„Überwältigender Raum moderner Architektur“ - Daniela Hammer-Tugendhat über die Villa ihrer Familie

Daniela Hammer-Tugendhat (Foto: Barbora Kmentová)

Die Brünner Villa Tugendhat ist das einzige moderne Baudenkmal in Tschechien, das auf der Weltkulturerbeliste der Unesco steht. Der Architekt Mies van der Rohe hat das einzigartige Familienhaus in den Jahren 1929/1930 für das Ehepaar Fritz und Greta Tugendhat erbaut. Die Familie konnte aber nur einige Jahre in der Villa wohnen, denn 1938 mussten die Tugendhats vor den Nazis aus der damaligen Tschechoslowakei fliehen. Sie gingen zunächst in die Schweiz und später nach Venezuela. Daniela Hammer-Tugendhat ist die jüngste Tochter von Fritz und Greta Tugendhat. Die Universitätsprofessorin für Kunstgeschichte hat sich zusammen mit ihrem Mann, dem Kunsthistoriker und Restaurator Ivo Hammer, jahrelang für eine Restaurierung der Villa Tugendhat eingesetzt. Im vergangenen Jahr nahm Daniela Hammer-Tugendhat an der feierlichen Wiedereröffnung der Villa nach der denkmalgerechten Wiederherstellung teil.

Daniela Hammer-Tugendhat
Frau Tugendhat, wann haben Sie die Villa Ihrer Eltern zum ersten Mal besuchen können?

„Ich war zum ersten Mal 1969 und 1970 da. Ich war junge Studentin in Wien. Damals gab es schon den Versuch vom Architektenverband, dass die Villa restauriert und öffentlich zugänglich gemacht werden sollte. Ich war damals mit meiner Mutter da. Das war sehr eindrucksvoll, weil meine Mutter zum ersten Mal nach dem Krieg in das Haus zurückkam. Ihr Wunsch war es, dass das Haus restauriert und öffentlich zugänglich gemacht wird.“

Haben Sie während Ihrer Kindheit von Ihrer Mutter mehr über die Villa erfahren?

„Ich bin im Gegensatz zu meinen älteren Geschwistern in Caracas geboren – das heißt, ich habe nie in dem Haus gelebt. Während meines Kunstgeschichtestudiums habe ich erst angefangen, mich wirklich dafür zu interessieren. Meine Mutter wurde Ende 1970 überfahren, da war ich erst 24. Ich habe leider nicht mehr die Gelegenheit gehabt, mit ihr über die Villa viel zu sprechen. Ich war hier noch 1969 und 1970 und im Zuge dessen haben wir darüber gesprochen –aber davor war es selten ein Thema.“

Villa Tugendhat
Ihre Mutter hat damals auf Tschechisch einen Vortrag gehalten, es gab sogar eine Konferenz zu diesem Thema. Da waren sie auch mit dabei...

„Das war ein sehr wichtiger Vortrag, weil der die Basis für die heutige Forschung ist. Meine Mutter hat Dinge erklären können, die sonst niemand mehr gewusst hat. Als sie hier gelebt hatte, hatte sie einen Tschechisch-Lehrer. Sie und mein Vater lernten Tschechisch und mein Bruder ging auch in die tschechische Schule.“

War Ihre Mutter die Initiatorin, die Ludwig Mies van der Rohe damals kontaktiert hat?

„Ich glaube schon. Meine Mutter hat in der ersten Ehe in Sagan in Schlesien gelebt und hat dann im Haus von dem Kunsthistoriker Eduard Fuchs in Berlin verkehrt. Der wohnte in einem Haus, welches Mies gebaut hatte. Das war ein sehr einfaches Haus, da sieht man Mies’ Ideen noch kaum. Aber sie hat sicher die Weißenhofsiedlung in Stuttgart gekannt. Als meine Eltern sich dann entschieden ein Haus zu bauen, haben sie zuerst an Arnošt Wiesner gedacht, einen tschechischen Architekten. Meine Mutter hat dann vorgeschlagen, doch noch nach Berlin zu fahren, um mit Mies ein Gespräch zu führen. Dann waren sie beide von der Persönlichkeit des Architekten so begeistert, dass sie sich sofort entschieden haben, ihm den Auftrag zu geben.“

Wie war das mit dem Grundstück, haben das die Großeltern gekauft?

