Sportler im Herbst 1989: Politische Wende öffnete Tor für große Karrieren

Ivan Hašek (Foto: Tomáš Adamec, Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Im Herbst 1989 hat sich die Tschechoslowakei vom Sozialismus verabschiedet. Bei den vielen Demonstrationen rund um die Samtene Revolution traten auch einige Sportler ins Rampenlicht. Sie fühlten sich nicht als Helden, sondern als Teil der Mehrheit in der Bevölkerung, die den Sturz des kommunistischen Regimes wollte.

November 1989  (Foto: Jiří Venclík,  Archiv des Instituts für das Studium totalitärer Regime)
Die Tschechen und Slowaken waren spät dran, als sie sich im November 1989 daran machten, ihre kommunistischen Fesseln abzustreifen. In den meisten anderen Ostblockländern machte man da schon seine ersten Erfahrungen mit der Demokratie. Die sogenannte Samtene Revolution begann mit einer Studentendemonstration am 17. November, die von der Staatsmacht gewaltsam niedergeschlagen wurde, und fand mit der Ernennung des Dissidenten Václav Havel zum Staatspräsidenten am 29. Dezember ihren Höhepunkt. In den letzten Wochen des Schicksalsjahres versammelten sich Tag für Tag tausende von Menschen, um die kommunistische Führung des Landes zum Rücktritt zu zwingen.

Die Veränderungen gingen vor allem von Prag aus, da sich dort das Zentrum der kommunistischen Macht befand. Dem Aufbegehren der Studenten schlossen sich sehr schnell die Künstler an, und täglich kamen immer mehr Teile der Gesellschaft hinzu. Unter ihnen waren auch Sportler, allen voran die Fußballer von Sparta Prag. Schon zwei Tage nach der Niederschlagung der Studentendemo äußerten sie ihre Solidarität mit den Initiatoren des Protestes. Wie es dazu kam, schilderte neulich der damalige Kapitän der Mannschaft, Ivan Hašek, im Tschechischen Fernsehen:

Ivan Hašek  (Foto: Tomáš Adamec,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Wir hatten viele Freunde in den Reihen der Studenten und vor allem unter den Künstlern. Vor dem Ligaspiel gegen Inter Bratislava am 19. November kam so auch der Schauspieler Jan Potmešil in unsere Kabine und informierte uns, dass bei der Demonstration zwei Tage zuvor auf der Nationalstraße ein Student zu Tode gekommen sein soll. Darum haben wir darüber nachgedacht, eventuell nicht zu dem Spiel anzutreten. Doch diese Meldung wurde bis zum Beginn der Begegnung nicht bestätigt. Die Clubleitung hat uns dann nahe gelegt, dass wir nicht antreten müssten, falls uns nicht danach zumute wäre. Auf der anderen Seite hätte es sich um eine Desinformation handeln können, und dann hätte eine Absage vielleicht auch fatale Folgen gehabt. Deshalb habe ich mich als Kapitän von Sparta Prag dazu entschlossen, mit einem Trauerflor aufzulaufen. Meine Teamkollegen taten es mir gleich. Die Begegnung wurde ausgetragen, die Spieler von Inter Bratislava aber wussten bis zum Ende nicht, um was es ging.“

November 1989  (Foto: Dušan Bouška,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Danach war der Wandel nicht mehr aufzuhalten. Die Proteste in Prag wurden größer und größer, die Forderungen an die Kommunisten immer deutlicher und unnachgiebiger. Am Freitag, dem 24. November, sagte die Eishockeymannschaft von Sparta Prag ihre Begegnung mit Škoda Pilsen ab, denn wie auch die Fußballer hatten alle nur ein Ziel: Die Teilnahme an der großen Kundgebung auf dem zentralen Wenzelsplatz in Prag. Ivan Hašek erinnert sich:

„Ich hatte Angst, die ganze Zeit. Ich war kein Held, sondern ich wollte als Profi ins Ausland. Mir war zuvor bereits zugesichert worden, dass ich dorthin wechseln könne, auf einmal aber trat ich gegen das Regime auf. Ich sah dies jedoch als meine Bürgerpflicht an, denn in dieser Zeit herrschte in der Bevölkerung bereits eine völlig andere Stimmung. Es lag förmlich in der Luft, dass sich etwas ändern würde.“

Ivan Hašek 1989  (Foto: Tschechisches Fernsehen / Reprofoto MF Dnes)
Die vordem ängstlichen Bürger, die jahrelang von der verhassten Staatspolizei und weiteren Schergen des Regimes eingeschüchtert wurden, hatten mittlerweile begriffen: Gemeinsam sind wir stark! Das bestätigte auch Hašek, der bei seinem Demo-Besuch noch in eine ganz andere Rolle schlüpfen sollte:

