„Es würde sowieso niemandem auffallen“

Foto: Vito Manzari, CC-BY-2.0

Tschechien gilt als unnachgiebig in der Flüchtlingsfrage. Zuletzt bestätigte Premier Andrej Babiš erneut, dass man partout keine Migranten und Schutzsuchenden aufnehmen wolle. Doch es gibt auch andere Stimmen.

Foto: Vito Manzari,  CC-BY-2.0
Vor knapp einem Monat verschärfte sich der Ton Prags in der Migrationsfrage noch einmal. Auslöser war ein Schiff mit 450 afrikanischen Flüchtlingen und Migranten, das aus Libyen in Richtung Europa trieb. Italien verweigerte die Aufnahme, man habe keine Kapazitäten mehr, war die Begründung. Gleichzeitig bat Rom um die Hilfe der europäischen Partner – letztlich stimmten unter anderem Frankreich, Spanien oder Deutschland der Aufnahme von einigen der Afrikaner zu. Ein klares Nein kam jedoch aus Prag, und besonders deutlich von Premier Andrej Babiš (Partei Ano). Im Laufe des vergangenen Monats wuchs sich das zum handfesten Streit zwischen Italien und Tschechien aus, nun wollen sich die Regierungschefs beider Länder zu Beratungen treffen. Für Babiš ist an der Position Tschechiens nicht zu rütteln, wie er in einem Gespräch für das Tschechische Fernsehen noch einmal bekräftigte:

„Die italienische Lösung ist der direkte Weg in die Hölle. Premier Conte versteht überhaupt nicht die Grundlagen des Problems. Die Menschen, die da illegal kommen, sind überhaupt nicht auf Arbeit in Europa aus. Sie kommen wegen der Sozialleistungen – und das nachdem sie viel Geld an Schlepper gezahlt haben. Diese verdienen dadurch Milliarden an Euro. Die einzige Lösung ist, dass wir die Migration schon in den Herkunftsländern stoppen.“

Babiš sieht vor allem in den anderen drei Visegrád-Staaten, aber auch in Österreich und Bayern klare Verbündete in der Frage.

Regionalpartei wagt Vorstoß

Bisher schien es so, als ob die tschechische Politik parteiübergreifend geschlossen hinter der harten Haltung gegenüber Migranten steht. In Brno regt sich jedoch Zweifel an der Ablehnung von Menschen aus Elends- und Kriegsgebieten. Einen Vorstoß lieferte die Regionalpartei Žít Brno, die immerhin zweitstärkster Koalitionspartner im Magistrat von Brno ist, also der zweitgrößten Stadt des Landes. Parteichef Matěj Hollan wollte dem italienischen Premier eigenständig anbieten, dem Mittelmeerland einige Dutzend Migranten abzunehmen. Gegenüber der Tageszeitung Právo erklärte der Stadtpolitiker Mitte Juli:

„Die Aufnahme von einigen Dutzend Migranten tut niemandem weh. Wir können auf diese Weise Solidarität zeigen mit den betroffenen Ländern. Wir rufen ja nicht zur Aufnahme von mehreren Tausend Migranten auf, das wäre dann wirklich schwierig.“

Seine Parteikollegin Barbora Antonová erklärt, wie der Aufruf gemeint ist:

„Wir wollten eine normale und natürliche Meinung in die öffentliche Diskussion lassen. Bisher hört man ja nur, dass man nicht einen einzigen Migranten ins Land lassen dürfe. Dabei passiert rein gar nicht, wenn man beispielsweise eine weitere Familie aufnimmt. Wenn Tschechien seine Verpflichtungen einhalten und etwa einhundert Menschen herholen würde, würde das sowieso keinem auffallen.“

Das Argument von Žít Brno ist: Bereits jetzt leben in Brno rund 30.000 Ausländer, rund 3000 von ihnen kommen aus dem arabischen Raum oder anderen mehrheitlich islamischen Ländern. Es stimme deshalb nicht, dass man die Migranten nicht integrieren oder sich nicht um sie kümmern könne, so Antonová. Außerdem habe sie persönlich sehr gute Erfahrungen mit Schutzsuchenden gemacht:

„Vor kurzem hatte ich Kontakt mit einer kurdischen Studentin aus Syrien. Nach zwei Jahren hatte sie hier das Gymnasium abgeschlossen, und das mit lauter Einsen im Zeugnis. Einzig in Tschechisch hatte sie eine Zwei.“

