Nationalgalerie 2019: Neu und international

Alberto Giacometti (Foto: Paolo Monti, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)

Eine große Schau französischer Impressionisten, Zeichnungen des Barockmeisters Wenzel Hollar, Werke des Bildhauers Alberto Giacometti sowie ein Rückblick auf das Umbruchsjahr 1989 in Fotografien. Das sind einige der Höhepunkte im Programm der Nationalgalerie Prag im Jahr 2019. Ein Interview mit Generaldirektor Jiří Fajt.

Jiří Fajt  (Foto: Vojtěch Havlík,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Herr Fajt, Sie planen ja nicht nur Sonderausstellungen, sondern beabsichtigen auch eine neue Präsentation der ständigen Ausstellungen. Welche Teile der Bestände der Nationalgalerie Prag betrifft diese Umwandlung, und wie ist sie konzipiert?

„Wir arbeiten zurzeit dar, die Sammlung alter Meister neu zu gestalten. Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte der Nationalgalerie möchten wir dabei zwei Bestände zusammenführen: die böhmische Kunst und die europäischen Schulen. Dadurch soll die hiesige Kunst in einem breiteren internationalen Kontext gezeigt werden. Ich nenne ein Beispiel: Wir haben drei großformatige Gemälden von Peter Paul Rubens. Diese Gemälde waren für die Thomas-Kirche auf der Kleinseite in Prag bestellt worden. Und sie hatten eine große Auswirkung auf die hiesige Szene, auf den Bildhauer Ferdinand Maximilian Brokoff und den Maler Peter Brandl. Das zum Beispiel wollen wir in der neuen Hängung zeigen.“

„Wir führen zum ersten Mal zwei Bestände zusammen: die böhmische Kunst und die europäischen Schulen.“

Außer den alten Meistern wird auch die Sammlung des 19. Jahrhunderts neu präsentiert, und zwar unter dem Titel „Das längste Jahrhundert“. Was soll das heißen?

„Wir haben im vergangenen Jahr bereits unsere Sammlungen zur Ersten Tschechoslowakischen Republik, also zu der Zeit von 1918 bis 1938, gezeigt. Das heißt, dass wir den Anfang des 20. Jahrhunderts nicht miteinbezogen haben. Das tun wir bei der nächsten Gelegenheit, und deshalb haben wir die neue Präsentation der Kunst des 19. Jahrhunderts als ‚Das längste Jahrhundert‘ bezeichnet. Wir wollen uns dabei mit der Periode von 1800 bis 1918 auseinandersetzen. Das Konzept ist neu, wir ordnen die Werke nicht chronologisch, sondern nach den Themen. Wir möchten auch ein bisschen experimentieren und uns dabei vergewissern, wie sich mit den Sammlungen arbeiten lässt.“

Nationalgalerie | Foto: Khalil Baalbaki,  Tschechischer Rundfunk
Welchen Anteil ihrer Bestände bekommen die Besucher der Galerie eigentlich zu Gesicht?

„Die Nationalgalerie ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme unter den Kunstmuseen in der Welt. Wir zeigen nur einen Bruchteil dessen, was wir in unseren Beständen haben. Wir zeigen höchstens etwa drei bis fünf Prozent von dem, was in unseren Depots steckt.“

Das bedeutet, dass manche Werke zweifelsohne immer wieder ausgestellt werden, aber auch viele Möglichkeiten bestehen, um etwas Neues zu zeigen…

„Auf jeden Fall. Meine Kollegen und ich, wir haben uns darauf konzentriert, dass wir unsere Bestände neu erschließen und auch für uns neu entdecken müssen. Und die Ergebnisse dieser Suche, dieses neuen Ansatzes, möchten wir mit der Umgestaltung der Sammlungen zeigen.“

„Werke von Josef Šíma wurden von manchen Zeitgenossen sogar für stärker surrealistisch gehalten als die üblichen Pariser Vertreter der Stilrichtung."

Neben der neuen Präsentation der eigenen Bestände der Nationalgalerie planen Sie natürlich auch zeitlich begrenzte Ausstellungen und Sonderausstellungen zu bestimmten Themen. Welche sind die wichtigsten?

„Es ist schwierig, die wirklich wichtigsten zu nennen. In der ersten Jahreshälfte eröffnen wir in der Wallenstein-Reitschule eine Ausstellung von Josef Šíma. Das ist ein bedeutender Maler, der zwischen den Kriegen eine gewisse Zeit auch in Paris verbracht hat. Und eben auf diese Phase haben wir uns jetzt konzentriert und wollen Šímas surrealistische Werke zeigen. Diese wurden von manchen Zeitgenossen sogar für stärker surrealistisch gehalten als die üblichen Pariser Vertreter der Stilrichtung.“

Alberto Giacometti  (Foto: Paolo Monti,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0)
Für die Sommersaison sind zwei große Projekte geplant…

