Doppelolympiasiegerin Ledecká sorgte für großen Sportmoment des Jahres

Ester Ledecká (Foto: ČTK / AP / Gian Ehrenzeller/Keystone)

Das zu Ende gehende Jahr 2018 war auch ein olympisches Jahr. Und bei den Winterspielen im südkoreanischen Pyeongchang sorgte eine junge Tschechin für Begeisterung: die Ski- und Snowboardfahrerin Ester Ledecká. Mit ihren Olympiasiegen in zwei unterschiedlichen Sportarten schrieb sie Geschichte, mit ihren Leistungen ist sie eindeutig die tschechische Sportlerin des Jahres.

Ester Ledecká  (Foto: ČTK / AP / Gian Ehrenzeller/Keystone)
Der Sport lebt von Emotionen – und zwar sowohl der Helden als auch der unglücklich Unterlegenen. Wenn ein Gewinner dabei wie aus dem Nichts kommt, dann ist die Aufmerksamkeit besonders groß. Einen solchen Moment hielt der 17. Februar dieses Jahres im alpinen Skisport parat. Dieser Tag wird deshalb auch auf ewig in der olympischen Sportgeschichte festgehalten sein.

An jenem Samstag fand das Rennen im Super-G der Frauen bei den Spielen in Pyeongchang statt. Die nach der Rangliste 25 besten Skifahrerinnen der Welt hatten ihren Lauf schon absolviert, die Medaillenränge schienen also vergeben. Doch dann bretterte mit der Startnummer 26 eine junge Tschechin über die Piste und versetzte die Fachwelt in Staunen. Es war die 22-jährige Ester Ledecká. Bereits nach ihren ersten Zwischenzeiten waren alle live vom Geschehen berichtenden Sportreporter ziemlich verblüfft. Und beim Zieleinlauf der Tschechin waren viele von ihnen schier aus dem Häuschen, Darunter auch die Kommentatoren vom Schweizer Radio und Fernsehen (SRF).

Anna Veith  (Foto: Christian Jansky,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)
Mit dem hauchdünnen Vorsprung von einem Hundertstel beziehungsweise einem Zehntel verwies Ledecká die favorisierte Österreicherin Anna Veith und die Liechtensteinerin Tina Weirather auf die weiteren Medaillenplätze. Und das, obwohl ihr eigentlicher Sport, in dem sie zur absoluten Weltspitze gehört, das Snowboarden ist. Deshalb war die Pragerin unmittelbar nach der Zieldurchfahrt noch völlig baff. Sekundenlang stand sie im Zielraum und wollte gar nicht glauben, was da auf der Anzeigetafel stand. Dem Kameramann der Live-Übertragung, der ihr sagte, sie sei Olympiasiegerin, entgegnete sie nur ein ungläubiges „No“. Und auch einige Zeit später, als sie die ersten tschechischen Reporter vors Mikrofon baten, konnte sie ihre Leistung immer noch nicht fassen:

„Ich kann es einfach nicht glauben. Ich habe das Rennen genossen, es hat mir großen Spaß gemacht, aber das Erstaunlichste ist das Ergebnis.“

Dann aber begriff die amtierende Snowboard-Weltmeisterin erst so richtig, was ihr schon mit dem ersten Auftritt bei den Winterspielen gelungen ist:

„Ich wollte bei Olympia an beiden Sportarten teilnehmen, und das ist mir gelungen. Der heutige Sieg ist ein Riesenbonus. Und jetzt hoffe ich einfach nur, dass ich auch im Snowboarden wie geplant am Start sein werde.“

Ester Ledecká: „Ich wollte bei Olympia an beiden Sportarten teilnehmen, und das ist mir gelungen. Der Sieg im Super-G ist ein Riesenbonus.“

Bevor sie jedoch in ihrer Spezialdisziplin um eine weitere Medaille kämpfen wollte, durfte sie erst einmal die Siegerehrung für ihre sensationelle Fahrt im Super-G genießen.

Im Parallel-Riesenslalom der Snowboarderinnen wurde Ledecká dann ihrer Favoritenrolle gerecht und schaffte so etwas Außergewöhnliches: Die Tschechin ist erst der fünfte Sportler, der bei Olympia zwei Goldmedaillen in zwei verschiedenen Sportarten gewonnen hat. Bei ein- und denselben Spielen schafften dies sogar nur zwei, die Norweger Haug und Gröttumsbraten. Dies war aber schon vor 94 beziehungsweise 90 Jahren…

Janek Ledecký  (Foto: Šárka Ševčíková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Ihre Begabung scheint Ester Ledecká in die Wiege gelegt bekommen zu haben, denn schon mit zwei Jahren stand sie auf Ski. Das Erfolgsgeheimnis der Doppel-Olympiasiegerin sei jedoch ein anderes, sagt ihr Vater Janek Ledecký:

„Sie liebt ihren Sport. Sie mag auch die Schinderei, die damit verbunden ist. In jedem Training hat sie Spaß daran, bis an ihre Grenzen zu gehen – oder manchmal auch darüber. Am meisten aber mag sie den Moment, wenn sie am Start steht. In den alpinen Skiwettbewerben klopft sie dann ihre Skistöcke gegeneinander, und beim Snowboardfahren schaukelt sie auf dem Board hin und her, um sofort auf die Strecke zu springen. Das macht ihr wirklich Spaß.“

