Premierminister Paroubek in Wien - ein Rückblick auf einen viel beachteten Besuch

Der tschechische Premierminister Jirí Paroubek mit seinem Amtskollegen Wolfgang Schüssel (Foto: Autor)
0:00
/
0:00

In Tschechien ist sie - wenigstens bis jetzt - eines der beherrschenden Themen des diesjährigen Sommers: Die Geste, die der tschechische Regierungschef Jirí Paroubek gegenüber sudetendeutschen Antifaschisten setzen will, um deren einstigen Kampf für den Erhalt einer demokratischen Slowakei zu würdigen. Im In- und Ausland sorgte der Vorschlag für lebhafte Diskussionen, und er bildete auch beim Wienbesuch Paroubeks am Donnerstag vergangener Woche einen thematischen Schwerpunkt. Doch auch andere Fragen gab es in der österreichischen Hauptstadt zu besprechen. Gerald Schubert hat Jirí Paroubek nach Wien begleitet und folgenden Rückblick gestaltet:

Der tschechische Premierminister Jirí Paroubek  (links) mit seinem Amtskollegen Wolfgang Schüssel  (Foto: Autor)
Kanzler Schüssel sei wohl langsam schon ein Experte, was tschechische Premierminister betrifft, sagte Jirí Paroubek bei einem Gespräch mit Journalisten im Wiener Hotel Imperial. Denn er selbst sei immerhin bereits der vierte tschechische Regierungschef in Schüssels Amtszeit.

Die Rechnung ist korrekt: Milos Zeman, Vladimír Spidla, Stanislav Gross und jetzt eben Jirí Paroubek: So heißen in chronologischer Reihenfolge die - allesamt sozialdemokratischen - tschechischen Amtskollegen von Wolfgang Schüssel.

Eine anerkennende Geste gegenüber Deutschen, die in der Tschechoslowakei gelebt hatten und sich während des Zweiten Weltkriegs und davor nicht vom großdeutschen Wahn Adolf Hitlers und seiner sudetendeutschen Helfershelfer hatten anstecken lassen, eine solche Geste hat bereits die Regierung Spidla geplant. Als Zielgruppe galten damals jene Deutschen, die immer noch tschechische Staatsbürger sind, nach dem Krieg als Antifaschisten nicht vertrieben wurden, jedoch Repressalien ausgesetzt waren oder sogar Zwangsarbeit leisten mussten. Diese Personen sollten eine symbolische Entschädigung in Form eines kleineren Geldbetrages erhalten und damit späte Würdigung erfahren. Es wurde nichts daraus. Der innenpolitische Konsens war nicht ausreichend, und als Spidla vor einem Jahr nach der sozialdemokratischen Schlappe bei den Europawahlen zurücktrat, wurde es wieder ruhig um die Geste an die Deutschen.

Jirí Paroubek  (rechts) in Wien  (Foto: Autor)
Jirí Paroubek hat den Gedanken nun erneut aufgegriffen. Bis jetzt ist noch gar nicht ganz klar, an wen konkret sich eine Geste diesmal richten würde und wie sie genau aussehen soll. Trotzdem waren die Reaktionen in Tschechien gespalten, wie Paroubek auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Wolfgang Schüssel im Wiener Kanzleramt sagte:

"Eine Geste, die die Rolle von deutschen Antifaschisten würdigt, welche einst Staatsbürger der Tschechoslowakei waren, wird außer von den Regierungsparteien auch von den Kommunisten unterstützt. Dagegen sind nur die Demokratische Bürgerpartei (ODS) und Präsident Klaus. Mit einem gewissen Bedauern muss ich sagen: Damit haben sich der Präsident und die Demokratische Bürgerpartei in die Gesellschaft derer begeben, die auf österreichischer Seite eine solche Geste ablehnen. Konkret in die der Sudetendeutschen Landsmannschaft Österreichs."

Klaus hatte sich in seiner ablehnenden Haltung unter anderem auf die Deutsch-tschechische Erklärung des Jahres 1997 berufen. Deshalb, so Paroubek, habe dieser die Problematik wohl nicht ganz verstanden. Denn in seinem Vorschlag gehe es nicht um "die Sudetendeutschen" ganz allgemein, und auch nicht um ihre Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg. Vielmehr habe er genau jene Deutschen im Auge, die sich im Zusammenhang mit der Besatzung durch Hitler-Deutschland als Antifaschisten profiliert hatten - etwa Sozialdemokraten, Kommunisten oder auch katholische Priester. Václav Klaus reagierte in einer Sendung des privaten Fernsehsenders Nova:

"Erstens verstehe ich die Problematik sehr gut. Und zweitens halte ich die Worte Paroubeks für außerordentlich dreist. Ich habe das Gefühl, er hat den Verstand verloren."