„Die Großeltern hatten eine Jugendstilvilla, die heute noch steht, mit einem riesigen Park. Sie haben meiner Mutter zur Hochzeit den oberen Teil des Gartens geschenkt und auch das Haus bezahlt. Die Familie meiner Mutter – Löw-Beer - war sehr wohlhabend. Meine Mutter war 27 - sie hätte sich das nie leisten können. Das Haus war die Vorauszahlung für ihr Erbe, weil sie, im Unterschied zu ihren beiden Brüdern, nicht an den Fabriken beteiligt war.“

Gelang es ihren Eltern bei der Flucht nach Südamerika einige Sachen mitzunehmen?

„Es ist erstaunlich, aber sie haben einige Möbel mitgenommen. Sie waren zuerst in der Schweiz, dann sind sie nach Venezuela gegangen und dann wieder zurück in die Schweiz. Sie haben Möbel mitgenommen, und die sind in einem erstaunlich guten Zustand, trotz dieser Klimaveränderungen. Es gibt aber einige Originalmöbel, die sie nicht mitgenommen haben. Vier davon befinden sich in der Mährischen Galerie, diese sind der Familie 2006 restituiert worden. Mit der Mährischen Galerie war ausgemacht, dass sie die Möbel der Familie abkauft und diese nach der Restaurierung in das Haus zurückstellt. Das ist bisher nicht geschehen. Gleichzeitig hat der Staat ein Ausfuhrverbot verhängt, so dass wir jetzt in einer paradoxen Situation sind: Die Möbel wurden uns zurückgegeben, aber wir können sie nicht ausführen und was ausgemacht wurde, passiert nicht. Wir hoffen, dass das noch geschehen wird.“

Ich habe gehört, dass Ihre Familienmitglieder während des Kommunismus in Kontakt mit dem Architekten Kalivoda waren. Wenn es um die Instandsetzung der Villa ging, war es während des Kommunismus überhaupt möglich, etwas zu initiieren?

„Der Anfang der Kontaktaufnahme kam vom Architektenverband und vor allem von František Kalivoda. Ich glaube, dass waren die Nachwehen von dem Prager Frühling. Es gab viel Briefverkehr zwischen Kalivoda und meiner Mutter – ihre Beziehung war sehr gut. Sie hatten eigentlich geplant, ein Buch über das Haus zu schreiben. Dann ist meine Mutter Ende 1970 überfahren worden und kurz danach ist Kalivoda gestorben. Danach sind die Verbindungen weitestgehend abgerissen. In den 1980er Jahren haben die Brünner dann das Haus renoviert, aber nicht restauriert. Wir haben immer wieder versucht Kontakte herzustellen, aber das war sehr schwierig.“

Haben Sie in den 1990er Jahren versucht, die Villa zurückbekommen?

„Wir haben das unter den Geschwistern in den 1990er Jahren diskutiert. Wir haben entschieden, es nicht zurückzufordern, weil niemand von uns in dem Haus wohnen würde. Und wir würden eher unsere Seelen, als das Haus verkaufen. Wir wollten eine Stiftung gründen, weil es uns nur darum ging, dass das Haus öffentlich zugänglich gemacht und gut restauriert wird. Dann haben wir festgestellt, dass wir weder die Energie, noch die Zeit, noch das Geld haben, dies zu tun. Wir haben es dann leider erst 2006 versucht, weil wir den Eindruck hatten, dass das Haus nicht restauriert werden würde. Die Schäden an dem Haus waren so gravierend, dass wir Angst hatten, dass es kaputt geht. Um das zu verhindern, legte uns ein Züricher Anwalt nahe, die Restitution zu beginnen. Es war ein dorniger Weg. Wenn ich gewusst hätte, was das alles mit sich bringt, hätte ich das nie begonnen. Im Endeffekt ist uns die Villa nicht zurückgegeben worden. Wir hatten eine sehr schwere Zeit.“

Es wurde gleich nach dem Bau der Villa eine Diskussion geführt, ob man dort wohnen könnte. Mir wurde während einer Führung durch die Villa erzählt, dass es dort sogar einen Sandkasten und ein Schwimmbecken gab. Die Kinder haben dort bestimmt getobt. Wie hat man in der Villa also gewohnt?

