Kratzen, Rauschen und Stimmengewirr: Grammophonmusik in Prag

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Vor 130 Jahren kam das erste Grammophon auf den Markt. Zunächst war es nur als Abspielgerät gedacht. Aber bald kamen einige Musiker auf die Idee, das Grammophon als Instrument zu verwenden. Experimentelle Klänge waren das Resultat. Die Grammophonmusikszene ist klein und eher der Subkultur vorbehalten, hält sich aber bis heute hartnäckig. Auch Prag ist eines der Zentren dieser sphärischen Klangwelten. Liebe Hörer, wenn es also gleich ein bisschen kratzt, quietscht und rauscht, dann ist das keine Empfangsstörung, sondern Musik.

Ein kleiner Hinterhof in der Prager Innenstadt. Aus der Galerie Školská 28 tönt experimentelle Musik. Der österreichische Grammophonmusiker Dieb13 steht hinter einem selbstgebauten Holzpult, vor ihm zwei Plattenspieler, ein kleines Mischpult und unheimlich viele Kabel. Er steht ruhig, schaut konzentriert, bastelt Klangcollagen. Wie genau entstehen sie? Dieb13 erklärt:

„Im Prinzip ist es von der Technik her DJing. Also man legt eine Platte auf, setzt die Nadel drauf und dreht am Mischpult den Regler auf. Es gibt da viele Tricks und Möglichkeiten wie man Klänge manipulieren, ineinander mischen und daraus eine eigenständige Collage bauen kann. Was bei mir noch dazu kommt: Ich habe ein Plattenschneidegerät, das heißt, ich kann mir selber Platten machen und dann nehme ich rohe Sounds auf, so wie ich sie brauche, und spiele mit ihnen live.“

Dieter Kovačič alias Dieb13 wollte als kleiner Junge gern Trompete oder Schlagzeug spielen, aber in der hellhörigen Neubauwohnung seiner Eltern war dies nicht möglich. Seine Musikaliät äußerte er experimentell, indem schon früh an Kassettenrekordern und Plattenspielern herumschraubte. Bis er damit den Durchbruch erlebte, musste er sich als konventioneller DJ über Wasser halten:

Dieb13
„Ich habe jahrelang als DJ aufgelegt, meine Lieblingsplatten fünf Stunden lang am Abend gespielt. Dabei hat sich nach und nach mein Interesse entwickelt die Sounds zu verdichten und es ist zunehmend ins Collagehafte gegangen. Irgendwann habe ich mir gesagt, dass das eine Performance ist und habe angefangen Livekonzerte zu machen. Das war in Wien ab Mitte der 1990er Jahre. Dort hat es eine sehr aktive Elektronik- und Experimentalmusikszene gegeben. So hat es sich auch ergeben, dass ich schnell Leute gefunden habe, mit denen ich zusammengespielt habe und dass Platten herausgekommen sind“, erzählt Dieb13.

Dass sein Musikstil bereits einen Namen hatte, nämlich Grammophonmusik, erfuhr er erst später. Außer ein paar Vorläufern gibt es in dieser experimentellen Musikszene keine Schule. Das Wissen wurde mit der Zeit zusammen getragen.

„Also in der Form würde ich sagen, es kommt so aus den frühen Achtzigern. Da gibt es ein paar bekannte Musiker und Künstler wie Christian Marclay oder Otomo Yoshihide oder Philip Jeck, die experimentelle Plattenspielermusik gemacht haben. Aber es gibt Traditionen und Ansätze zur Plattenspielermusik bis zurück in die 1910er/1920er Jahre. Der Plattenspieler war von Anfang an ein Wiedergabegerät aber gleichzeitig auch ein universeller Sampler. Man kann ihn für alles mögliche verwenden“, so Dieb13 über die Geschichte dieser Musik.

Auch heute ist die Grammophonmusikszene sehr überschaubar. Die Künstler sind über den ganzen Erdball verteilt, kommen aus Japan, den USA oder Europa. Da die Szene allerdings so klein ist, kennen sie sich untereinander und ein reger Austausch findet über Festivals und gemeinsame Projekte statt. Prag ist eines der Zentren für Grammophonmusik. Bekannt ist es vor allem für das Festival experimenteller Musik „Stimul“. Dort hat Dieb13 Petr Ferenc von der Prager Gruppe Birds Bild Nests Underground kennengelernt. Der tschechische Grammophonkünstler weiß, dass er keine Musik für die Massen macht:

Dieb13
„Was wir machen, denke ich, kann man wirklich gut zu Hause anhören. Man kann sich auch in Ruhe damit beschäftigen. Aber wenn ich nicht nur über uns rede, sondern über Turntablism allgemein, muss ich sagen, dass es keine Musik für ein Stadion ist, keine Musik für eine große Party, keine Musik zum Tanzen. Das ist Musik, bei der man aufmerksam zuhören muss, bei der man nachdenken muss. Unsere Konzerte sind zum Hinsetzen und Zuhören. Die Musik lässt sich gut mit Filmen kombinieren, was wir ja auch tun.“

Birds Build Nests Underground untermalt die Live-Konzerte stets mit Filmprojektionen. Mit eigenen oder mit Filmen von anderen Regisseuren. Die projektbezogene Arbeit ist ein Merkmal der gesamten Grammophonmusikszene. Dieb13 hat schon Installationen auf Ausstellungen vertont und spielt in vielen international besetzten Musikformationen. So wie mit dem Kontrabassisten George Cremaschi und dem experimentellen Percussionisten Gino Robair aus den USA. Sie gaben im März ein Konzert in Prag. Obwohl die Grammophonmusik teilweise konfus wirkt, braucht der Einzelne viel Können, um auf die anderen Mitspieler einzugehen. In der Szene wird viel improvisiert. Andererseits gibt es auch Bestrebungen Stücke zu komponieren. Dabei werden natürlich keine klassischen Noten geschrieben. Petr Ferenc erklärt, wie seine Gruppe arbeitet:

„Komponieren für das Grammophon geht. Wir haben es in den ersten Jahren, in denen wir zusammengespielt haben, gemacht. Die erste Platte unserer Gruppe Birds Build Nests Underground heißt Night Night, die haben wir komponiert. Wir haben es komponiert, indem wir von einer Platte zur anderen wechselten, mit Scratchen und indem wir Platten langsamer abspielt haben. Wir haben daraufhin angefangen zu improvisieren. Ich weiß nicht, wer von den Kollegen des Turntablism auf der Welt das schon gemacht hat. Ich kann das nur in unserem Fall sagen, dass das geht.“

Die Struktur in der Grammophonmusik lässt sich schwer erkennen. Sie geht über den konventionellen Aufbau der Musik mit Strophen und Refrains hinaus. Die Grammophonmusiker arbeiten mit dem Aufbauen und Abebben von Spannungen, mit Brüchen und Endlosschleifen. Kurzum: aufmerksames Zuhören ist notwendig.