Operation Kamen: Geheimdienstaktion auf der Bühne

Vorstellung „Operation Kamen“ (Foto: Sebastian Hoppe, Archiv des Staatstheaters Dresden)

„Operation Kamen“ heißt eine Vorstellung, die das Staatstheater Dresden einstudiert hat. Thema des Stücks ist eine Methode der tschechoslowakischen Staatssicherheit, mit der von 1948 bis 1951 Gegner des kommunistischen Regimes enttarnt und verhaftet werden sollten. Die Dissidenten wurden dabei von Schleusern an die Grenze zu Westdeutschland geführt. Dort erreichten sie ein mit US-Flagge behangenes Grenzhäuschen, beatworteten einem Beamten alle nötigen Fragen und wurden weiter Richtung Westen geschickt. Doch damit tappten sie in eine Falle der Staatssicherheit, denn ein paar Meter weiter wurden sie von der tschechoslowakischen Polizei festgenommen. Das Theaterstück wurde in dieser Woche erstmals in Prag aufgeführt.

Vorstellung „Operation Kamen“  (Foto: Sebastian Hoppe,  Archiv des Staatstheaters Dresden)
Das Staatstheater Dresden gastiert derzeit mit der Vorstellung „Operation Kamen“ in Prag. Florian Fischer ist Autor des Stückes und Regisseur der Inszenierung. Darin werden die Ereignisse der tschechoslowakischen Nachkriegsgeschichte nach der Machtübernahme durch die Kommunisten dargestellt. Herr Fischer, was konkret ist Thema des Theaterstückes?

F. F.: „Die ‚Operation Kamen‘ ist eine Aktion des tschechoslowakischen Geheimdienstes. Man lockte Dissidenten zu einer unechten Grenze, um sie verhaften zu können oder um an gewisse Informationen zu kommen, die man unter den normalen Bedingungen eines ehrlichen, direkten Verhörs nicht erlangt hätte.“

Wie sind sie auf diese Geschichte gestoßen?

Foto: Sebastian Hoppe,  Archiv des Staatstheaters Dresden
F. F.: „Ich habe selbst Geschichte studiert. Ein Freund von mir arbeitet in einem Archiv. Der rief mich vor fünf Jahren an und meinte, ‚komm, hier ist eine komische Fußnote, das könnte dich interessieren‘. Dann habe ich mich in den Zug gesetzt und bin nach Prag gefahren. Ich konnte glücklicherweise einige dieser Akten lesen, weil manche davon auf Englisch sind. Weil in diesem ganzen Täuschungsspiel die Grenzsoldaten Amerikaner sein mussten und deswegen Verhöre auf Englisch geführt wurden.“

Warum haben Sie gerade diese Geschichte aus der Tschechoslowakei zum Thema ihrer Inszenierung gemacht?

F. F.: „Ich finde die Geschehnisse in Tschechien und eine tschechische historische Anekdote interessant. In der Zeit, wo wir sehr viel über Fake News und über Gegenrealitäten sprechen, über viele verschiedene gleichzeitige Wahrheiten, ist es wie ein Prototyp von Täuschungsmechanismen. Es ruft uns als Bürger immer wieder dazu auf, uns zu fragen, wer verbreitet so eine Nachricht, woher kommt die Nachricht zu was führt sie in uns? Können wir durch diesen Mantel des Verschleierns hindurchblicken und Absichten dahinter erkennen? Ich glaube, das ist gerade für unsere Zeit heute unglaublich wichtig, dass wir mehr verstehen, dass Nachrichten nicht unbedingt die Wahrheit sind.“

„In der Zeit, wo wir sehr viel über Fake News und über Gegenrealitäten sprechen, ist es wie ein Prototyp von Täuschungsmechanismen.“

Was sind für Sie die wichtigsten Fragen, die sie in dem Spiel stellen und beantworten? Standen dabei die Gefühle der betrogenen Menschen im Vordergrund?

F. F.: „Tatsächlich hat uns nicht nur dieser letzte Moment des falschen Grenzübertritts interessiert. Wir haben vielmehr versucht zu verstehen, was so ein System machen muss, um eine so große Angst in den Menschen zu erregen.“

Wann und wo spielt die Handlung des Stücks? Ist das noch vor dem Fluchtversuch, also die Verhöre durch die Geheimpolizei und die Verfolgung der Helden, oder das eigentliche Geschehen an der Grenze?

Foto: Sebastian Hoppe,  Archiv des Staatstheaters Dresden
F. F.: „Wir versuchen, den ganzen Bogen zu beleuchten. Davon, wie man angesprochen wird, wie man zur Flucht provoziert wird, wie man die Flucht unternimmt, nachts durch den Wald geht, wie man in dem Grenzhüttchen sitzt und sich das amerikanische Präsidentenporträt ankuckt, Lucky-Strike-Zigaretten angeboten bekommt, die man als Zeichen wahrnimmt, dass man in der amerikanischen Besatzungszone sei. Neben allen diesen Elementen der historischen Anekdote, vom Angesprochen- bis zum Geschnappt-Werden, sprechen wir aber auch sehr viel über das heute und jetzt. Und über unsere Perspektive auf das Geschichtenerzählen, weil Geschichtenerzählen zu Realitäten und Wahrheiten führt. Es führt dazu, dass wir Dinge glauben und bestimmte Handlungen übernehmen.“


Václava Jandečková  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Das Stück basiert auf einem Buch von Václava Jandečková.

