Die deutsche Autorin Herma Kennel geht Ereignissen vor 64 Jahren nach

Vor kurzem haben wir darüber informiert, dass die Kriminalpolizei in Brünn in Sachen eines Massenmords ermittelt, der vor 64 Jahren an einer Gruppe tschechoslowakischer Bürger deutscher Nationalität begangen worden sein soll. Den damaligen Ereignissen ging auch die deutsche Autorin Herma Kennel nach, die darüber ein Buch schrieb. Im September hat sie es in Iglau vorgestellt. Bei dieser Gelegenheit hat die freie Mitarbeiterin des Tschechischen Rundfunks Lída Rakušanová mit ihr gesprochen.

Nur zehn Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, genau in der Nacht vom 19. zum 20. Mai 1945, sollen die Deutschen im kleinen Dorf Kamenná / Bergersdorf von Tschechen brutal ermordet und in einem Massengrab außerhalb des Dorfes verscharrt worden sein. Das vor einigen Jahren in Deutschland erschienene Buch von Herma Kennel trägt den Namen des Dorfes, das heute Bestandteil der Gemeinde Dobronín / Dobrenz unweit von Jihlava / Iglau ist. 1940 wurde Bergerdorf der Ehrentitel „SS-Dorf“ verliehen. Anhand von Archivdokumenten und Gesprächen mit noch lebenden Zeitzeugen ist die Autorin den Ereignissen von damals nachgegangen, um mehr Licht in die dunkle Geschichte zu bringen.

Frau Kennel, was hat Sie dazu bewogen, dieses Buch „Bergersdorf“ zu schreiben?

„ Das waren zunächst einmal persönliche Gründe. Hier geht es um die Familie meiner Schwiegermutter und um die Geschichte von Bergersdorf. Der Vater meiner Schwiegermutter war Bürgermeister von Bergersdorf gewesen und die Geschichte, die sich dort abgespielte, hat mich interessiert. Das waren zunächst einmal die Hauptgründe.“

Wann war der Verwandte von Ihnen denn dort Bürgermeister?

„Er war von 1919 bis 1945 Bürgermeister von Bergersdorf.“

Und wie kam es dann zu seinem “Ende“?

„Er ist am 14. Mai 1945 abgeholt worden und starb aufgrund von Misshandlungen in der Nacht vom 16. zum 17. Mai im Bezirksgericht von Polná.“

Er ist also, bevor es zu einer Verurteilung kommen konnte, gestorben.

„Ja, er ist an den Verletzungen gestorben, die ihm zugefügt wurden.“

Doch die Gewalt in Bergersdorf ging offensichtlich weiter. Wann haben Sie davon erfahren?

„Ich habe eigentlich schon immer davon gewusst - seitdem ich durch die Heirat meines Mannes in dessen Familie sozusagen eingetreten bin. Die Verwandten haben immer wieder davon erzählt, was damals passiert ist. Ich fand es einfach unglaublich und schrecklich, aber ich hatte mich noch nicht damit auseinander gesetzt, um einmal darüber zu schreiben. Das ist erst sehr viel später gekommen.“

Nach der Wende?

„Ja, im Sommer 1996 hatte ich zum ersten Mal die Idee, darüber zu schreiben. Es ist auch ein sehr schwieriges Thema und ich fühlte mich damals einfach noch zu jung, um mich diesem Thema widmen zu können.“

Sie haben dann Jahre gebraucht, bis Sie alle Unterlagen zusammen hatten. Was waren das für Unterlagen?

„Einige Unterlagen waren sehr leicht aus den Archiven zu bekommen. Aus dem Staatsarchiv Prag habe ich beispielsweise über Bergersdorf ein Telegram bekommen, das die Gemeindevertretung im September 1938 verfasst hatte, denn der Bürgermeister war zusammen mit drei anderen Männern aus Bergersdorf verhaftet wurden und war im Gefängnis von Kuttenberg. Die Gemeindevertretung hatte also darum gebeten, diese Männer wieder frei zu lassen. Eine Kopie des Originaltelegrames hatte ich dann erhalten.“

Das war also schon etwas Handfestes, das Sie da hatten.

„Ja, ich konnte damit auch sehr gut arbeiten. Ich habe wirklich unglaublich viel Material aus den Archiven bekommen, aber auch aus den Zeitungen, zum Beispiel dem ´Mährischen Grenzboten´. Ich konnte gar nicht alles, von dem was ich bekommen und erfahren hatte, verwerten.“

Das waren aber Archive und Zeitzeugenaussagen von deutscher Seite, von Leuten, die dann vertrieben worden sind, oder?

