„Wir müssen das Wort Vergebung beachten“

Sabine Dittrich (Foto: Till Janzer)

Sabine Dittrich hat einen Roman über die schmerzhafte tschechisch-deutsch-jüdische Geschichte geschrieben. Das Buch mit dem Titel „Erben des Schweigens“ ist nun auch auf Tschechisch erschienen – eine Begegnung mit der Autorin auf der Prager Buchmesse „Svět knihy“.

Foto: Verlag Mladá Fronta
Im Mittelpunkt des Romans stehen die deutsche Grafikerin Jael Winterstejn und der tschechische Lehrer Radek. Sie begegnen sich, als Jael in Prag nach den jüdischen Wurzeln ihrer Familie sucht. Daraus entspannt sich eine Geschichte über den Holocaust, den tschechischen Widerstand und die Vertreibung der Deutschen. Letztlich geht es um Schuld und Vergebung, Rache und Versöhnung. In einem inneren Monolog von Jael Winterstejn heißt es dabei an einer Stelle:

„Diese Schatten der Vergangenheit waren in mein Leben gekrochen und ich musste mit ihnen irgendwie fertig werden. Aber wie? Sollte ich jetzt zornig auf die Deutschen sein, weil sie meine Großeltern im KZ umgebracht hatten? Oder sollte ich es den Tschechen nachtragen, was sie Else und meiner Mutter angetan hatten? Ich bin selber Deutsche, oder etwa nicht? Und der Mann, in den ich mich verliebt habe, ist Tscheche. Was für eine Gefühls-Sackgasse.“


Sabine Dittrich  (Foto: Till Janzer)
„Erben des Schweigens“ ist vor kurzem bei Mladá fronta auch auf Tschechisch erschienen. Mitte Mai dieses Jahres hat Sabine Dittrich am Stand des Verlags bei der Prager Buchmesse „Svět knihy“ eine Autogrammstunde gehalten. Am Rande dieser Veranstaltung antwortete die Autorin auch auf einige Fragen von Radio Prag:

Frau Dittrich, in ihrem Roman „Erben des Schweigens“ geht es um die gemeinsame tschechisch-deutsche Geschichte im Zweiten Weltkrieg und danach, aber auch um Schuld und Vergebung. Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?

„Zu diesem Thema bin ich ganz persönlich gekommen, weil ich seit über 40 Jahren Freunde in Tschechien beziehungsweise der Tschechoslowakei habe. Als noch der Eiserne Vorhang bestand, waren das zunächst Brieffreundschaften. Erst nach der Samtenen Revolution konnten wir uns sehen. Irgendwann haben wir angefangen, über die schmerzlichen Themen zu sprechen. Mir stellte sich dabei immer die Frage: Was bewirkt das, was damals passiert ist, eigentlich heute noch? Ich habe mich dann ganz intensiv durch Lebensberichte und offizielle Geschichtsbücher gelesen. Irgendwann habe ich gemerkt, dass wir nicht weiter einfach Grenze an Grenze leben können, ohne das Wort Vergebung zu beachten. Denn uns beeinflusst das frühere Geschehen auch heute noch.“

„Mir stellte sich die Frage: Was bewirkt das, was damals passiert ist, eigentlich heute noch?“

Vor allem die Szenen aus der Vertreibung von Else und ihrer Familie als Deutsche aus der damaligen Tschechoslowakei schildern Sie sehr detailliert. Stehen da konkrete Schicksale im Hintergrund?

„Ja, ich habe viele Berichte von Sudetendeutschen gelesen, die ihre Geschichte gleich nach der Vertreibung weitergegeben haben. Sie haben die Geschehnisse also nicht erst dreißig Jahre später erzählt, sondern relativ knapp nach der Vertreibung. Und das hat mich sehr bewegt. Es gibt da sehr unterschiedliche Berichte, in dem Teil steht also eine wahre Geschichte dahinter.“

Illustrationsfoto: congerdesign,  Pixabay,  CC0 1.0 DEED
In Ihrem Roman hat auch der Glauben eine – meiner Meinung nach – relativ wichtige Stellung. Mir kommt es sogar so vor, als ob Sie den Glauben als Ausgangspunkt für die Möglichkeit einer Versöhnung respektive der Vergebung sehen – oder interpretiere ich da zu viel hinein?

