Orte der Samtenen Revolution: Laterna Magika

Michal Horáček (Foto: Ondřej Tomšů)

Der demokratische Umschwung in der Tschechoslowakei begann am 17. November 1989 auf der Nationalstraße in Prag. In den folgenden Tagen rückten aber weitere Orte in der Stadt in den Vordergrund. Radio Prag International hat diese besucht und sich jeweils mit wichtigen Akteuren unterhalten. Im heutigen zweiten Teil der Reihe geht um das Theater Laterna Magika.

Michal Horáček  (Foto: Ondřej Tomšů)

Alexander Dubček und Václav Havel kurz nach der Gründung des Bürgerforums  (Foto: Jaroslav Kučera,  CC BY-SA 3.0)
Die Laterna Magika befindet sich damals nicht an ihrem heutigen Ort, sondern im Palais Adria am Jungmann-Platz. Nach der brutalen Niederschlagung der Studentendemonstration in der Nationalstraße am 17. November und der Gründung des Bürgerforums zwei Tage später, verlagert sich das Geschehen dort hin. Bei einer späteren Veranstaltung in den Revolutionstagen sagt der damalige Oppositionsführer und spätere Staatspräsident Václav Havel:

„Ich halte es für meine Pflicht und Ehre, der Laterna Magika dafür zu danken, dass sie dem Koordinierungszentrum des Bürgerforums ein Dach über dem Kopf gegeben hat. Sie hat uns zudem auch mit der Zeit und den Kräften ihrer Angestellten geholfen.“

Einer der wichtigsten Akteure ist damals auch der junge Reporter Michal Horáček. Er schreibt für die Jugendzeitschrift Mladý svět. Zusammen mit dem Rockmusiker Michael Kocáb von der Band Pražský výběr hat er bereits im Sommer 1989 die Initiative Most (Brücke) gegründet. Ihr Ziel ist es, die Oppositionellen und die Machthaber zu Gesprächen an einen Tisch zu bringen. Zugleich kommt er erstmals mit journalistischen Koryphäen aus dem Ausland in Kontakt, wie er gegenüber Radio Prag erzählt:

Christiane Amanpour  (Foto: Amanpourtátk,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0)
„Die Laterna Magika, das war es. Hier kamen all die berühmten Reporter der Welt hin, mit ihren Ausrüstungen. Ich habe das gar nicht gekannt und war ganz verschreckt von Persönlichkeiten wie Tom Brokaw oder Dan Rather, diesen Stars der US-Fernsehstationen CBS und NBC. Ich erinnere mich auch an die junge Christiane Amanpour von CNN. In der Laterna Magika hat sich alles abgespielt. So wurde von hier ins Ausland berichtet, aber vor allem schmiedeten die Dissidenten in diesen Räumen ihr Programm. Allerdings muss ich sagen, dass es ihnen nur sehr schwer gelang, auf die zunehmend radikaleren Forderungen von der Straße zu reagieren.“

Am Anfang tun sich die Revolutionäre noch schwer damit, öffentlich aufzutreten. Aber nach einigen Tagen drängt jeder auf das Podium. Man habe sich ebenfalls um die Sache verdient machen wollen, sagt Michal Horáček.

„Es war mitreißend. Rund um die Uhr wurde hier gearbeitet, aber es gab nur ein oder zwei Telefone im ganzen Theater. Ein Herr Urban war sozusagen das Mädchen für alles. Er leitete die Logistik. Zum Beispiel kamen Leute aus Ostrau zu uns, die nicht wussten, was geschah. Sie baten, dass jemand in ihre Stadt fuhr. Und es musste entschieden werden, wer diese Aufgabe übernimmt. Es war nicht ganz einfach, diese Sachen zu organisieren. Oder es meldete sich zum Beispiel ein Petr Miller von den ČKD-Werken. Er sagte, dass auch die Arbeiter in die Laterna Magika kommen wollen. Manchmal war es äußerst anstrengend, alles unter einen Hut zu bringen. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich damals innerhalb von 14 Tagen rund elf Kilogramm abgenommen wegen der nervlichen Anspannung.“

Nervenzentrum der Revolution

Laterna Magika befindete sich damals im Palais Adria  (Foto: Ondřej Tomšů)
Dabei war die Lage im Land weiterhin sehr unklar. Noch ließ sich nicht davon sprechen, dass die Revolution gesiegt hatte.

