Die Samtene Revolution in Kürze

Samtene Revolution (Foto: Bedřich Kaas, Archiv des Tschechischen Rundfunks)
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Am 17. November ist in der Tschechoslowakei der Startschuss zur Wende gefallen. Nach der Niederschlagung der Studentenproteste in der Prager Nationalstraße begab sich das Land mit schnellen, aber vorsichtigen Schritten in Richtung Demokratie.

Samtene Revolution  (Foto: Bedřich Kaas,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Kundgebung vor den Unigebäuden in der Straße Albertov 1989 | Foto: Archiv von P. Čepek,  Karlsuniversität Prag
Die Samtene Revolution hat Ende 1989 viele Vorboten. Das reicht vom Ansturm tausender DDR-Bürger auf die bundesdeutsche Botschaft im September, über die Klima-Proteste in Teplice / Teplitze im November, bis hin zur Heiligsprechung der Agnes von Böhmen zwei Tage vor Beginn der Samtenen Revolution. Das Schlüsselereignis sind aber die Studentenproteste vom 17. November. An dem Tag hat der kommunistische Jugendverband SSM zu einer Kundgebung zum Gedenken an die Opfer des 17. November 1939 aufgerufen. Damals wurden die tschechischen Hochschulen von den Nazis aufgelöst und zahlreiche Studenten ermordet oder in KZs verschleppt. 50 Jahre später ziehen rund 5000 Demonstranten von der zentralen Kundgebung vor den Unigebäuden in der Straße Albertov in Richtung Wenzelsplatz. Sie erinnern dabei aber nicht mehr nur an die Ereignisse von 1939, sondern protestierten offen gegen die Lage im Land. In der Nationalstraße wird der Zug jedoch von Sicherheitskräften eingekesselt und niedergeknüppelt. Monika Pajerová war eine der Studentenführerinnen damals:

Foto: Petr Čepek,  Karlsuniversität Prag/ ČT24
„Ich muss sagen, es war ein schreckliches Gefühl. Ich dachte, dass ich da nicht wegkomme und dass mein Leben zu Ende ist.“

An dem Abend werden über 500 junge Menschen verletzt. Die Brutalität des Staatsapparats entzündet den Funken der Revolution in der tschechoslowakischen Gesellschaft. Denn die Gewalt der Polizisten und Milizionäre treibt weitere Bürger auf die Straße. Dazu trägt auch das Gerücht bei, dass der Student Martin Smid von der Polizei totgeprügelt worden sei. Die Proteste nehmen in den kommenden Wochen kontinuierlich zu.

Eine Chance für die Opposition

Alexander Dubček  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Nun sieht auch die Opposition ihre Stunde gekommen. Im Theater Činoherní klub treffen sich am 19. November ihre wichtigsten Vertreter. Sie gründen das sogenannte Bürgerforum als politisches Gegengewicht zu den regierenden Kommunisten. Auf dieser Oppositionsplattform treffen sich Protagonisten des Prager Frühlings von 1968 wie etwa der damalige KP-Chef Alexander Dubček, Unterzeichner der Bürgerrechtspetition Charta 77, aber auch Unabhängige und Vertreter kleinerer Politgruppen. Zur Schlüsselfigur wird der Literat und Dissident Václav Havel. Er ist von Anfang an überzeugt, dass das Bürgerforum die Stimme der Mehrheit in der Tschechoslowakei ist:

„Viele Unternehmen, Ämter, Schulen, Institutionen und Organisationen sehen das Bürgerforum als den natürlichen Vertreter ihres bürgerlichen Willens.“

Die regierenden Kommunisten bleiben weiterhin hart. Zwar gibt es erste Kontakte zwischen dem Regime und der Opposition, doch von einem Wandel ist bisher nichts zu spüren. Auch werden immer mehr Sicherheitskräfte in der Hauptstadt zusammengezogen. Und die Partei will von ihrer Linie nicht abrücken, wie Generalsekretär Milouš Jakeš in einer Sonderansprache im Fernsehen klarmacht:

