Böhmen, Sachsen. So nah, so fern

Foto: Markéta Kachlíková
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Die Nationalgalerie Prag befasst sich in einer neuen Ausstellung mit der Geschichte der sächsisch-böhmischen Beziehungen. Dabei soll mit Gemälden und archäologischen Artefakten das Verhältnis der Nachbarn zueinander erzählt werden. Der Leiter der Sammlung Alter Meister der Nationalgalerie, Marius Winzeler, im Gespräch.

Foto: Markéta Kachlíková

Marius Winzeler  (Foto: Archiv der Nationalgalerie Prag)
Herr Winzeler, die neue Ausstellung in der Nationalgalerie heißt „Böhmen, Sachsen – so nah, so fern“. Was wollen Sie mit diesem Titel andeuten?

„Es geht uns darum, die Geschichte dieser Nachbarschaft zu zeigen. Nachbarn sind ja nicht immer nur nahe, sondern es gibt manchmal Konflikte oder Phasen, in denen man sich etwas ferner steht. In der großen Geschichte beider Regionen gab es immer wieder auch Zeitabschnitte, in denen sie sich in jeweils andere Richtungen orientiert haben. Wir möchten in unserer Ausstellung anhand von Kunstwerken und auch einigen historischen sowie archäologischen Dokumenten aufzeichnen, wie sich darin diese Nähe, aber auch die Ferne spiegelt.“

Wann fängt diese Geschichte der gegenseitigen Beziehungen an?

„Die ersten erhaltenen Artefakte stammen aus der Zeit von vor 7000 Jahren.“

„Die ersten erhaltenen Artefakte stammen aus der Zeit von vor 7000 Jahren. Das sind keramische Gefäße, die von der ersten Phase des bäuerlichen Lebens zeugen. Zwei dieser Stücke – das eine stammt aus Prag, das andere aus Nordwestsachsen – zeigen, dass die Leute ganz gleiche Vorstellung von der Form und Gestalt ihrer Alltagsgegenstände hatten. Damals haben keine Unterschiede und Grenzen bestanden.“

Wie ging die Entwicklung weiter? Wann standen sich Böhmen und Sachsen besonders nah?

Foto: Markéta Kachlíková
„Wenn man die Besiedlungsgeschichte betrachtet, waren das Früh- und Hochmittelalter ganz entscheidend. Damals wurden beide Regionen von Slawen besiedelt. Es wird heute nicht mehr so wahrgenommen, dass Sachsen mal ganz slawisch war und dass man auf beiden Seiten der heutigen Grenze slawisch gesprochen hat. Daran erinnern aber bis heute alle wichtigen Ortsnamen im Freistaat: Ob nun Leipzig, Chemnitz, Dresden, Görlitz oder Zittau, das sind alles Orte slawischen Ursprungs. Daran schließt sich dann auch ein großer gemeinsamer Wirtschaftsraum. Im späten Mittelalter wurde diese Region durch das geprägt, was man im Erzgebirge gefunden hat: Die Bodenschätze, Silber, Erze und später die Kohle, haben Sachsen und Böhmen auf wirtschaftlicher Ebene zusammengeschweißt. Der ökonomische Erfolg hat aber auch Kultur und Kunst massiv befördert. Es gab da ein großes Hin und Her, Wechselwirkungen und Wanderungen von Künstlern. Es war ein Geben und Nehmen. Manchmal war die eine Seite etwas dominanter, was von den politischen Umständen abhing. Es wechselte sich im Laufe der Zeit immer wieder ab.“

Welche sind die bedeutendsten Kunstwerke in der Ausstellung, die diese Entwicklung dokumentieren?

„Die hl. Ludmila die erste ‚Sächsin‘ gewesen, die durch Heirat nach Böhmen gekommen war und diese Länder verbunden hat.“

„Einige Exponate sind verbunden mit dem Namen der heiligen Ludmila, einer böhmischen Landespatronin. Sie ist für die frühe Zeit sicherlich eine zentrale Person. Es gibt da eine Überlieferung aus dem Mittelalter, wonach ihr Vater, Fürst Slawibor, eine Herrschaft auf dem Gebiet der heutigen Oberlausitz hatte. Wenn man die heutigen Grenzen berücksichtigt, wäre sie damit die erste ‚Sächsin‘ gewesen, die durch Heirat nach Böhmen gekommen war und diese Länder verbunden hat. Wir zeigen hier ein wunderbares Reliquiar aus dem 14. Jahrhundert, das Kopfreliquiar der hl. Ludmila aus dem Prager Domschatz, und Textilien aus ihrem Grab aus dem 9. Jahrhundert.“

Lukas Cranach: Hl. Christina  (Foto: Archiv der Nationalgalerie Prag)
Weitere Gegenstände zeigen unmittelbar die Wechselwirkungen zwischen Böhmen und Sachsen…

„Zum Beispiel ein Fragment eines großen Altars, den Lukas Cranach für den Prager Veitsdom geschaffen hat. Also der bedeutendste sächsische Künstler im 16. Jahrhundert hat eben auch für Prag gewirkt und hier das Kulturleben bestimmt. Nicht zuletzt durch eine Zahl von Schülern, die ganz angesehen waren an der Moldau. Führend war Meister IW, dessen vollen Namen wir leider nicht kennen. Seine Bilder gehören zum Schönsten, was die böhmische und gleichzeitig sächsische Renaissance zu bieten hat.“

Die Rede war bisher nur von den alten Meistern. Was zeigt die Ausstellung aus der modernen Kunst?