„Ständig kamen Nachrichten, dass von irgendwoher Panzerwagen auf dem Weg nach Prag wären. Glücklicherweise erwies sich das immer als falsch. Auf einer der Demonstrationen wurden die Menschen dazu aufgerufen, nach Vokovice zu gehen. Damals war dort eines der kommunistischen Organe angesiedelt. Uns ist dann aber klar geworden, dass so etwas als Vorwand genommen werden könnte, um hart durchzugreifen. Wir mussten dann schauen, wie wir 8000 Menschen wieder zur Umkehr bewegen können. Es gab viele dieser Vorfälle, und in der Laterna Magika wurden die Entscheidungen getroffen. Es war das Nervenzentrum der Revolution“, so Horáček.

Ladislav Adamec  (Foto: ČT24)
Gerade er und der bereits erwähnte Kocáb spielten in den Tagen eine entscheidende Rolle. Sie vermittelten zwischen dem damaligen kommunistischen Premier Ladislav Adamec und den Oppositionellen um Václav Havel:

„Wir haben nicht nur das erste Treffen abgesprochen, sondern auch weitere. Doch das Ganze drohte bereits am Anfang zu scheitern. Wir waren schon vorm Regierungsamt, als der Berater von Adamec herausgerannt kam und rief: ‚So haben wir uns nicht abgesprochen, Genossen! Havel nicht.‘ Also haben wir uns gefragt, was nun. Denn Václav Havel hatte das Mandat zu den Verhandlungen. Doch der kommunistischen Führung war dies zu riskant. Denn Havel war erst ein halbes Jahr zuvor aus dem Gefängnis gekommen. Er war für sie der Erzfeind.“

Jan Ruml  (Foto: Archiv Post Bellum)
Doch der spätere Präsident sagte noch vor Ort, dass es Momente im Leben eines Revolutionärs gebe, in denen er Unerwartetes tun muss. Vielleicht werde man ihn aus dem Bürgerforum ausschließen, aber das Treffen müsse ganz einfach stattfinden. Also sind die radikaleren Dissidenten wie Jan Ruml zu Adamec gegangen. Und die haben sich für Havel eingesetzt.

„Das Treffen fand dann ein paar Tage später statt. Davon gibt es die heute berühmten Fotografien, wie sich Adamec und Havel im Regierungsamt über dem Tisch die Hände reichen.“

Blutvergießen vermeiden

Tatsächlich hatten Michal Horáček und Michael Kocáb bereits im September mit Adamec einen Kontakt angeknüpft. Und zwar über die von ihnen gegründete Initiative Most…

„Die Initiative sollte offen sein für alle, die den Grundgedanken unterschreiben konnten. Es ging darum, ein Blutvergießen zu vermeiden, falls es auch in der Tschechoslowakei zu so etwas wie der Solidarność in Polen oder später dem Fall der Berliner Mauer in Deutschland kommen sollte. Es gab viele Menschen, die durch das kommunistische Regime zu Schaden gekommen waren und berechtigterweise großen Hass hegten. Auf der anderen Seite hatte der Staat immer noch gefährliche Mittel der Macht wie unter anderem die Armee oder die Geheimpolizei, die Miliz oder die bewaffneten Arbeiter in den Fabriken. Es war also durchaus vorstellbar, dass jemand diese Kräfte genutzt hätte, wenn eine größere Anzahl an Menschen Änderungen gefordert hätten. Und das wollten wir verhindern.“