Tschechien - eine religionsfreie Zone?

Ostergottesdienst in Prag

Im heutigen Forum Gesellschaft geht Katrin Sliva der Frage nach, wie es um die Religiosität der tschechischen Bevölkerung bestellt ist. Viel Vergnügen dabei.

Ostergottesdienst in Prag
So klang es am Ostermontag in der Kirche der Hl. Vorsila (Ursula) in der Prager Innenstadt. Die Bänke waren allerdings halb leer. Überwiegend wird der Ostermontag eben doch mit einer "schlagfertigeren" Tradition begangen, der man schwerlich christliche Wurzeln nachsagen kann: Mit der Osterrute treibt der männliche Teil der Bevölkerung dem weiblichen den Frühling ein, zum Teil den zweiten. Eine Verschönerungskur ist es, sagen die einen, die Fruchtbarkeit soll es steigern, lautet es bei den anderen. Frau zeigt sich jedenfalls dankbar: Mit Osterschnaps- und Ei. Ein heidnischer Brauch, der in weiten Teilen des Landes bis heute durchaus praktiziert wird. Dem christlichen Glauben sind die Tschechen nur bedingt verbunden. Das zeigt sich nicht nur an diesem Beispiel. Das Statistische Amt hat im Zuge der letzten Volkszählung etwas weniger als 3,3 Mio. Christen gezählt, was knapp 30% der tschechischen Bevölkerung ausmacht. Dabei handelt es sich aber um Christen auf dem Papier, wie Daniel Herman, Sprecher der Tschechischen Bischofskonferenz, herausstellt:

"Praktizierende Christen bilden nur etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung, d.h. sonntags kommen etwa 500 000 Leute in die Kirchen. Man kann nicht sagen, dass die Tschechen bei uns a priori dagegen sind. Die Leute suchen eine vertikale Dimension des Lebens. Das bedeutet aber nicht, dass sie sich mit einer Kirche oder einer Religionsgemeinschaft identifizieren."

Bereiche wie die katholische Caritas beispielsweise werden sehr gut angenommen, was sich nicht zuletzt darin äußert, dass sie landesweit vertreten ist. Auch die Seelsorge an schulischen und militärischen Einrichtungen, in Gefängnissen und bei der Polizei findet Anklang. Aber die klassische Seelsorge trifft auf Widerstände. Doch was ist der Grund dafür, dass Tschechien mit seinen knapp 30% getauften Christen die atheistische Hochburg Europas ist?

Gottesdienst in Karlsbad
"Ich denke, dass das kommunistische Regime dafür verantwortlich ist. Es hat deutliche Spuren hinterlassen und es wird noch seine Zeit brauchen, bis sich die Wirkung verflüchtigt. Ich glaube aber, dass die Zahl der Gläubigen bereits wieder steigt. Das alles ist also nur eine Frage der Zeit."

Sagt ein etwa 20 Jahre junger Gottesdienstbesucher, der sich selbst als gläubiger Christ bezeichnet. Mit seiner Vermutung, dass die Zahl der Christen in Tschechien seit der Samtenen Revolution im Jahre 1989 tendenziell steigt, liegt er falsch. Zumindest, wenn man den Ergebnissen der Volkszählungen Glauben schenken kann: Zwischen 1991 und 2001 ist die Zahl der gläubigen Frauen um 25% und die der Männer um 30% zurückgegangen. Auch die These, dass das kommunistische Regime die christliche Gesinnung der hiesigen Bevölkerung zu Nichte gemacht hat, ist keine hinreichende Erklärung. Schließlich leben in der Slowakei fast doppelt so viele Christen wie in Tschechien. Und die Slowakei blickt ebenfalls auf eine kommunistische Vergangenheit zurück.

"Ich weiß nicht, warum das so ist. Schließlich gab es dort ja auch den Kommunismus. Ich weiß auf diese Frage wirklich keine Antwort."

Gibt auch eine der Kirchgängerinnen zu. Ratlosigkeit also auf weiter Flur? Ich habe Daniel Herman um einen Erklärungsversuch gebeten. Er sieht die Wurzeln dieses Phänomens viel früher, und zwar bereits im 15. Jahrhundert:

Ostermontag in Bousin
"Ich glaube, dass der Beginn dieser Säkularisierung in der Zeit der Hussitenkriege liegt. Also, es gab die katholische Kirche und die protestantische Kirche, die nebeneinander existierten. Aber dann, vor allem nach der Schlacht am Weißen Berg im Jahre 1620, hat eine Rekatholisierung eingesetzt. Die katholische Kirche hat sich damals stark mit dem Staat identifiziert. Einerseits war es natürlich zumindest kurzfristig gut für die Kirche, wenn sie vom Staat gefördert wurde. Aber gleichzeitig hat dadurch eine Entfremdung des einfachen Volkes von der Kirche begonnen, da beispielsweise die Bischöfe allesamt aus aristokratischen Familien stammten."

Dieser Entfremdungsprozess setzt sich auch nach der Gründung der Ersten Tschechoslowakischen Republik im Jahre 1918 fort:

"Die Erste Tschechoslowakische Republik war sicherlich ein demokratischer Staat, der auf christlichen Prinzipien gegründet war, aber er war sehr antikatholisch orientiert. Das hat sicherlich Spuren hinterlassen. In den 30er Jahren hat sich die Situation zwischen dem Staat und der katholischen Kirche langsam normalisiert. In den Jahren 1938/39 begann aber die nazistische Okkupation und der Zweite Weltkrieg und es gab wieder eine Verfolgung. Praktisch gleich nach dem Krieg, mit den sowjetischen Panzern, sind die Kommunisten ins Land gekommen. Es ist fraglich, ob die kurze Periode zwischen 1945 und 1948 eine demokratische war. Meiner Ansicht nach war sie es nicht. Damals wurde bereits alles von Moskau kontrolliert."

Nach dem kommunistischen Putsch im Jahre 1948 setzt dann eine Periode der Verfolgung und Unterdrückung von Kirchenangehörigen und Gemeindemitgliedern ein, die ihr Übriges tut. Zu einem beachtlichen Teil, sicherlich.

Die heutigen tschechischen Christen sind größtenteils römisch-katholischer Konfession (2,7 Mio. Mitglieder). Die zweitgrößte Religionsgemeinschaft bildet die Kirche der böhmischen Brüder, einer Kirche evangelischer Tradition (ca. 200 000 Mitglieder), gefolgt von der Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche (ca. 100 000). Übrigens ist die Zahl der Gläubigen auf dem Land geringer als in der Stadt. Das geht wohl noch auf die Zeit vor 1989 zurück, als es für die praktizierenden Christen in der Stadt aufgrund der größeren Anonymität einfacher war, sich vor der Polizei zu verstecken. Und eine Besonderheit zum Schluss: Eine Kirchensteuer gibt es in Tschechien bis zum heutigen Tage nicht.