„Es gab diese Diskussion in ‚Der Form’, der Werkbundzeitschrift. Die Diskussion hat der Architekturkritiker Justus Bier in ‚Der Form’ mit dem Titel ‚Kann man im Haus Tugendhat wohnen’ begonnen. Er hat befunden, dass man dort nicht wohnen kann, weil es eine Repräsentationswohnung wäre. Es gab mehrere Leute - Riezler, Ginzburg und Hilberseimer – die mitdiskutiert haben. Auch meine Eltern haben dazu geschrieben. Es gibt zwei wunderbare Artikel, in denen sie beide schreiben, dass sie leidenschaftlich gern und gut in diesem Haus leben. Deswegen habe ich auch mein Buch – gemeinsam mit meinem Mann und Wolf Tegetthof - geschrieben, was jetzt in einer sehr geänderten Fassung herauskommt. Darin publiziere ich die privaten Fotos meines Vaters. In den Fotos wird anschaulich, wie gut diese Familie in diesem Haus gelebt hat. Die Kinder haben im Wohnzimmer gespielt und sind auf den Barcelona-Stühlen herumgeklettert. Sie haben vorwiegend draußen auf der Terrasse und in dem riesigen Garten gelebt, wo ein Sandkasten war und sie mit Autos herumgefahren sind. Ich habe in meinem Buch einen längeren Artikel darüber geschrieben, ob man im Haus Tugendhat wohnen kann, und der endet mit dem Satz ‚Meine Eltern konnten es’.“

Könnten Sie sich das heutzutage vorstellen?

„Nein, sicherlich nicht. Aber jede Art von Kunst muss man im sozialen und historischen Kontext sehen. Die Bedingungen heute sind so, dass ich sagen würde, ich könnte mir das so nicht mehr vorstellen. Es war einfach eine andere Zeit mit anderen sozialen Zusammenhängen.“

Können Sie sich vorstellen, dass die Villa auch anders und nicht nur als Museum genutzt wird?

„Ja, das kann ich. Ich weiß auch, dass meine Mutter damals sehr dafür plädiert hat, dass das Haus nicht nur ein totes Museum ist. Ich finde es sehr gut, dass Besucher das Haus sehen können, aber ich finde, man könnte darin ohne Weiteres kulturelle Veranstaltungen oder kleine Tagungen machen – zum Beispiel für Architekten. Denn dafür eignet es sich sehr gut. Ich sehe nicht, dass das in Brünn gemacht werden soll. Vielleicht plant die Stadt es, aber wir sind nicht eingebunden in diesen Plan. Was sie planen, ist, dass dort Hochzeiten gefeiert werden. Das finde ich keine gute Idee, weil das nicht adäquat ist.

Worin besteht die Einzigartigkeit der Villa? Ist es der Raumeindruck, wenn man das Haus betritt?

„Ich kenne keinen Raum der modernen Architektur, der so überwältigend ist, wie dieser. Er hat eine Wirkung, die ich sonst nur von Räumen wie Pantheon oder von Kirchen von früher kenne. Es ist ein großer, aber in sich rhythmisierter Raum, mit einer sehr einfachen, aber strengen Architektur. Man bekommt ein klares und strukturiertes Denken, er hat etwas sehr Meditatives und ist gleichzeitig nach außen geöffnet. Es ist einfach ein großartiger Raum. Was ich heute sehr wichtig finde, ist, dass es alles sehr einfach gestaltet ist. Auch die Möbel sind sehr einfach. Die Botschaft ist die Perfektion in den Proportionen, im Material, in den Oberflächen und in den Farben. Gerade durch diese Einfachheit bekommt jedes Detail eine enorme Bedeutung. Deswegen war die Restaurierung des Hauses wichtig, weil es um materielle Oberflächen geht. Sei es das Holz, das Metall, die Textilien oder die Wände. Es gibt auch eine Botschaft an das Plastikzeitalter, in dem wir leben – die Menschen sollen wieder ein Gefühl für materielle Oberflächen bekommen.“

Fotos: Barbora Kmentová


Dieser Beitrag wurde am 9. Oktober 2012 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.