Ivan Lutterer, Panoramafotografien 1984 - 1991

Panoramafotografie von Ivan Lutterer

Der tschechische Fotograf Ivan Lutterer hätte in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag gefeiert. Dies nahmen seine langjährigen Kollegen und Freunde zum Anlass, die bislang unveröffentlichten Arbeiten aus Lutterers Nachlass auszustellen. Mehr über diese Ausstellung sowie über die Person Ivan Lutterer und über sein Werk erfahren Sie im Kultursalon von Katrin Sliva.

Die Ausstellung "Ivan Lutterer, Panoramafotografien 1984 - 1991" wurde am 27. April in der Prager Galerie Langhans feierlich eröffnet. Sie ist eine Art posthumes Geburtstagsgeschenk an den 2001 im amerikanischen Rochester verstorbenen Künstler. Seine Freunde und Kollegen, die ihn seit seiner Studienzeit an der Filmhochschule (FAMU) kannten und begleiteten, haben diese Ausstellung vorbereitet. Aus den fast 3000 Fotografien, die Lutterer zu Lebzeiten nicht veröffentlichen wollte, weil er sein Werk als unvollendet betrachtete, haben sie 68 ausgesucht. Diese sind nun bis zum 10.7.2004 in der Galerie Langhans zu sehen. Die 68 Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind auf vier Stockwerke verteilt. Lutterer hat überwiegend in Prag fotografiert, und zwar mit einer Kodak-Kamera Typ Panorama 6 x 18 cm, die irgendwann zwischen 1894 - 1904 hergestellt worden ist. Die Auswahl der Motive spiegelt seine Affinität zur Moldau wider. Zentrales Thema sind außerdem die Prager Inseln. Mindestens zwei Jahre lang ist er immer wieder an das Moldau-Ufer zurückgekehrt und hat den Fluss von unterschiedlichen Stellen aus einzufangen versucht. Dabei hat er sich gewissenhaft Ort und Zeit jeder Aufnahme notiert. Etwa 1000 Fotografien sind allein mit diesem Motiv entstanden. Immer wieder hat Lutterer aber auch die Stadtteile- und Viertel fotografiert, in denen er gerade wohnte. Seine häufigen Umzüge innerhalb Prags sind anhand seiner Arbeiten deutlich nachvollziehbar. Einen Großteil der nun in der Galerie Langhans gezeigten Aufnahmen hat Ivan Lutterer Mitte der 80er Jahre gemacht. Sie sind schnörkellos, unbarmherzig und liefern ein eher tristes Bild der "Goldenen Stadt" ab. Zeitzeugen sind sie, die dokumentieren, wie viel sich doch in den vergangenen Jahren verändert hat - und was möglicherweise auch nicht. Berge von Müll liegen da beispielsweise auf den Straßen herum. Ruhig, ohne Aufmerksamkeit zu erregen offenbar. Dazwischen, daneben, dahinter sonnen sich Menschen, liegen am Ufer der Moldau. Ebenso ruhig, ebenso statisch...

Lutterer hat nicht nur selbst fotografiert, sondern hat sich auch mit der Restaurierung alter Fotografien und Negative beschäftigt. Unter anderem derjenigen, die Teil des sogenannten Langhans-Archivs sind. Jan Langhans war einer der bedeutendsten tschechischen Portraitfotografen. Hunderttausende haben sich in der Zeit von 1880 bis 1948 von ihm portraitieren lassen. Bedeutende Persönlichkeiten waren darunter, unter anderem der erste Präsident der Tschechoslowakischen Republik, T.G.Masaryk. Kurz vor der Sanierung des Gebäudes in der Vodickova Straße, in dem Langhans sein Atelier betrieben hatte, stießen Arbeiter im Herbst 1998 auf Kisten, die einen verloren geglaubten Schatz bargen: einen großen Teil von Langhans' Glasplattenegativen.