Milouš Jakeš  (Foto: ČT24)
„Ich wende mich an Euch, alle Arbeiter und Bauern, sowie an die Intelligenz und die jungen Menschen. Ebenso an alle Kommunisten und Mitglieder der politischen Parteien und der Nationalen Front. Wir müssen alles dafür tun, die derzeit angespannte Lage zu überwinden. Die einzige Perspektive für unser Land ist der Weg der sozialistischen Entwicklung.“

Weitere Proteste lassen sich aber nicht mehr verhindern. Nun treten auch prominente Persönlichkeiten auf, die in den Jahren davor zum Schweigen verurteilt waren. Am 22. November zeigt sich die Sängerin Marta Kubišová vor der Menge auf dem Wenzelsplatz. Sie stimmt ihren Protestsong „Modlitba pro Martu“ / „Gebet für Marta“ aus dem Jahr 1968 an.

Kein Weg mehr führt zurück

Karel Kryl und Karel Gott  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Langsam wird es immer enger für die Kommunisten, und parteiintern rollen die ersten Köpfe. Am 24. November muss Parteichef Jakeš seinen Hut nehmen. Bei der Opposition wird das mit Jubel empfangen. Am Tag darauf kommt es auf der Letná-Anhöhe zur größten Demonstration der tschechoslowakischen Geschichte. Auch Václav Havel spricht vor den knapp 800.000 versammelten Menschen:

„Wir müssen Geduld haben, vorsichtig sein und den Druck auf die Regierenden erhöhen. Das ist die einzige Möglichkeit, wie wir die Tür, die derzeit nur einen Spalt offen steht, ganz weit öffnen können.“

Ab da scheint es, als sei die Revolution nicht mehr aufzuhalten. Havel trifft sich am 26. November erstmals mit dem kommunistischen Premier Ladislav Adamec zu Verhandlungen. Einen Tag später machen 75 Prozent der tschechoslowakischen Bürger der Regierung bei einem zweistündigen Generalstreik jedoch klar, dass sie nicht mehr hinter ihr stehen. Das Motto des Ausstands: „Schluss mit der Herrschaft einer Partei“. Am Abend kommt es schließlich zu einer denkwürdigen Szene, als der Liedermacher Karel Kryl – der kurz zuvor aus seinem Münchner Exil zurückgekehrt war – gemeinsam mit Karel Gott auf dem Wenzelsplatz die Nationalhymne anstimmt.

Aufbruch in eine unsichere Zukunft

Marián Čalfa  (Foto: ČT24)
Für die Menschen ist die Wende da schon in trockenen Tüchern. Politisch ist sie aber noch lange nicht abgeschlossen. Mehrmals wird die Regierung erfolglos umgebildet, während gleichzeitig die Grenzen zum Westen fallen. Am 13. Dezember ernennt Staatspräsident Gustav Husák unter dem kommunistischen Premier Marián Čalfa die erste Regierung seit 1948, in der auch nicht-kommunistische Minister ihren Platz finden. Gleichzeitig verkündet Husák seinen Rücktritt.

Ende Dezember schließlich ist die Samtene Revolution auch politisch besiegelt. Am 21. wird mit den Volksmilizen eines der letzten kommunistischen Repressionsorgane aufgelöst, die Stasi fiel schon vorher in sich zusammen. Am 28. Dezember werden durch das sogenannte Kooptations-Gesetz die ersten nicht-kommunistischen Parlamentarier in der Föderalversammlung vereidigt, und Alexander Dubček wird zum Parlamentspräsidenten gewählt. Am 29. Dezember schließlich wird Václav Havel von den Abgeordneten zum ersten Präsidenten der Tschechoslowakei seit 1948 gewählt, der kein rotes Parteibuch hat:

Damit startet ein neues Kapitel in der Geschichte der Tschechoslowakei. Die folgenden Jahre sind zwar frei, doch bringen sie unzählige neue Probleme mit sich. Zunächst fordert die wirtschaftliche Transformation viele materielle Opfer, und 1993 zerfällt schließlich der gemeinsame Staat von Tschechen und Slowaken.