Frau Jandečková, Wie sind Sie dazu gekommen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen?

V. J.: „Mein Großvater unterhielt ein Netz von Fluchthelfern und hat vielen Leuten über die Grenze geholfen. Ich habe festgestellt, dass er mit einem Mann an der Grenze in Kontakt stand. Dieser Mann hat nicht nur für den tschechischen Geheimdienst, sondern auch für die amerikanische Seite gearbeitet. Ich wollte wissen, ob mein Großvater über diese Geheimoperationen etwas gewusst hatte. Später habe ich noch weitere Fälle gefunden. Und ich habe festgestellt, dass die Historiker dazu keine Forschung gemacht haben. Das ist meiner Meinung nach ein Problem.“

Sie haben auch eine Ausstellung zum Thema vorbereitet, die am Rande der Theatervorstellung gezeigt wird…

V. J.: „Diese Ausstellung ist das Ergebnis meiner Forschung. Sie zeigt zehn Fälle, die ich auch in meinem Buch beschrieben habe. Man sieht die Opfer und die Organisatoren dieser Operation. Jedes Plakat beschreibt einen konkreten Fall, und man sieht auch, wie es weiter gelaufen ist.“

„Mein Großvater unterhielt ein Netz von Fluchthelfern und hat vielen Leuten über die Grenze geholfen.“

Können Sie ein konkretes Schicksal beschreiben?

V. J.: „Jan Minařík war drei Jahre alt, als er mit seinen Eltern und seinem siebenjährigen Bruder an der falschen Grenze war. Damals wurde während einer Nacht eine Gruppe von vierzehn Leuten an der falschen Grenze festgehalten. Sie haben Protokolle ausgefüllt und dann wurde ihnen gesagt, sie würden mit einem Jeep zu einem Haus gebracht, wo sie sich ausruhen könnten. Aber sie wurden zurückgebracht und verhaftet. Herr Minařík durfte dann nicht studieren. Später wurde er dann weltberühmter Tänzer.“


Foto: Sebastian Hoppe,  Archiv des Staatstheaters Dresden
Herr Fischer, das Genre der Vorstellung wird als dokumentarisches Theater bezeichnet. Was charakterisiert dieses Genre?

F. F.: „Vielleicht ist das wichtigste Merkmal, dass man mit Material aus der wahren Welt arbeitet. Das Interessante in unserem Stück ist, dass die Lüge des Geheimdienstes, diese Fake-Grenze für viele Menschen zur Realität wird. Und da begegnet sich das Theater auf Augenhöhe mit der Wahrheit. Deswegen war es für mich so interessant, das im Theater zu erzählen: Weil sich die Lüge, die Fiktion, also dass hier eine Grenze sei, mit der Wahrheit vermischt. Man kann nicht mehr sagen, ob das real ist, oder Fiktion.“

Für die Aufführung haben Sie Laienschauspieler engagiert…

F. F.: „Mit den Laienschauspielern haben wir ein bestimmtes Ziel verfolgt. Wir haben mit ihnen Videos aufgenommen. Ich habe ihnen die Akten zu lesen gegeben und sie gebeten, aus eigenem Wissen heraus diese Akten zu vervollständigen. Die Laienschauspieler sind eigentlich Experten. Auch sie sind in dem autokratischen, diktatorischen System aufgewachsen, in dem es sehr viel um die Flucht ging, nämlich in dem System der Deutschen Demokratischen Republik. Damit haben diese Menschen eine Art von Wissen, die ich überhaupt nicht habe.

Vorstellung „Operation Kamen“  (Foto: Sebastian Hoppe,  Archiv des Staatstheaters Dresden)

„Shakespeare und Goethe sind überkommen. Wir brauchen Geschichten, die beschreiben, was heute und jetzt tatsächlich stattfindet.“

Die Inszenierung wurde in Kooperation mit dem Theater Archa einstudiert. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?

F. F.: „Ich kenne das Theater seit einer Weile und finde es unglaublich toll. Das Archa-Theater macht auch sehr viel Dokumentartheater und hat sich dieser Suche nach neuen Formen verschrieben. Da gibt es eine gute Überschneidung zwischen unserem Projekt mit dem tschechischen Thema, und einer Suche nach einer neuen Form des Theaters. An das Theater, das Shakespeare spielt und Goethe spielt, glaube ich nicht mehr so sehr. Ich glaube das ist überkommen. Wir müssen uns auf die Suche nach Geschichten machen, die beschreiben, was heute und jetzt tatsächlich stattfindet.“