Drei Generationen Glockengießer Manoušek

Foto: Ondřej Tomšů

Das Glockengießen hat eine lange Tradition, aber heute ist dieses Handwerk in Tschechien vom Aussterben bedroht. Petr Rudolf Manoušek ist einer der letzten Glockengießer hierzulande. Allen Widerständen zum Trotz führt er die Familientradition fort.

Foto: Ondřej Tomšů

Petr Rudolf Manoušek  (rechts). Foto: Ondřej Tomšů
„Nennen Sie mal eine andere Sache, die die Menschen in unveränderter Form seit eintausend Jahren begleitet. Die Glocke läutet zur Geburt, zum Tod, zur Taufe, zu verschiedenen Festen und Feiern. Seit eintausend Jahren immer die gleiche Glocke.“

Das sagt der Glockengießer Petr Rudolf Manoušek. Kurz vor Ostern ist er im Ort Zdiby nahe Prag. Zusammen mit einem Schmied will er dort zwei neue Glocken im Turm der „Kirche der Kreuzerhöhung“ aufgehängt. Sankt Anna und Sankt Helena heißen sie, und Manoušek hat sie selbst gegossen.

„Glocken werden aus einer sogenannten ‚Glockenspeise‘ gegossen. So heißt das Gussmaterial, es ist eine Zinnbronze aus 78 Prozent Kupfer und 22 Prozent Zinn. Kein weiteres Metall ist in der Legierung enthalten, verschiedene Sagen über Gold oder Silber in der Glockenspeise sind falsch. Wenn die Glocke einen, wie man sagt, silbernen Ton hat, dann geht das auf die Qualität des Abgießens und die jeweilige Stimmung zurück.“

Das Geheimnis des Glockenklanges

Petr Rudolf Manoušek  (links) mit seinem Vater  (Foto: Archiv von Petr Rudolf Manoušek)
Das Geheimnis des Glockenklanges liegt in der Berechnung der Glockenrippe, also ihres Längsschnittes. Kleinste Abweichungen können dabei über Gelingen oder Misslingen entscheiden.

„Wie wir wissen, wurde dies schon im Mittelalter berechnet. Bis heute gibt es gut klingende Glocken aus dem 11. oder 12. Jahrhundert. Wir haben aber keine Ahnung, wie dies so gut gelingen konnte. Damals hatten die Glockengießer keinen Computer und keinen logarithmischen Rechenschieber, trotzdem klingen die Glocken oft perfekt. Dieselbe Frage stellt sich bei der Glockenspeise. Das lässt sich mit dem Verstand kaum erfassen.“

Petr Rudolf Manoušek betont, das Herstellungsverfahren habe sich seit über eintausend Jahren kaum verändert. Er selbst nutze gerne die alten und bewährten Technologien, die in seiner Familie überliefert wurden:

„Ich habe den einfachsten möglichen Weg zu meinem Beruf gehabt, denn ich wurde in die Familie eines Glockengießers geboren. Seit meinen Kinderjahren bin ich in der Gießerei aufgewachsen.“

Foto: Archiv von Petr Rudolf Manoušek
Die Geschichte der Glockengießerei Manoušek beginnt im 19. Jahrhundert. Rudolf Manoušek der Ältere zieht nach der Lehre in die Welt und sammelt dort Erfahrungen. 1908 gründet er seine eigene Fabrik in der Nähe von Brno / Brünn in Südmähren. Später eröffnet auch sein Sohn eine eigene Glockengießerei. Diese wird 1948 verstaatlicht, und Rudolf Manoušek der Jüngere zieht nach Prag um. Bis 1967 darf er keine Glocken gießen, das Regime erlaubt dies nicht:

„In diesem Jahr gründete mein Vater die Glockengießerei in Zbraslav. Ich war zehn Jahre alt. Ich fand die Arbeit dort sehr interessant und war sehr gerne mit ihm dort. Später begann ich, meinem Vater bei der Arbeit zu helfen, beim Gießen von neuen und beim Restaurieren von alten Glocken. Wir haben den ganzen Sommer immer irgendwo auf einem Turm verbracht. Und an jedem freien Nachmittag war ich in der Gießerei. Dann hatte mein Vater einen Unfall und musste die Arbeit aufgeben. Ich habe dann die Gießerei übernommen. Unter der Aufsicht meines Vaters, der mich aus dem Krankenhaus beraten hat, gelang mir die Arbeit. Ich bin also mit dem Glockengießen aufgewachsen und hatte nie einen anderen Beruf.“

Die Rettung von alten Glocken

Foto: Wikimedia Commons,  Public Domain
Zum Erfolgsgeheimnis gehört auch ein eigenes Verfahren für die Reparatur von Glocken. Das hat Manoušeks Großvater nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt und ist innerhalb der Familie übermittelt worden:

„Bis dahin wurden alte Glocken, die einen Sprung hatten, eingeschmolzen und neu gegossen. Dadurch gingen historische Werte verloren. Mein Großvater entwickelte eine neue Technik, um die Glocken wieder zu verschweißen. Auch ich habe diese Technik übernommen. Heute können wir jeden Schaden wieder ausbessern. Selbst wenn die Glocke in mehreren Stücken zu uns gebracht wird und sogar einige Teile fehlen, schaffen wir es, die Glocke zu restaurieren und ihr ihren ursprünglichen Klang zurückzugeben.“

Glocke aus der Kirche in Vimperk,  die 1419 gegossen wurde  (Foto: Václav Malina,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Das lohne sich aber nur bei wertvollen alten Glocken, sagt der Fachmann. Denn die Kosten für dieses Verfahren lägen höher als die Fertigung einer neuen Glocke:

