Kirche und Internet in Tschechien

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Siemens ist wohl ein sehr weltlicher Konzern. Immer auf der Höhe der Zeit, immer auf dem neuesten Stand, immer auf der Suche nach neuen Innovationen. Was mehr als ein paar Monate alt ist, zählt nicht mehr, die Halbwertszeiten der Produkte nehmen rapide ab. Siemens ist in Tschechien einer der größten Arbeitgeber überhaupt. Der Konzern ist einer der sogenannten Global Player, überall auf der Welt vertreten. Das ist wohl auf den ersten Blick auch das einzigste, was den Konzern mit der Kirche verbindet. Auch die Kirche ist Global. Doch: Immer auf dem neuesten Technik-Stand? Ein 2000 Jahre alte Institution als Mitschwimmer der digitalen Revolution? Aber ja doch. Zehn, elf Bischöfe lieferten den eindrucksvollen Beweis: Sie nutzten einen Tag lang in der Zentrale des tschechischen Siemens-Ablegers feinste Technik, um sich mit dem Internet vertraut zu machen, zu surfen und etwas über Chancen und Möglichkeiten für Seelsorge via Internet zu erfahren. Ein Studientag für die tschechische katholische Bischofskonferenz einmal anders. Dass nämlich auch für die Kirche im Netz immense Vorteile bestehen, ist eine Erkenntnis, die mehr und mehr Gemeinden und Bistümer, auch den Vatikan erfasst. Der Pilsener Bischof Frantisek Radkovsky beispielsweise ist einer der großen Verfechter der digitalen Netzwelt:

Kein Wunder eigentlich, dass Radkovsky sich so über das Internet begeistert. Denn er ist, wie die meisten kirchlichen Würdenträger in der Tschechischen Republik, eigentlich zunächst anders ausgebildet worden. Weltlich sozusagen: Als Physiker. Aber auch als Geistlicher ist die Begeisterung durchaus angebracht. Das weiß auch Manfred Lay von der deutschen katholischen Glaubensinformation. Lay ist seit vier Jahren bereits mit dem Medium Internet beschäftigt. Und seine Erfahrungen sprechen eindeutig für das neue Medium. Die Kirche, meint er, kann sich dem zumindest nicht mehr entziehen.

Anonymität als Chance - das war das Schlagwort, mit dem Lay und sein Kollege Michael Belzer die tschechischen Würdenträger zu überzeugen versuchten, dass gerade das Internet für Zweifler Türen und Tore zur Kirche öffnen können. Denn oft ist es schwieriger, einen Termin beim örtlichen Pfarrer zu bekommen als beim Finanzamt. Aber mal eben kurz auf die mittlerweile zahlreiche vertretenen Online-Seiten der Kirche zu klicken, ist dagegen alles andere als schwierig. Die haben im Gegensatz zur realen Kirche immer offen, 24 Stunden am Tag, gerade für diejenigen, die sich vielleicht für Religion interessieren, aber noch nicht wissen, ob sie sich dort wiederfinden. Information und schließlich Kommunikation sind deshalb via Internet möglich. Was bedeutet Seelsorge im Internet jedoch eigentlich?

Gerade die Kirche ist für eine intensive Nutzung des Netzes prädestiniert, da waren sich auch die Bischöfe aus Tschechien einig. Immerhin ist - relativ gesagt - Kirche nichts anderes ale ein Kommunikationsunternehmen mit 2000jährigem Know-How. Kirchliche Inhalte müssen also nur mit neuer Technik verbunden werden. Dann kann die globale urbi add orbi-Struktur wunderbar funktionieren. Schwäermerei? Wohl nicht, meint Lay. Doch er warnt: Die Kirche muss im Angebot von Millionen anderen Seiten konkurrenzfähig bleiben:

Also müssen ständige neue Aufarbeitungen der Seiten, sogenannte updates, geleistet werden, die Besucherfreundlichkeit muss kann weit oben auf der Skala stehen. Bei der Analyse der tschechischen Kirchen-Websites gab es dann nicht nur Lob, sondern auch Anregung und Kritik. Mittlerweile sind in Tschechien zahlreiche Kirchenseiten im Netz vertreten. Allein auf dem Link vira.cz - zu deutsch: Glaube - klicken sich monatlich über 24.000 Menschen ein, Tendenz steigend. Jedes Bistum hat mittlerweile seine eigenen Homepages. Die Kommunikation in der Bischofskonferenz läuft teilweise digital. Und Erzbischof Miloslav Vlk spornt seine Kollegen an, noch mehr auf das neue Medium zu setzen. Sein Kollege Frantisek Radkovsky unterstützt ihn dabei:

Denn gerade in Tschechien haben sich während der vergangenen Jahrzehnte unter realem Sozialismus viele Leute abgewandt von der Kirche. Das heißt nicht, dass sie für die Kirche verloren sind: Informationen und Angebote via Internet helfen, sich neu zu orientieren. Doch Vorsicht: Vor Missbrauch macht auch oder gerade das worldwideweb nicht halt. In Deutschland gibt es bereits einige Beispiele, wie mit Kirche Schindluder betrieben wurde. Beispiel: Der Link beichte.de lud Internet-Nutzer ein, ihre Sorgen und Sünden dort abzuladen. Ein, zwei fromme Sprüche hinterher, und die elektronische Absolution war bereits erteilt. In Tschechien, betont Radkovsky, gab es bislang noch keine Probleme. Aber die Zahl der Benutzer ist noch insgesamt relativ gering. Ohnehin: Bei allem Lob und aller Offenheit für das Internet - es hilft der Kirche allenfalls, zumindest attraktiv zu bleiben und den alten Glauben neu zu vermitteln. Dass die Netzwelt die ultimative Lösung ist, daran glaubt auch Manfred Lay nicht so ganz:

So gab es am Ende der kirchlichen Internet-Studien beim Weltkonzern Siemens zwei Erkenntnisse: Zum Einen, dass sich Manfred Lay und sein Kollege Michael Belzer beeindruckt zeigten vom regen Interesse der tschechischen Bischöfe. Denn dass die deutsche Bischofskonferenz einmal komplett vor den Rechnern zusammengetrommelt wird, daran glauben die beiden wohl nicht mehr. Und die Bischöfe nahmen - allgemeiner Tenor - eine ganze Menge Impulse für ihre tägliche Arbeit mit nach Hause. Und Siemens? Für den Konzern war es eine wohl einmalige Erfahrung, kirchlichen Würdenträgern zu zeigen, dass hinter den täglichen Vokabeln, mit denen die Mitarbeiter zu tun haben, auch viel Positives stecken kann. "Customer-Relationship-Management" und "Usability-Tests", Benutzerfreundlichkeit und Links - das sind Schlagworte, mit denen sich nicht nur aufstrebende Experten der New Economy in globalisierten Unternehmen beschäftigen, sondern auch Würdenträger in tschechischen Gotteshäusern. Allerdings: Ein wirklicher Gang in die Kirche wird wohl für die meisten besinnlicher bleiben als der alltägliche Klick auf die Kirchen-Homepages.

Autor: Jürgen Webermann
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