Unendlicher Bombenhagel: Bericht aus Afrin

Foto: ČTK

Das syrische Afrin ist gefallen. Mitten in der belagerten Kurdenstadt war auch eine Filmemacherin aus Tschechien.

Afrin  (Foto: ČTK)
Am Sonntag wehten nach erbitterten Kämpfen türkische Fahnen über Afrin. Die nordsyrische Stadt, die vor allem von Kurden bewohnt ist, war gefallen. Die Besetzung von Afrin ist Teil der türkischen Militäroperation „Olivenzweig“ gegen kurdische Milizen, vor allem gegen die YPG und die YPJ. Der Nato-Staat marschierte dazu Ende Januar in einer völkerrechtlich hoch umstrittenen Aktion in das Bürgerkriegsland Syrien ein. Das Militärbündnis billigte das stillschweigend, denn die Türkei argumentierte mit der eigenen Sicherheit. Laut Ankara sollen die dortigen Milizen mit der türkischen Kurdenpartei PKK in Verbindung stehen. Auch in Tschechien gab es kaum Reaktionen auf das türkische Vorgehen. Und wenn, dann eher zurückhaltenden gegenüber dem Bündnispartner Türkei. So äußerte sich beispielsweise der konservative Euro-Parlamentarier Jaromír Stetina in den sozialen Medien, Zitat:

„Ein Mitgliedsstaat der Nato, also unser militärischer Verbündeter, wendet Gewalt gegen Kurden auf syrischem und irakischem Staatsgebiet an. Das Dilemma, wer eigentlich unser Verbündeter in Afrin ist, kann man nur mit viel diplomatischem Fingerspitzengefühl lösen. Man muss dazu aber die Frage beantworten, ob man die brutalen Menschenrechtsverletzungen von Seiten der Türkei akzeptieren darf, nur um den militärischen Zusammenhalt nicht zu gefährden.“

Afrin  (Foto: ČTK)
Das Ergebnis der Operation „Olivenzweig“ in der Region um Afrin: Bis Anfang März waren nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) rund 330 Zivilisten gestorben, darunter viele Kinder. Wie viele Opfer der türkische Angriff in Afrin tatsächlich gefordert hat, wird sich wohl kaum mehr überprüfen lassen.

Permanent im Fadenkreuz

Zwei Wochen lang war auch die tschechische Dokumentarfilmerin Jana Andert in der belagerten Stadt. Sie arbeitet derzeit an einer Reportage aus Nordsyrien, nachdem sie sich schon mit Berichten aus dem Nordirak einen Namen gemacht hatte. Nachdem sie in Sicherheit war, meldete sie sich per WhatsApp bei den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks. Als sie nach Afrin gekommen sei, habe noch kaum etwas erinnert, so die Filmemacherin. Die Geschäfte hätten noch offen gehabt und das Leben sei so normal wie möglich weitergegangen. Irgendwann sei die Stimmung aber umgeschlagen, sagt Jana Andert.

„Ich bin mittlerweile froh, draußen zu sein. Mir tun aber die ganzen Zivilisten leid, die diese Möglichkeit nicht haben.“

Jana Andert  (Foto: YouTube Kanal von RTV Rijnmond)
Laut einiger Bewohner von Afrin, die sich in Sicherheit bringen konnten, muss man für eine Flucht rund 700 Euro zahlen. Für viele war dieser Dienst von Schlepperbanden aber unerschwinglich.

Andert hat in der belagerten Stadt auch den andauernden Bombenhagel des türkischen Militärs miterlebt:

„In den zwei letzten Tagen, in denen ich in Afrin war, nahmen auch die Bombardements auf die Stadt zu. Ich war in einem der dortigen Krankenhäuser und habe dort mit einem Arzt gesprochen. Er hat mir gesagt, dass nicht ein einziger der eingelieferten Verletzten eine Schusswunde hatte. Alle Verwundeten seien Opfer der Bomben geworden – ob nun Zivilisten oder Soldaten. Das ist eine absolut verrückte Taktik der Türkei.“

Afrin  (Foto: ČTK)
Die reguläre türkische Armee führte ihren Krieg vor allem aus der Luft. Am Boden war wiederum die mit Ankara verbündete Freie syrische Armee (FSA) aktiv, also der Zusammenschluss von teils radikalislamischen Kräften wie den Terrormilizen Al-Nusra, Ahrar al-Scham oder der Levante Front. Die Kooperation von türkischer Armee und den irregulären sunnitischen Verbänden sei dabei so effektiv wie tückisch gewesen, berichtet Jana Andert:

„Die Türkei benutzt Kämpfer der FSA, die sie an die vorderste Front schickt. Diese greifen dann die Verbände der YPG an. Natürlich schießen die zurück, um sich zu verteidigen. Die Stellung der YPG-Kämpfer wird sofort von den türkischen Drohnen registriert, die dann die Bomber alarmieren. Bodenkämpfe gibt es da fast keine. Es ist eigentlich ein permanenter Bombenhagel.“

Afrin  (Foto: ČTK)
Laut Jana Andert konnte man nie wissen, wann ein Bombardement anfing und endete. Die Drohnen und Flugzeuge der türkischen Streitkräfte hätten fast alle fünf Minuten zugeschlagen.

Resignation der Bevölkerung

Im Kampf um die Stadt Kobane hatten die kurdischen Verbände noch die Unterstützung der USA. Damals ging es gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“. Bei der Belagerung von Afrin standen die Kurden alleine da – auch Russland duldete das Vorgehen Ankaras, und die Armee des Assad-Regimes konnte es mit dem übermächtigen Gegner aus dem Norden nicht aufnehmen. Das hätten auch die Menschen in Afrin gespürt, so die Dokumentarfilmerin:

Afrin  (Foto: ČTK)
„Nach meiner Ankunft habe ich mit den Menschen dort gesprochen, und sie waren davon überzeugt, dass sie von den Amerikanern oder Russen gerettet werden würden. Sie haben nicht daran geglaubt, dass die Türken die Stadt tatsächlich einnehmen würden. Am Ende wurde ich dann aber immer öfter gefragt: ‚Wo sind denn die Amerikaner? Wo sind denn die Russen? Warum kommt uns niemand zur Hilfe?‘ Da die USA die kurdische YPG im Kampf gegen den Islamischen Staat unterstützt hat, erwarteten die Menschen auch jetzt die Hilfe der Amerikaner. Leider sieht es so aus, als ob man sie im Stich gelassen habe.“

Keine leichte Flucht möglich

Afrin  (Foto: ČTK)
Jana Andert ist mittlerweile in Sicherheit, sie konnte Afrin mit einem Flüchtlingskonvoi nach Kobane verlassen. Gerade für sie als Ausländerin war das aber nicht einfach:

„Ich bin im letzten Moment aus Afrin raus. Ich bin mit den Zivilisten mitgefahren. Das Problem dabei war, dass man auf dem Weg nach Kobane, also dem anderen Kurdengebiet in Syrien, durch vom Assad-Regime kontrolliertes Gelände muss. Ich wäre da sofort verhaftet worden, da ich mich aus Sicht des Assad-Regimes illegal im Land aufgehalten habe. Der Rückweg war für mich also sehr anstrengend.“

Während der Belagerung war die Stadt immerhin nicht komplett von der Außenwelt abgeschnitten, es gab einen schmalen Korridor nach draußen. Doch um aus Afrin herauszukommen, hätte dies geheißen, sein Leben zu riskieren, so Jana Andert. Denn auch dieser Korridor sei durchgehend das Ziel türkischer Bomben gewesen. Fliehen konnten am Ende rund 150.000 Menschen.