„Die kulturellen Beziehungen zwischen Sachsen und Böhmen haben schwer gelitten im 20. Jahrhundert mit seinen vielen Brüchen und Abgründen. Aber auch da gibt es wichtige Verbindungen. Oskar Kokoschka, der weder Böhme noch Sachse war, sondern ein Wiener, hat einige Jahre zunächst in Dresden als weitausstrahlende Künstlerpersönlichkeit gearbeitet. Später kam er dann für einige Jahre nach Prag. An beiden Orten hatte er durch seine Schüler und künstlerischen Nachahmer eine starke Ausstrahlung. Wir zeigen auch Werke von anderen Künstlern. Josef Hegenbarth war ein deutsch-böhmischer Grafiker aus Česká Kamenice / Böhmisch Kamnitz. Er studierte in Prag und Dresden und war immer zwischen Böhmen und Sachsen unterwegs. Nach dem Krieg und der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei hat er sich in Dresden niedergelassen. Er musste sein Frühwerk in Böhmen zurücklassen, blieb aber auch in seiner neuen Heimat immer noch ein böhmischer Künstler. Wir zeigen zwei schöne Bilder von ihm: das ‚Prager Caféhaus‘, ein Bild, das sich heute in Dresden befindet, und eine Elb-Ansicht. Darauf sind Menschen zu sehen, die am Elbufer auf ein Schiff aus Dresden warten. Dieses Bild befindet sich in der Nationalgalerie Prag. Also da kreuzen sich die Orte und die Bezüge über die Grenzen hinweg.“

„Der bedeutendste sächsische Künstler im 16. Jahrhundert, Lukas Cranach, hat eben auch für Prag gewirkt und hier das Kulturleben bestimmt.“

Sie haben aber auch die schwierigen Phasen in den gegenseitigen Beziehungen berücksichtigt…

„Es ist mir sehr wichtig, auf das Werk von Milada Marešová zu verweisen. Sie war eine tschechische Künstlerin, die auf Grund ihres politischen Engagements gegen den Nationalsozialismus lange Jahre im sächsischen Waldheim inhaftiert war und später auch ins KZ kam. Das hat sie künstlerisch verarbeitet. Oder Wieland Förster, einer der größten sächsischen Bildhauer des 20. Jahrhunderts. Er hat genau am 21. August 1968 eine sehr bedeutende kleine Bronze geschaffen, ‚Der Erschossene‘, inspiriert von den Schrecken, die sich damals in Prag mit der Niederschlagung des Prager Frühlings abgespielt haben. Er hat diese Plastik, die noch nie in der tschechischen Hauptstadt zu sehen war, den Opfern dieser Ereignisse gewidmet.“

‚Der Erschossene‘  (Foto: Markéta Kachlíková)
Bei der Ausstellung handelt es sich um ein gemeinsames Projekt der Nationalgalerie Prag und des Archäologiemuseums in Chemnitz. Dort war sie in den vergangenen Monaten schon zu sehen. Wie unterscheidet sich die Prager Version von der, die bereits in Sachsen gezeigt wurde?

„Das Chemnitzer Museum SMAC ist in einem ehemaligen Kaufhaus des berühmten expressionistischen Architekten Erich Mendelsohn eingerichtet und hat ganz andere räumliche Bedingungen. Hier im Prager Palais Sternberg haben wir hingegen wunderbare historische Räume. Die Ausstellung befindet sich im ehemaligen Gartensaal, der Kapelle und dem langgezogenen ausgemalten ehemaligen Pferdestall. In Chemnitz lag der Schwerpunkt der Schau aufgrund des Charakters des Museums auf der Archäologie. Zu sehen waren dort also eher Zeugnisse der Alltagsgeschichte. In Prag wiederum haben wir uns auf Kunstwerke konzentriert. Es lohnt sich, die Ausstellung an beiden Orten zu besuchen, weil man da eben ganz neue oder andere Werke sehen kann.“

Die Ausstellung „Böhmen, Sachsen – so nah, so fern“ ist bis 25. September 2019 im Palais Sternberg auf dem Prager Hradschin zu sehen. Geöffnet ist sie dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs sogar bis 20 Uhr.