"Sehr wichtig zu erwähnen ist im Zusammenhang mit Ivan Lutterer, dass es im Grunde sein Verdienst war, dass die Aufnahmen aus dem sogenannten Langhans-Archiv wiederhergestellt werden konnten. Er hat mit den alten Negativen gearbeitet, hat sie mit großer Sorgfalt sortiert, hat die unterschiedlichsten Materialien ausprobiert. Bis die Abzüge und Vergrößerungen dieser alten Aufnahmen in der Form zu Tage traten, die am ehesten den ursprünglichen aus dem Atelier Langhans entsprachen. Dass uns diese Arbeiten heute in ihrer jetzigen Qualität vorliegen, ist allein Ivan Lutterer zu verdanken", betont Jaroslav Barta, ein wichtiger Wegbegleiter Ivan Lutterers. Lutterers Arbeiten in der heutigen Galerie Langhans auszustellen, ist also alles andere als ein Zufall. Und mit einer anderen tschechischen Berühmtheit hatte Ivan Lutterer über die Fotografie eine Art Verbindung, wie Jaroslav Barta erklärt:

"Eine andere Ausstellung, zu deren Zustandekommen Ivan Lutterer maßgeblich beigetragen hat, zeigte Fotografien, die einst Karel Capek gemacht hatte. Auch in diesem Fall ist es Lutterer dank seines Gespürs und seines ausgeprägten Feingefühls gelungen, aus den alten Negativen das Maximum herauszuholen. Entstanden sind wundervolle neue Abzüge."

Jaroslav Barta war nicht nur ein enger Freund Ivan Lutterers. Im Rahmen des Projekts "Letem ceskym svetem" (Im Flug durch die tschechische Welt) haben sie auch mehrere Jahre lang zusammengearbeitet. 100 Jahre nachdem der Verleger J. R.Vilimek 1898 unterschiedliche Orte in Tschechien in Fotografien festgehalten hatte, suchten Barta und Lutterer gemeinsam mit anderen Fotografen jene Orte auf und fotografierten sie. Ich bat Barta, diese Zusammenarbeit zu beschreiben:

"Ich würde sie als sehr, sehr wertvoll bezeichnen. Jedes Zusammentreffen mit ihm war für mich eine Art Ansporn. Ich weiß, dass das möglicherweise pathetisch klingt. Es war aber, wie wenn man aus der Dusche kommt, sich von dem Alltagsballast befreit hat und draußen die Sonne scheint. Freude macht sich breit. Und er gab viel Anlass zur Freude. Er fürchtete sich niemals, Dinge beim Namen zu nennen. Obgleich er ein sehr sensibler Mensch war, hatte er nie Angst davor, Dingen bis ins letzte Detail auf den Grund zu gehen, ihnen ins Gesicht zu sehen und sie klar und unmissverständlich zu benennen. Das war reinigend für uns, die wir uns zu seinen Freunden zählen durften. Es gab Kraft, machte Mut zu sehen, wie dieser Mensch denkt und wie er sein Leben führt. Kurz gesagt: Er war ein Geschenk."

Lutterer hat seinen Freunden zufolge nicht gern ausgestellt. Er war ein stiller, introvertierter und bescheidener Mensch, der kein Star werden wollte, sagen sie über ihn und führen Lutterers einjährigen Peking-Aufenthalt, den er im Alter von vier Jahren absolvierte, als einen möglichen Grund für seine ausgeprägte Sensibilität an. Die Zahl seiner Ausstellungen ist entsprechend überschaubar, was seinem Stellenwert in der tschechischen Fotografie aber keinen Abbruch, tut:

"Obgleich der Name Ivan Lutterer vielleicht nicht ganz so bekannt ist, wie der anderer tschechischer Fotografen, ist seine Bedeutung für diesen Bereich der Kunst doch immens. Eine der wenigen Ausstellungen, die er hier in Tschechien hatte, fand im Jahr 1981 im Prager Theater "Cinoherni klub" statt, wo er seine Arbeiten erstmals einem breiten Publikum zugänglich machte. Später folgten dann weitere Ausstellungen in Prag. Seine Arbeiten wurden aber auch im Ausland wahrgenommen. Insbesondere das Centre Pompidou in Paris zeigte großes Interesse an seinen Fotografien und sandte deshalb regelmäßig jemanden aus, der sie nach Paris holen sollte. Nicht ohne Grund: Die vergleichsweise wenigen Fotografien, die Ivan Lutterer im Laufe seines Lebens gemacht hat, haben eine beachtliche Tiefe und sind von größtem ästhetischen Wert."

Im Ausland verbrachte er auch sein letztes Lebensjahr. Am 11. 11. 2001 starb er im amerikanischen Rochester, wo er seit dem Sommer 2000 im George Eastman House das Restaurieren und Konservieren von Fotografien studiert hatte.