Soweit die bereits legendären innenpolitischen Scharmützel zwischen Paroubek und Klaus. Der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hingegen begrüßt die Initiative Paroubeks:

"Zum ersten Mal wird hier wirklich differenziert. Es wird von der Kollektivschuldthese, die in der kommunistischen Zeit vertreten wurde, abgegangen. Das halte ich für einen sehr wichtigen Schritt."

Dass nicht nur Kritik aus Tschechien kommt, sondern auch von der Sudetendeutschen Landsmannschaft Österreichs, die Paroubeks Vorschlag als "diplomatischen Trick" und als Versuch zur Spaltung der Sudetendeutschen gewertet hat, ist für Schüssel kein Grund zur Resignation. Im Gegenteil:

"Natürlich ist eine solche Geste für die Landsmannschaften zu wenig, und für andere Kräfte in der Tschechischen Republik bereits zu viel. Das zeigt, dass es nicht leicht ist, Geschichte aufzuarbeiten. Und es zeigt auch - darin besteht der Mut des tschechischen Regierungschefs, den ich sehr anerkenne - dass es wichtig ist, aus Eigenem, ohne Druck von außen oder von oben, eine solche Aufarbeitung der Geschichte zu betreiben."


Am Abend zog Premierminister Paroubek in der tschechischen Botschaft unweit vom Wiener Schloss Schönbrunn eine Bilanz seines Besuches: Die Gespräche mit dem österreichischen Präsidenten Heinz Fischer und mit Bundeskanzler Schüssel seien sehr positiv verlaufen, sagte er in einer Ansprache für geladene Gäste. Für Paroubek ist das nicht nur Ergebnis bilateraler Bemühungen, sondern auch ein Aspekt der europäischen Integration und der Erweiterung der EU:

Innenminister Frantisek Bublan  (links unten) in Wien  (Foto: Autor)
"Der Beitritt der Tschechischen Republik zur EU verlieh unseren Beziehungen eine neue Qualität und schuf im Interesse ganz Europas neuen Raum für gemeinsame Aktivitäten."

So etwa hätten Tschechien und Österreich übereinstimmende Positionen zum europäischen Verfassungsvertrag. Beim EU-Gipfel im Juni hätten die beiden Länder außerdem weitgehend an einem Strang gezogen, als es darum ging, einen Budgetrahmen für die Jahre 2006 bis 2013 festzulegen - leider erfolglos, wie sich gezeigt hat. Aber:

"Dies sind europäische Themen, die uns verbinden. Unsere bilateralen Beziehungen sind im Aufschwung begriffen. Sie sind außerordentlich intensiv strukturiert, umfangreich, decken eine ganze Reihe von Bereichen ab und finden auf den verschiedensten Ebenen Ausdruck."

Besonders gut messbar sind die wechselseitigen Beziehungen auf dem Gebiet des wirtschaftlichen Austausches:

"Österreich ist heute unser drittgrößter Handelspartner und ausländischer Investor. Demgegenüber ist die Tschechische Republik der fünftbedeutendste Exporteur nach Österreich."

Auch die Qualität der vertraglichen Grundlagen im bilateralen Verhältnis würde sich zur Zufriedenheit beider Seiten ständig weiter verbessern, meinte Paroubek, und wies auf das Abkommen über die Vertiefung der Polizeizusammenarbeit hin, das von Innenminister Frantisek Bublan und seiner österreichischen Amtskollegin Liese Prokop ebenfalls am Donnerstag vergangener Woche im Wiener Kanzleramt unterzeichnet wurde.

"Insgesamt kann ich also mit Zufriedenheit konstatieren, dass die heutigen tschechisch-österreichischen Beziehungen so gut wie nie zuvor sind, und dass beide Regierungen entschlossen sind, diesen Trend weiter fortzusetzen."


So gut wie nie zuvor. Auf dem Parkett bilateraler Beziehungen mag dies eine Standardformulierung sein. Aber dass sie benutzt wurde, das zeugt immerhin von der tatsächlich guten Qualität des tschechisch-österreichischen Verhältnisses. Einstige Streitfragen wie das südböhmische Kernkraftwerk Temelín kamen gar nicht oder nur ganz am Rande zur Sprache. Auch Themen sind mittlerweile grenzüberschreitend geworden. Atomkraftgegner etwa gibt es auch in Tschechien. So wie es in Österreich Leute gibt, die nichts von einer Geste an die sudetendeutschen Antifaschisten wissen wollen.