„Ich bin nicht mit dem Gedanken zur Demonstration gegangen, dass ich dort zu den Leuten sprechen werde. Meine Mitspieler und ich sind nahezu alle auf dem Wenzelsplatz gewesen, um wie die anderen mit den Schlüsselbunden zu rasseln und damit die Studenten und die Künstler in ihrem Aufbegehren zu unterstützen. Wir wollten, dass es wirkliche Massenkundgebungen sind, deshalb sind wir auch jeden Tag dorthin gezogen. Rein zufällig bin ich auf den Balkon des Melantrich-Verlages gelangt. Aus einem Lautsprecher wurde nämlich dazu aufgerufen, dass die Leute Platz für mich machen sollten, dass ich als Kapitän der Fußball-Nationalmannschaft auch zu ihnen sprechen könne. Auf einmal öffnete sich mir eine Gasse, und ich folgte ihr, auch wenn ich für eine Rede gar nicht vorbereitet war. Ich war dort mit meiner Frau und meinem Bruder, um die Bewegung zu unterstützen, die den Rücktritt der Regierung forderte. Doch am Ende habe ich selbst gesprochen.“

Gebäude des ehemaligen Melantrich-Verlages  (Foto: ŠJů,  CC BY-SA 3.0)
Der Sitz des damaligen Melantrich-Verlages befand sich in einem Gebäude mitten auf dem Wenzelsplatz. Die Verleger waren progressiv eingestellt, daher wurde der Balkon des Hauses bei der Kundgebung auch als Podium genutzt. Von diesem Balkon sprachen der Dissident Václav Havel und der Reformer Alexander Dubček zu den Demonstranten, aber ebenso „normale Bürger“ wie Ivan Hašek. Der damals 26-Jährige hatte sich mit der tschechoslowakischen Nationalmannschaft gerade erfolgreich für die WM-Endrunde 1990 in Italien qualifiziert, unter anderem mit zwei Heimsiegen in Prag über Portugal und die Schweiz. Hašek nutzte daher die Gelegenheit seines Auftritts vor den Demonstranten, um sich bei den Bürgern für ihre tolle Unterstützung in diesen beiden Partien zu bedanken. Die Mannschaft habe regelrecht die befreite Stimmung unter den Zuschauern gespürt, besonders als alle aus voller Kehle die tschechoslowakische Nationalhymne sangen, so der Ex-Kapitän. Und genau das war auch das oberste Prinzip des damaligen Protestes: Die Menschen machten sich gegenseitig Mut, um die politische Wende auch zu schaffen.

Zeitschrift ‚Poločas‘ 1989
„Mir ist zu jener Zeit eigentlich niemand begegnet, der nicht wollte, dass das Regime gestürzt wird. In keinem Fußballteam gab es jemanden, der sagte: ‚Vorsicht, wir lassen uns nicht darauf ein!‘ Auch nicht bei Dukla Prag, dem Armeesportverein, bei dem es die Spieler noch viel schwerer hatten, wenn sie aufbegehren wollten. Im Gegenteil, alle sagten: ‚Wir sorgen dafür, dass die Kommunisten abdanken.‘ Denn als Sportler, die wir zu internationalen Spielen reisen konnten, wussten wir, wie es im Ausland aussieht.“

Andererseits gesteht Ivan Hašek auch noch heute, dass viele damals erst über ihren eigenen Schatten springen mussten, um gemeinsam für den Umschwung zu sorgen:

„Natürlich haben sich damals noch viele Menschen vor den möglichen Folgen gefürchtet, wenn das Aufbegehren scheitern sollte. Doch so richtig Angst hatten wir eher die Jahre zuvor gehabt. Von daher sind für mich Sportler wie Věra Čáslavská oder Emil Zátopek und seine Frau Dana Zátopková wirkliche Helden, weil sie sich schon viel früher aufgelehnt hatten. Wir aber sind erst aufgestanden, als das ganze Volk in Bewegung war. Ich verdeutliche das noch einmal: Als sich auf dem Wenzelsplatz auch etliche Arbeiter aus dem Maschinenbaukombinat ČKD einfanden, da wusste ich: ´Diesen Aufstand können wir nicht verlieren´.“

Ivan Hašek  (Foto: Altrensa,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 2.5)
Wie sich schon bald zeigen sollte, behielten Hašek und all die anderen Optimisten Recht. Das kommunistische Regime dankte zum Jahresende ab, und am 29. März 1990 wurde die demokratische Tschechoslowakische Föderative Republik ausgerufen. Am 8. und 9. Juni 1990 wurde schließlich der Tschechische Nationalrat zum ersten Mal frei gewählt.

