der Spitze des Staates steht und in welche Richtung
er sich orientiert. Jeder von uns kann das gesellschaftliche Klima
beeinflussen, solange er nicht gleichgültig bleibt. Wir können nicht das
Andenken von jemand hochhalten, der die Angst überwunden hat, und dabei
selbst Angst und Panik verbreiten. Davon profitieren nur die populistischen
Politiker.“
Nach dem Gottesdienst trat in der Kirche der Liedermacher Bohdan Mikolášek auf. Er sang sein Lied „Ticho“ (Die Stille), das er nach dem Begräbnis von Jan Palach geschrieben hat. Bald danach war es dem Künstler verboten aufzutreten. Anfang der 1980er Jahre emigrierte Mikolášek gezwungenermaßen in die Schweiz. Gegenüber Radio Prag erinnerte sich der Liedermacher an die Zeit vor 50 Jahren:
Bohdan Mikolášek (Foto: Martina Schneibergová)
„Im August 1968, als die Truppen des Warschauer Paktes die
Tschechoslowakei besetzt haben, war ich gerade in Westeuropa und habe mich
über die Reisefreiheit gefreut. Es war ein Schock für mich, in ein Land
zurückzukehren, das von einer fremden Armee besetzt war. Die Menschen
verließen das Land, die anfängliche Solidarität war bald verschwunden
genauso wie der Mut der Bevölkerung. Dann kam das Jahr 1969. Bei frostigem
Wetter habe ich die Nachricht bekommen, dass jemand, der genauso alt
gewesen war wie ich, sich das Leben genommen habe, um zu zeigen, wieviel
das Leben wert sei. Ich erinnere mich daran, wie rund einhundert Menschen
still auf dem Wenzelsplatz standen. Mit diesem Erlebnis bin ich ins
Studentenwohnheim zurückgekehrt, habe die Gitarre genommen und als
Liedermacher konnte ich nichts anderes tun, als ein Lied zu schreiben. Ich
sage immer, das Lied ist nur ein Foto vom damaligen Augenblick, es spiegelt
die Energie, die die Solidarität der Menschen ausgestrahlt hat. Für mich
als Sohn eines Pfarrers ist die Stille auch etwas Kirchliches. Wer diese
kennt, kennt auch die Möglichkeit, in der Stille Fragen nach oben zu
stellen und auch von oben Antworten zu kriegen.“
Der Liedermacher Bohdan Mikolášek tritt am Mittwochabend in der Kirche St. Martin in der Mauer auf. Er hat für den Abend des 16. Januar ein besonderes Programm geplant. In der Salvatorkirche ist bis 20. Januar eine Ausstellung über Jan Palach zu sehen.