Werkstatt der Illusionen – Filmstudios Barrandov stellen Kulissen selbst her

Foto: Ondřej Tomšů

Wer das nötige Kleingeld hat, kann sich seine Welt auch zusammensetzen lassen. Zum Beispiel in den Filmstudios Barrandov. Dort arbeiten Tischler, Schmiede und Stuckateure fast rund um die Uhr. Sie schaffen die Kulissen, die wir Kinobesucher nachher für Aufnahmen aus der echten Welt halten sollen. Radio Prag hat diese Werkstatt der Illusionen besucht. Sie hören den ersten Teil einer Serie über ausländische Filmproduktionen in Tschechien.

Tischlerei  (Foto: Ondřej Tomšů)
Die Werkstatt besteht aus mehreren Teilen. Geleitet wird der Komplex von Štěpán Červený. In einem Raum brummt eine Maschine, so dass man sein eigenes Wort kaum versteht.

„Hier befinden wir befinden uns in der Tischlerei. Die Maschine läuft 16 Stunden am Tag – und das an 365 Tagen im Jahr, inklusive der Wochenenden.“

So Červený, der sich offiziell Direktor des Bereichs „Dekorationen“ in Barrandov nennt.

„Jetzt sind wir im Atelier für Stuckaturen. Hier werden verschiedene Formen aus Gips gegossen oder aus Schaumstoff, Kunstharz oder Styropor. Dies hier ist aus Schaumstoff. Und zwar damit niemand zu Schaden kommt, wenn es herunterfällt. Es ist zwar superleicht, wirkt aber wie echt. Das wichtigste Material ist Holz. Aus Styropor werden wiederum die voluminösen Kulissen gemacht. Das sind Simse oder etwa Kuppeln von Kirchen und Kapellen. Statuen lassen sich ebenfalls daraus fertigen oder Ziegelwände. Ganz nach den Wünschen unserer Klienten.“

Zauberwald und kleine Städte

Die Klienten, das sind die Filmproduktionsfirmen. Viele von ihnen kommen aus dem Ausland. So etwa das große Hollywood-Studio Metro-Goldwyn-Maier…

So stand der Zauberwald, durch den Matt Damon und Heath Ledger als Wilhelm und Jakob Grimm stolpern, in Barrandov – gefertigt in der dortigen Werkstatt. Das war jedoch schon 2003. Welche Kulissen haben also in der letzten Zeit am meisten Arbeit gemacht?

„Derzeit wohl die der Serie Knightfall. Dafür haben wir eine kleine Stadt gebaut in der Größe von 200 Meter auf 100 oder 150 Meter. Bei den beweglichen Kulissen war dies der Kinofilm Snowpiercer, der 2012 gedreht wurde. Für ihn haben wir einen 100 Meter langen Zug gefertigt mit vier Waggons, der um 20 Meter in beide Richtungen bewegt werden konnte. Im Grunde wurden nur Innenaufnahmen gemacht, aber durch die Fenster aller Waggons konnte hinausgeschaut werden. Deswegen mussten wir die Fahrt und die Erschütterungen dabei simulieren“, so Štěpán Červený.

Die Barrandov-Studios wurden Anfang der 1930er Jahre eröffnet. Seitdem gibt es auch die Kulissenwerkstatt. Allerdings wird heute anders gefertigt als vor 85 Jahren:

Foto: Ondřej Tomšů
„Damals gab es Filmarchitekten, die wussten, wie die Kulissen komplett gebaut werden. Sie waren nicht nur an dem interessiert, was die Kamera einfängt, sondern an der Gesamtkonstruktion. Für den Laien lässt sich dies als unterschiedlich geformte Platten beschreiben, die in der Größe von Wänden zugeschnitten wurden. Heute können dank moderner Technik jegliche Formen hergestellt werden. Und die Dekorateure interessiert nur das, auf was die Kamera auch wirklich gerichtet wird.“

Leicht und schnell zu reparieren

Die Kulissenbauer arbeiten unter großem Zeitdruck. Deswegen verwenden sie Materialien, die sich leicht zurechtschneiden lassen. Neben Holz oder Styropor, die bereits genannt wurden, gehören dazu unter anderem auch Laminat und Pressspan. Dabei müssen auch Sonderwünsche an die Widerstandsfähigkeit beachtet werden, sagt der Bereichsleiter.

Foto: Ondřej Tomšů
„Meist werden wir vorab informiert, wenn beim Dreh die Kulissen beschädigt werden könnten – etwa durch Stunteinlagen oder Explosionen. Wir berücksichtigten dies dann. Aber natürlich kann es passieren, dass sie auf andere Weise in Mitleidenschaft gezogen werden. Beispielsweise beim Transport und Aufbau. Meist sind das aber kleinere Schäden, die schnell behoben werden können.“

Auch die bisher vielleicht teuerste europäische TV-Serie ist zu Teilen in Barrandov gedreht worden: Für Borgia wurde in den Studios ein italienisches Stadtviertel aus der Renaissance-Zeit geschaffen. Und auch für den Film „Oliver Twist“ von 2005 – mit unter anderem Ben Kingsley in der Rolle als Bandenchefs Fagin – betätigten sich die Kulissenbauer als Architekten früherer Tage. Manchmal rücken sie aber auch aus. Dann müssen sie ihre Arbeit an die Umgebung anpassen. Štěpán Červený nennt als Beispiel die BBC-Serie „Die Musketiere“:

„Die Musketiere“  (Foto: YouTube)
„Wir haben dafür im Schloss Doksany unsere Kulissen aufgebaut. Dass dies Kulissen waren, dürfte aber kaum jemand bemerkt haben. Sie waren sehr originalgetreu. Natürlich liegt es am Architekten, wie genau er die Details haben möchte. Da die Kameras heute aber sehr genau aufnehmen, bleibt nicht viel Raum für Fehler. Jede Schraube muss zum Beispiel gut verdeckt sein.“

Quereinstieg anstatt Berufsschule

Štěpán Červený  (Foto: Ondřej Tomšů)
Wie aber wird man Teil der Werkstatt, in denen für das Kino die Illusionen geschaffen werden? Laut Štěpán Červený gibt es keinen direkten Weg, wie er an seinem eigenen Beispiel schildert:

„Das war ein ziemlicher Zufall. Ich habe in Příbram mein Fachabitur gemacht. Gleich danach hat mich mein Bruder angesprochen, weil ein Tschecho-Kanadier in meinem Heimatort ein kleines Filmstudio aufgebaut hat. Dafür suchte er Leute, darunter auch einen Zeichner. Also bin ich 1995 bei ihm eingestiegen. Und über die Leute, die zusammen mit mir dort angefangen haben, bin ich zu Filmprojekten nach Prag gekommen und letztlich in die Studios Barrandov.“

Allerdings drängt die Digitalisierung bereits in das Gewerbe. Trotz der Möglichkeit zu Computersimulationen glaubt Červený aber nicht, dass man sich heute den ganzen Aufwand des Kulissenbaus bereits sparen könnte:

Filmstudios Barrandov  (Foto: Ondřej Tomšů)
„Dies wäre zwar möglich, ist aber bisher so teuer, dass es sich weiter lohnt, Kulissen zu bauen. Aber sicher wird irgendwann die Zeit kommen, wenn sich die Kosten angeglichen haben werden. Dann stellt sich die Frage, was aus uns wird. Unsere Zukunft ist also unsicher.“

Bis dahin aber gilt für die Kulissenwerkstatt der Barrandov-Studios:

„Viellicht sind wir nicht die Einzigen in Europa, aber sicher sind wir einzigartig.“

Autor: Till Janzer
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