Unter diesen Voraussetzungen machte auch Ivan Hašek noch groß Karriere: Zunächst als Spieler in Straßburg, Japan und zum Abschluss wieder bei Sparta Prag. Als Trainer gewann er gleich zwei Titel mit den Hauptstädtern, danach war er ebenso in Frankreich, Japan sowie vor allem den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Katar tätig. Für kurze Zeit nahm er ebenso den Posten des Cheftrainers der tschechischen Nationalmannschaft ein, und ab Juni 2009 war er exakt zwei Jahre lang Vorsitzender des tschechischen Fußball-Verbandes. Auch heute hat der mittlerweile 56-Jährige eine klare Haltung zu bestimmten Dingen:

„Meine Meinung ist die: Sport ist Sport, und Politik ist Politik. Das sollte man nicht miteinander vermischen. Doch manchmal werden Grenzen überschritten, und dann muss man sich engagieren. Diese Grenze aber auszuloten, ist sehr schwer. Ich jedenfalls wage nicht zu sagen, was gut und richtig ist. Doch noch heute bin ich stolz darauf, dass ich vor 30 Jahren auf dem Wenzelsplatz zu den Menschen gesprochen habe. Věra Čáslavská indes schätze ich über alle Maßen für das, was sie für die Veränderung getan hat.“

Dominik Hašek  (Foto: Luboš Vedral,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Wie für Ivan Hašek, so hat sich nach der Wende auch für alle anderen Spitzensportler aus Tschechien und der Slowakei das Tor geöffnet in die weite und freie Welt. Die meisten von ihnen sind hindurchgegangen und als erfolgreichen Persönlichkeiten zurückgekehrt. Einer von ihnen ist der Namensvetter des Fußballers, der ehemalige Eishockey-Torwart Dominik Hašek. Wie sein langjähriger Nationalmannschaftskollege Jaromír Jágr hat der „Dominator“, wie der Goalie von seinen Fans genannt wurde, fast zwei Jahrzehnte lang die Eishockeyszene in der nordamerikanischen National Hockey League (NHL) mitbestimmt. Für seine grandiosen Leistungen wurde Hašek mehrfach mit bedeutenden Einzeltrophäen ausgezeichnet und schließlich 2014 als erster Tscheche in die Hall of Fame der NHL aufgenommen. Die Top-Karriere, die er hingelegt hat, war erst möglich, als der Eiserne Vorhang in Europa verschwand. Doch wie hat der Superstar eigentlich den stürmischen Herbst von 1989 erlebt?

Dominik Hašek | Foto: ČT24
„Ich erinnere mich noch sehr gut an das Jahr 1989 und wie es verlaufen ist. Zu dieser Zeit war ich gerade bei der Armee. Von dem, was sich in Prag tat, hatten wir absolut keinen Schimmer. Ein paar Nachrichten über die Demonstrationen in Prag bekamen wir erst drei oder vier Tage später, am 20. und 21. November. Doch als die Jungs und ich davon erfahren haben, war uns das nicht gleichgültig. Wir nahmen sofort ein Auto und fuhren von Jihlava nach Prag, denn wir wollten auch dabei sein. Am 22. November waren wir erstmals auf dem Wenzelsplatz in Uniform, trotz aller Verbote. Das war ein unglaubliches Erlebnis, an das ich mich bis heute erinnere. Alle klimperten mit ihren Schlüsseln, es herrschte eine tolle Stimmung, die ich nie vergessen werde.“

Heute ist Dominik Hašek ein mittelständischer Unternehmer, im Eishockey engagiert er sich zudem als Chef der Vorschlagskommission für die Ruhmeshalle des tschechischen Verbandes. Andere ehemalige Sportler aus der Wendezeit haben es auf der Funktionärsebene sogar noch weiter nach oben geschafft. So ist der früherer Ruderer Jiří Kejval seit 2012 der Chef des Tschechischen Olympischen Komitees (ČOV), und der zweifache Olympiasieger im Kanurennsport, Martin Doktor, steht als Sportdirektor des Komitees ebenfalls seit sieben Jahren ganz dicht an Kejval Seite. Schließlich schickt sich ein anderer Eishockeytorwart aus Tschechien nunmehr an, ab dem kommenden Jahr sogar der neue Chef des Weltverbandes in seiner Sportart zu werden. Die Rede ist von Petr Bříza, der während seiner aktiven Zeit nicht nur vier Titel mit Sparta Prag gewann, sondern von 1993 bis 1999 in sechs Spielzeiten auch das Tor des damaligen deutschen Erstligisten EV Landshut hütete. Bei einer der Kundgebungen im Herbst 1989 sprach auch er zu den Demonstranten. Vor kurzem hat der tschechische Verband bekanntgegeben, dass er die Kandidatur von Bříza, Nachfolger des scheidenden IIHF-Präsidenten René Fasel zu werden, vollumfänglich unterstütze. Die Wahl erfolgt im September 2020 auf dem Kongress des Weltverbandes in St. Petersburg.

Auch wenn der Ausgang der Wahl noch völlig offen ist, eines kann man schon jetzt sagen: Viele der sportlichen Hoffnungsträger von 1989 haben die Erwartungen erfüllt oder sogar noch übertroffen. Und einige von ihnen zählen heute auch zu den Stützen der freien und demokratischen Gesellschaft in Tschechien.

Autor: Lothar Martin
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