„Zum einen eine Ausstellung über Alberto Giacometti. Sie beruht auf einer Kooperation mit der Stiftung Alberto Giacometti in Paris. Wir erweitern das Thema um die Auswirkung Giacomettis auf unsere Region. Ein zweites Projekt, das wir für die Sommersaison vorbereitet haben, sind französische Impressionisten. Wir bringen eine hervorragende Sammlung ihrer Werke aus der Sammlung in Ordrupgaard in der Nähe von Kopenhagen nach Prag. Wir freuen uns auf viele Gemälde von Paul Gauguin, Claude Monet, Edouard Manet und all den anderen gutbekannten impressionistischen Malern.“

Zudem bereiten Sie eine Ausstellung von Werken Wenzel Hollars vor, eines Zeichners und Kupferstechers aus dem Barock. Sie beruht auf der Forschung der Prager Kunsthistorikerin Alena Volrábová…

Wenzel Hollar
„Wenzel Hollar war eine hervorragende Persönlichkeit. Er wurde in Böhmen geboren und wanderte später nach London aus. Wir werden eine große Anzahl seiner Zeichnungen in Prag zusammenbringen. Ich denke, dass dieses Projekt auf große Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit stoßen wird.“

Ein weiteres Sonderprojekt stellt die Königliche Sammlung aus Jodhpur im Norden Indiens vor.

„Dort hatte sich in der Mitte des 15. Jahrhunderts eine Maharadscha-Dynastie niedergelassen, und diese hat ihre Sammlung dann kontinuierlich ausgebaut. Die Werke bringen wir nach Prag. Es ist die einzige Station in Europa, nachdem sie in Huston, Seattle und Toronto gezeigt wurde.“

Die Nationalgalerie legt in den vergangenen Jahren großen Wert auf internationale Zusammenarbeit. Die deutschsprachigen Länder spielen in dieser Hinsicht eine große Rolle. Welche Projekte wurden in der tschechisch-deutschen beziehungsweise tschechisch-österreichischen Zusammenarbeit ins Leben gerufen und werden in diesem Jahr realisiert?

„In der Zeit um 1400 stand Prag an der Spitze der europäischen Kunstmetropolen.“

„Der deutschsprachige Raum ist für uns sehr wichtig, sei es Österreich, Deutschland oder die Schweiz. 2019 zeigen wir ein weiteres Sonderausstellungsprojekt, das wir in Kooperation mit dem Museum in Leogang in Österreich vorbereitet haben. Es handelt von schönen Madonnen. Das ist eine stilistische Sondererscheinung aus der Zeit um 1400, als Prag an der Spitze der europäischen Kunstmetropolen stand. Der Grund dafür war, dass in der Nähe von Prag Kalkstein abgebaut wurde, aus dem sich schöne Skulpturen hauen ließen. Solch gute Voraussetzungen bestanden nicht in allen Kunstregionen. In Salzburg ließ sich zum Beispiel kein ebenso funktionsfähiges Material finden. Deshalb entwickelten die dortigen Kunsthandwerker eine spezielle Technik. Sie ließen die Skulpturen gießen. Und um diese Technik des Gusssteins geht es in dem Projekt zu großen Teilen. Daneben erinnert es an die Berühmtheit Prags in der Zeit Wenzels IV., also um 1400.“

Ausstellung ‘Sachsen – Böhmen‘  (Foto: Archiv des Staatlichen Museums für Archäologie Chemnitz)
Seit Jahren arbeitet die Nationalgalerie an einem umfangreichen Projekt zur böhmisch-sächsischen Nachbarschaft…

„‘Sachsen – Böhmen‘ ist auch der Haupttitel der Ausstellung, die jetzt im Archäologischen Landesmuseum in Chemnitz zu sehen ist. Ab Mai kommt sie nach Prag. In Chemnitz wird ein größerer Schwerpunkt auf die archäologischen Funde gelegt, wir werden hingegen die künstlerischen Erscheinungen und die bildenden Künste stärker betonen.“

Meine letzte Frage betrifft das Jubiläum, dass Tschechien Ende des Jahres 2019 begehen wird, und zwar 30 Jahre seit der Samtenen Revolution. Reflektiert die Nationalgalerie auch dieses Jubiläum?

„Die Samtene Revolution von 1989 war für uns alle war ein entscheidender Wendepunkt, er hat unser Leben grundsätzlich verändert.“

„Auf jeden Fall. Für uns alle war das ein entscheidender Wendepunkt, er hat unser Leben grundsätzlich verändert. Gottseidank. Wir erinnern im Programm der Nationalgaleriesehr stark an das Jahr 1989 und die Ereignisse rund um die Wende. Zunächst möchten wir die Tage der Samtenen Revolution in einer Fotoausstellung zeigen. Aber wir sind auch dabei, ein komplexes Programm zu dem Thema zu entwerfen. Zum Beispiel sollen Musiker angesprochen werden, damit sie bei uns zu Konzerten auftreten. Das können sowohl Liedmacher sein als auch Rock-Bands, die in den 1980er Jahren die Underground-Kultur mitgetragen haben. Wir möchten aber auch einen Augenmerk auf das Theater legen. Die Zeit vor der Wende war eine Zeit der kleinen Bühnen. Wir wollen diese ansprechen, ihre damalige und auch jetzige Kunst bei uns in der Nationalgalerie zu zeigen.“