„Nein, es waren Aussagen von beiden Seiten. Ich habe dann auch einen tschechischen Freund losgeschickt, um in den Dörfer ältere Leute nach dem damaligen Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen zu befragen. Was habt ihr gesehen? Was habt ihr erlebt? Wurde hier jemand umgebracht? Hatten die Nationalsozialisten hier jemanden verhaftet? Es wurde zum Beispiel der Lehrer eines Dorfes ins Konzentrationslager gebracht und ist dort umgekommen. Dann auch 1945 – was ist da geschehen? Welcher deutsche Bauer wurde abgeholt und kehrte nicht mehr zurück? Also, ich habe auf beiden Seiten recherchiert und recherchieren lassen. Vom Staatsarchiv Prag, also von der tschechischen Seite, habe ich hunderte von Unterlagen erhalten, die ich in meiner Arbeit verwenden konnte. Aber auch bei meiner Arbeit in Deutsch-Brod-Archiv und Iglauer-Archiv waren sie sehr hilfsbereit und kooperativ. Dort habe ich sehr viel erfahren können.“

Wissen Sie, ob in Bergersdorf während des Krieges schreckliche Dinge an der tschechischen Bevölkerung verübt wurden sind, sodass sich die angestaute Wut nach dem Krieg hätte entladen müssen? Immerhin war es ein „SS-Dorf“.

Vertreibung der Sudetendeutschen
„Das war das Entscheidende, dass es ein ´SS-Dorf´ war. Die meisten Leute waren stolz darüber, dass sie ein SS-Dorf waren. Viele sagten: ´Wir sind jetzt erst seit vier Jahren im Großdeutschenreich und schon SS-Dorf´. Sie haben es als Auszeichnung empfunden und sich vielleicht auch etwas überheblich aufgeführt. Aber es gab keine Ausschreitungen gegenüber der tschechischen Bevölkerung. Es gab 92 Tschechen und 249 Deutsche in Bergersdorf. Die einzige Ausnahme war der tschechische Müller Jaroslav Vomela. Er wurde am 13. August 1942 von der Gestapo verhaftet, unter dem Vorwand, er habe Feindsender gehört und die tschechischen und slowakischen Arbeiter gegen die deutschen Bauern aufgehetzt. Er konnte aber wieder nach Bergersdorf zurückkehren und ist dann dort gestorben.“

Die tschechische Polizei kümmert sich jetzt um den Fall. Sie will aufdecken was passiert ist, wie es damals war und ob es wirklich stimmt, dass auf der dortigen Wiese tatsächlich Opfer des damaligen Verbrechens liegen. Wie schätzen Sie die Aussichten ein?

„Ich hoffe, dass Licht in das Dunkel gebracht werden kann. Es ist allerdings auch schon viel bekannt geworden. Es sind die Namen der Opfer bekannt. Es sind die Namen der Täter bekannt, wobei von den Tätern kaum noch jemand lebt. Doch ich hoffe, dass auch die jungen Menschen von Kamenná erfahren werden, was dort passiert ist. Ich glaube, es muss auf beiden Seiten Aufklärung betrieben werden. Die deutsche Seite soll wissen, was die Nationalsozialisten hier von 1939 bis 1945 angerichtet hatten. Und gerade die jüngere tschechische Generation soll wissen, was sich im Mai 1945 und vielleicht auch noch die folgenden Monate hier an schlimmen Dingen, an Morden und Plünderungen abgespielt hatte.“

Wie kann dieses Kapitel abgeschlossen werden, wenn wir keinen dicken Schlussstrich ziehen wollen?

„Man sollte keinen dicken Schlussstrich ziehen, damit man weiß, was passiert ist, um dann endlich frei von der Last der Vergangenheit in die Zukunft blicken zu können. Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte aus Anlass des Kriegsende vor 40Jahren gesagt: ´In der Erinnerung liegt die Erlösung´. Das heißt, die Erinnerung darf nicht verdrängt werden, sondern man soll die Vergangenheit auf den Tisch legen und offen darüber sprechen, offen damit umgehen, damit man für den Aufbau der Zukunft frei ist.“

Autor: Lida Rakusanova
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