Und dann schildert Janek Ledecký auch noch die Leidensgeschichte, die seine Tochter vier Jahre vor ihrem Triumph durchlebt hatte. Zu den Snowboard-Wettbewerben bei den Olympischen Spielen in Sotschi trat Ledecká nämlich mit Schmerzen an, die ihre Bandscheibe verursachte. Nur einen Monat später bekam sie vom renommierten Prager Physiotherapeuten Pavel Kolář sogar die niederschmetternde Nachricht, dass ihre Karriere wegen des Bandscheibenvorfalls wohl beendet sei. Er hätte zwar ein Reha-Programm entwickelt, doch das wäre noch nicht ausgereift, und die Chancen auf eine Genesung lägen nur bei 50 Prozent, zitiert Ledecký noch heute die Aussagen des medizinischen Fachmanns. Ester aber habe dies nicht abschrecken können. Sie sei fünfmal die Woche für je anderthalb Stunden zur Rehabilitation gegangen und habe bestimmte Übungen zudem täglich noch drei Stunden lang zu Hause ausgeführt, sagte Ledecký in einem Zeitungsinterview. In Pyeongchang aber war er einfach nur stolz auf seine Tochter:

Janek Ledecký: „Ester liebt ihren Sport. Sie mag auch die Schinderei, die damit verbunden ist. In jedem Training hat sie Spaß daran, bis an ihre Grenzen zu gehen – oder manchmal auch darüber.“

„Das ist eine ungemeine Genugtuung. Ester hat sich das wirklich verdient, denn was sie alles für ihren Sport opfert und tut, kann sich kaum jemand vorstellen.“

Die Erfolge von Pyeongchang sind Vergangenheit. Die neue Saison im alpinen Skisport und im Snowboarden hat mittlerweile begonnen – und Ester Ledecká ist voll dabei. Doch noch im Oktober hing alles in der Schwebe. Den ganzen Sommer über gab es nämlich Streit mit dem tschechischen Skiverband. Auf Anraten ihres Managements hatte Ledecká einen Fördervertrag mit dem Verband nicht unterschrieben. Der Grund: Die Vermarktungsagentur Sport Invest, die Ledeckás Rechte vertritt, bemängelte, dass einige Punkte des Vertrags inakzeptabel seien. Erst am 23. Oktober kam es zu einer Einigung, und eine Teilnahme von Ledecká im Weltcup stand nichts mehr im Wege.

Ester Ledecká  (Foto: Ondřej Tomšů)
Ihren Weltcup-Auftakt vollzog die mittlerweile 23-Jährige mit zwei Abfahrten und einem Rennen im Super-G im kanadischen Lake Louise. Bei der zweiten Damenabfahrt belegte sie einen sehr guten zehnten Platz. Eine Woche später startete sie zu einem weiteren Super-G, und zwar in St. Moritz in der Schweiz. Von der Atmosphäre der Veranstaltung war sie sehr angetan:

„Mir gefällt es hier überaus gut, auch wenn meine Ergebnisse noch nicht zufriedenstellend sind. Die Hänge in St. Moritz sind einfach wunderschön. Hier habe ich auch meinen ersten Wettkampf in der Abfahrt bestritten. Das war, als ich Neunzehn war. Das ist also noch gar nicht so lange her. Ich habe die Premiere sehr genossen und werde sie stets in guter Erinnerung haben.“

Von St. Moritz aus ging es für Ledecká sofort weiter nach Italien, denn dort warteten ihre ersten beiden Rennen im Snowboard-Weltcup auf sie. Ist dies aber nicht für sie eine große Umstellung, an die man sich erst ein wenig gewöhnen muss?

Ester Ledecká  (links) in Carezza  (Foto: ČTK / Action Press / Pierre Teyssot)
„Das mache ich schon viele Jahre so. Das ist für mich überhaupt kein Problem. Das einzige, was mich stören könnte, ist meine Handverletzung nach einem Trainingsunfall. Doch es gibt für mich keine Ausrede, ich nehme die Situation so wie sie ist.“

Und Ester Ledecká stellte dann unter Beweis, dass auch in dieser Saison der Weltcup-Gesamtsieg im Snowboard-Parallelslalom nur über sie führt. In beiden Riesenslaloms kam sie bis ins Finale. Doch während sie sich beim Rennen in Carezza am Südtiroler Karersee noch der Italienerin Nadya Ochner beugen musste, gelang ihr in Cortina d'Ampezzo der Sprung auf das oberste Treppchen des Siegerpodests. Im Finaldurchgang bezwang sie die Schweizerin Julie Zogg. Es war der 16. Triumph von Ledecká in ihrer bisherigen Karriere. Die 23-Jährige übernahm damit die Führung im Gesamt-Weltcup der Parallel-Disziplinen, den sie schon dreimal gewonnen hat.

Vor Weihnachten will der Tausendsassa namens Ester Ledecká noch bei zwei alpinen Skirennen im italienischen Gröden an den Start gehen. Doch für den Freitag hat sie einen festen Termin in Prag. Denn drei Tage vor dem Fest wird die Wahl zum tschechischen Sportler des Jahres verkündet. Ledecká ist eine der zehn Nominierten, die in die finale Auswahl gelangten. Von allen Kandidaten aber ist sie die einzige Olympiasiegerin des Jahres, und noch dazu doppelt. Deshalb gibt es auch nicht den leisesten Zweifel, dass die Sensationsgewinnerin von Pyeongchang nun auch zur tschechischen Sportkönigin des Jahres gekrönt wird.

Autor: Lothar Martin
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