Gegen den Arbeitskräftemangel

Žít Brno will aber nicht nur, dass die Menschen aus humanitären Gründen aufgenommen werden. Die Partei will zudem auf die Schizophrenie in der tschechischen Politik aufmerksam machen – Stichwort Fachkräftemangel. Erst jüngst bilanzierte die Wirtschaftskammer das Programm „Ukrajina“, mit dem seit schon zwei Jahren Arbeitskräfte aus der Ukraine angelockt werden sollen. Bisher haben mehr als 13.000 Ukrainer das Regierungsprojekt genutzt und arbeiten hierzulande arbeiten. Sie genießen einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt, müssen nach Ablauf ihres Arbeitsvertrages jedoch wieder gehen. Ähnliche Projekte sind mit Serbien, den Philippinen oder der Mongolei geplant. Denn auf dem Arbeitsmarkt sei immer noch keine Verbesserung zu erkennen, wie sich Wirtschaftskammer-Präsident Vladimír Dlouhý beschwert:

Vladimír Dlouhý,  photo: Šárka Ševčíková,  ČRo
„Das Programm Ukrajina ist nur eine kurzfristige Lösung für den Mangel an Arbeitskräften. Eine langfristige Lösung wäre das Machen unserer Hausaufgaben. Und das bedeutet vor allem Reformen im Bildungssystem und am Arbeitsmarkt.“

Die ablehnenden Töne von Seiten der Regierung seien in diesem Zusammenhang aber eher kontraproduktiv, meint Barbora Antonová von Žít Brno:

„Man kann nicht auf der einen Seite Ausländer nach Brünn zum Arbeiten holen und auf der anderen Seite gegen die Aufnahme von weiteren Ausländern sein. Das verwirrt die Menschen. Ich kenne Fälle, bei denen Fachkräfte die Stadt verlassen haben eben wegen dieser Stimmung.“

Die Politikerin macht auf die bestehenden Missstände in der mährischen Großstadt aufmerksam.

„Das Problem mit der Migration ist in Brünn gerade andersherum, es fehlen nämlich Arbeitskräfte. Die Stadt sollte deshalb versuchen, so viele Menschen wie möglich hierher zu bekommen. Wenn alle Ausländer Brünn verlassen würden, dann würde die Industrie zusammenbrechen, und die Krankenhäuser müssten schließen.“

Parteiübergreifende Ablehnung

Die Reaktionen auf den Vorstoß von Žít Brno waren erwartungsgemäß reserviert, auch bei den Koalitionspartnern im Brünner Magistrat. So schrieb Oberbürgermeister Petr Vokřal in den sozialen Medien, Zitat:

„Sich zwei Monate vor den Wahlen auf diese Weise politische Punkte sichern zu wollen, das finde ich unpassend. Wenn die Partei dem italienischen Premier schreiben will, dann soll sie dies machen. Wir wollen uns aber nicht in die Verhandlungen zwischen zwei Regierungschefs einmischen.“

Illustrationsfoto: Pixabay,  CC0
Vokřal gehört zu Premier Babišs Partei Ano. Ähnlich wie der OB sehen es ebenfalls die Partner der konservativen Christdemokraten und der Top 09. Doch auch die Koalitionspartner von den Grünen, die sich in der Vergangenheit für die Aufnahme von Flüchtlingen positioniert hatten, halten den Vorschlag der Partei für unüberlegt. So der grüne Stadtabgeordnete Martin Ander, der sich ebenso auf Facebook dazu äußerte. Zitat:

„Das ist eine unüberlegte und theatralische Geste von Žít Brno, die wirklich Bedürftigen den Zugang zu Hilfe erschwert. Kriegsopfern zu helfen ist wichtig, und Tschechien hat auch genug Kapazitäten dazu. Integration und Hilfe muss man gründlich vorbereiten und aushandeln. In diesem Fall geschieht das aber nicht.“

Andere Parteien kritisieren die Brünner ebenso, unter anderem die Sozialdemokraten. So befürchtet beispielsweise die Bürgermeisterin des mährisch-schlesischen Havířov, Jana Feberová, dass durch die Aufnahme von Flüchtlingen gerade das entgegengesetzte politische Lager profitieren würde:

„Uns würde das nichts bringen. Ich sehe überhaupt keinen Grund, darüber nachzudenken. Populistische Debatten über die Migration hatten wir vor den Parlamentswahlen in Havířov genug – und dabei hat nur die Partei ‚Freiheit und direkte Demokratie‘ gewonnen. Ich will nicht, dass das Problem für xenophobe Aussagen missbraucht wird.“

Die Partei „Freiheit und direkte Demokratie“ (SPD) vertritt offen migrationsfeindliche und islamkritische Positionen. Sich derart vom rechten Rand einschüchtern zu lassen, ist laut Barbora Antonová nicht richtig:

„Vor der SPD und ihren Ansichten einzuknicken, gerade das wäre ein Weg in die Hölle. Mich erinnert das daran, wie Vereine und Institutionen vor dem Zweiten Weltkrieg jüdische Mitglieder ausgeschlossen haben. Das alles nur, um die Nazis nicht gegen sich aufzubringen. Heute darf das wirklich nicht mehr sein.“