„Unter anderem ist die Glocke aus der Kirche in Vimperk durch meine Hände gegangen, sie wurde 1419 gegossen. Ältere Glocken werden heute nur noch in Museen aufbewahrt. Die überhaupt älteste Glocke hierzulande befindet sich im Museum in Cheb, sie stammt aus dem Jahr 1286. Die Glocke in Vimperk ist also eine der ältesten, die wir restauriert haben. Zudem lebt dort ein Glöckner, der auf seinem Privileg beharrt, allein die Glocke läuten zu dürfen. Er bringt sie mit der Hand in Schwingung. Mich freut es sehr, wenn ich sehe, dass die Menschen Glocken mögen und Interesse an diesen zeigen.“

Hochwasserkatastrophe 2002 in Prag-Zbraslav  (Foto: Archiv MČ Praha-Zbraslav)
Nach der Wende von 1989 gründete Petr Rudolf Manoušek sein eigenes Unternehmen. Das Geschäft blühte, der Meister und seine zwölf Angestellten erhielten zahlreiche Aufträge. Im Sommer 2002 kam es aber zur Hochwasserkatastrophe. Zbraslav liegt am Ufer der Moldau südlich von Prag, und die Kleinstadt war damals von den Fluten besonders schwer betroffen:

„In der Werkstatt stand das Wasser fünf Meter hoch. Fast alles wurde zerstört – das Archiv, die Maschinen, fünfzehn Glockenformen für die Kirche in Křtiny bei Brünn. Ich dachte aber damals, dass ich den Betrieb schnell wieder aufnehmen kann. Mehrere Institutionen, von den Kirchen bis zum Kulturministerium, haben mir damals Hilfe zugesagt. Doch diese blieb aus. Paradoxerweise kam sie dann von jemandem, von dem ich sie nicht erwartet hätte – von einer Konkurrenzfirma in Holland und von weiteren Mitgliedern des europäischen Verbandes der Glockengießer. Sie haben mir angeboten, in einer ihrer Werkstätten zu arbeiten.“

Die Flucht nach Holland

Foto: Archiv von Petr Rudolf Manoušek
Seitdem gießt Petr Rudolf Manoušek seine Glocken in der Werkstatt Royal Eijsbouts im holländischen Asten. Zunächst hielt er dies für eine Lösung auf zwei, drei Jahre. Doch die Rückkehr nach Tschechien erwies sich als gar nicht so einfach. In Zbraslav wurde zwar ein Hochwasserschutz installiert. Die nächste Flut jedoch offenbarte, dass dieser nicht funktioniert:

„Und so hat sich meine Lage bis heute nicht geändert. Wegen der Hochwassergefahr kann ich meine Werkstatt nicht versichern. Ohne Versicherung bekomme ich aber nicht die erforderliche Genehmigung zur Wiedereröffnung der Gießerei, geschweige denn einen Kredit oder Fördergelder. Daher bin ich schon seit 17 Jahren unterwegs. Meine Glocken gieße ich in Holland und bringe sie dann wieder hierher zurück. In Tschechien fertigen wir nur das Zubehör wie die Klöppel und Köpfe, montieren alles zusammen und hängen die Glocken in die Türme.“

Haus mit der Werkstatt Manoušeks  (Foto: Google Street View)
Sein Arbeitsweg sei also ziemlich lang, sagt der Glockengießer halb im Scherz. Manoušek lobt auch die tollen Arbeitsbedingungen, die ihm die entgegenkommenden Holländer bieten würden. Doch seinen Blick richtet er immer noch nach Zbraslav:

„Derzeit baue ich in unserem Haus ein Familienmuseum auf. Die Werkstatt soll ein Teil dieses Museums werden. Das ist die einzige Möglichkeit, um sie zumindest in Teilen wieder in Betrieb zu nehmen. Im kommenden Jahr feiert die Firma Manoušek ihren 120. Geburtstag. Zu diesem Jubiläum möchte ich das Museum eröffnen.“

Das Familienmuseum in Zbraslav

Mehrere tausend Glocken sind in den zurückliegenden 120 Jahren in den Werkstätten der Familie gegossen worden. Zudem haben sich die Manoušeks unter anderem an der Instandsetzung des Glockenspiels im Prager Loretto beteiligt sowie an der Reparatur der größten tschechischen Glocke, dem Zikmund im Prager Veitsdom. Petr Rudolf hat zudem zusammen mit holländischen Kollegen die größte schwingend läutbare Glocke der Welt hergestellt. Sie hängt in der japanischen Stadt Gotemba. Der Koloss ist vier Meter hoch und wiegt über 36 Tonnen. Ein weiteres Meisterwerk des Gießers ist ein bewegliches Glockenspiel mit 57 Glocken.

Petr Rudolf Manoušek  (Foto: Michal Trnka,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Insgesamt hat unsere Familie bisher 3000 Tonnen Glocken produziert. Leider wurde ein Großteil im Ersten und Zweiten Weltkrieg vernichtet. Trotzdem findet man unsere Glocken in der ganzen Welt. Am weitesten entfernt sind unsere Schiffsglocken, sie sind stets rund um die Erdkugel auf Reisen. Für mich sind meine Glocken meine Kinder. Wenn ich irgendwo hinfahre, sei es in Tschechien oder im Ausland, und weiß, dass dort eine meiner Glocken hängt, dann warte ich und höre mir ihr Geläut an. Ab und zu bekomme ich auch eine Ansichtskarte, eines meiner Kinder lässt somit von sich wissen. Darüber freue ich mich immer.“