„Das lässt sich schon so sehen. Jene Zeitzeugen, die ich getroffen habe und die nicht mehr voller Bitterkeit waren – darunter auch ganz alte Menschen –, konnten das oftmals durch ihren Glauben überwinden. Sie haben die Erfahrung gemacht, wie es ihnen geht, wenn ihnen eine Schuld vergeben wird. Und dass letztlich jeder Mensch, wenn man es von der Warte Gottes aus betrachtet, schuldig wird. Letztlich hat ihr Leben geprägt, dass ihnen Vergebung zugesprochen wurde und der Wunsch aufkam, selbst zu vergeben. Ich will das zwar nicht über einen Kamm scheren, aber die sehr verbitterten Menschen waren der Meinung, man könne das Geschehene gar nicht vergeben. Sie glaubten, Vergebung sei das Gefühl, dass alles in Ordnung sei. Das ist es aber nicht. Letztlich ist es die Entscheidung, nicht selbst den Giftbecher zu trinken, der eigentlich für jemanden anderes bestimmt ist. Das hat mich sehr fasziniert.“

„Erben des Schweigens“ ist im vergangenen Jahr auch auf Tschechisch herausgekommen. Wie schwer war es, einen Verlag dafür zu finden?

Buchmesse in Prag  (Foto: Ondřej Tomšů)
„Ich war 2014 oder 2015 zusammen mit einer tschechischen Freundin – Ivana, der das Buch auch gewidmet ist – auf der Buchmesse hier in Prag. Sie sagte: ‚Jetzt schauen wir mal, welcher Verlag dafür geeignet ist.‘ Darüber werden Ihre Hörer wohl eher lachen, aber es war wirklich so. Nur zwei Verlagen haben wir das Buch persönlich gegeben. Danach haben wir erst einmal sehr lange nichts gehört. Vom einen Verlag hieß es immer: ‚Jaja, wir wollen das.‘ Vom anderen kam ein dreiviertel Jahr lang gar nichts, bis mich eine E-Mail erreichte mit der Frage, ob die Lizenz noch zu haben sei. Wenn ich sehe, wie viel meine Kolleginnen oft damit zu tun haben, einen Verlag zu finden, dann finde ich: Es war einfach. Aber ich glaube nicht an den Zufall – so geht ja auch der erste Satz im Buch los.“

Sie waren bis vor kurzem noch Inhaberin einer Buchhandlung in Hof. Welche Rolle hatte da tschechische Literatur, und welche Beziehung haben Sie zur Literatur des Nachbarlandes?

„Einen tschechischen Verlag zu finden war einfach. Aber ich glaube nicht an den Zufall.“

„Ich habe mir einen Namen damit gemacht, in der Stadt diejenige zu sein, die alles besorgen kann, was mit Tschechien zu tun hat. Hof an der Saale liegt ja nicht weit von der Grenze entfernt. Radführer, Karten und solche Sachen waren Standardprogramm bei uns. Bei der tschechischen Literatur ist jedoch das Problem: Was ist übersetzt? Wir haben aber doch einiges im Angebot gehabt.“

Warum haben Sie denn eigentlich Ihren Buchladen aufgegeben?

Hofer Volkshochschule  (Foto: Archiv der Volkshochschule Stadt Hof)
„Ich musste ihn aufgeben, weil mir ganz einfach die Kundschaft gefehlt hat. Meine Vorgänger haben zwar Kriege und alle Mögliche überstanden. Aber gegen Amazon konnte ich nicht mehr ankommen, und dann hat die Stadt auch noch begonnen, direkt vor meinem Laden Löcher graben zu lassen. Selbst habe ich umsonst gearbeitet, doch auf Dauer geht das nicht. Es war ein sehr schmerzlicher Schritt, den ich aber letztlich gegangen bin. Diese Tür ging zu, und andere Türen gingen auf – so ist das im Leben manchmal.“

Bedeutet das, dass Sie Vollautorin geworden sind?

„Nein, ich arbeite nicht nur als Autorin, sondern halte auch Vorträge. Erst vor drei Wochen habe ich an drei Abenden an der Hofer Volkshochschule Božena Němcová, Karel Čapek sowie Kateřina Tučková vorgestellt. Um ein Volk kennenzulernen, muss man sich mit seiner Musik beschäftigen, mit seinen Spezialitäten zum Essen und Trinken sowie mit der Literatur. Und das möchte ich den Deutschen gerne näherbringen. Zu den Vorträgen laden mich Verbände und Vereine ein, oder ich halte sie eben an der Volkshochschule. Mittlerweile bin ich ein bunter Hund in der Szene, die sich mit Tschechien und den deutsch-tschechischen Beziehungen beschäftigt.“

Autor: Till Janzer
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