Mit Kraft ins Alter: Die Pionierin der Seniorenklubs Dana Steinová

Dana Steinová (Foto: Jan Sklenář, Archiv des Tschechischen Rundfunks)

„Was soll ich jetzt machen?“ – Mit dieser Frage werden jedes Jahr in Tschechien Frauen und Männer konfrontiert, die nach Erreichen des Rentenalters aus ihrem Beruf ausscheiden. Vielen von ihnen fällt der Übergang in den neuen Lebensabschnitt schwer. Ein großer Teil der Seniorinnen und Senioren fühlt sich auf einmal von der Außenwelt abgeschnitten. Dana Steinová entschied sich vor über 30 Jahren etwas dagegen zu tun.

Dana Steinová  (Foto: Jan Sklenář,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Dana Steinová ist Jahrgang 1949 und ist eigentlich Ökonomin. Eine ganze Zeitlang war allerdings (in Anführungszeichen) „ihr Hauptberuf“ die Betreuung ihrer Kinder, insgesamt sechs an der Zahl. Zu ihren „Kindern“ zählt sie inzwischen aber auch „Den Klub für aktives Altern“, „Die Universität des 3. Lebensalters“, „Die Universität für Freizeitgestaltung“ und „Das Zentrum für lebenslange Bildung“. Diese mittlerweile etablierten gemeinnützigen Einrichtungen hat sie eine nach der anderen aus der Taufe gehoben. Das erste Projekt kann inzwischen auf sein 34-jähriges Bestehen zurückblicken:

„Es war kurz nach der Geburt meines fünften Kindes, mich überfiel damals hie und da das Gefühl der Beklommenheit. Ich hatte aber niemanden, der sich um die Kinder hätte kümmern können, während ich medizinische Hilfe gesucht hätte. Du musst dir selbst helfen, sagte ich mir dann. Ich brauchte etwas, was mich so sehr beschäftigt hätte, dass die unangenehmen Gefühle aus meinem Kopf verschwinden. Zufällig las ich damals in der Presse über einen so genannten ‚Klub für aktives Altern‘ (Klub aktivního stáří) im Prager Stadtviertel Břevnov. Der Artikel endete mit einem Aufruf, auch anderswo ähnliche Seniorenklubs zu betreiben. Namentlich in den neuen Plattenbausiedlungen, die am Rande unserer Städte wie Pilze aus dem Boden schossen. Unter den überwiegend jungen Familien mit Kindern lebten dort auch ältere Menschen, die aus verschiedenen Gründen ihre ursprünglichen Wohnorte verlassen hatten. Im neuen Umfeld gab es im Grunde genommen keine Möglichkeiten für sie, soziale Kontakte zu knüpfen.“

Illustrationsfoto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
Die Bewohner der neuen Plattensiedlungen mussten in der Regel in Kauf nehmen, dass die Umgebung ihrer Häuser lange wie eine Baustelle aussah. Treffen konnte man sich höchstens im Selbstbedienungsladen oder im Wartezimmer beim Arzt. So war es auch am neuen Wohnort von Dana Steinová. Mit 34 Jahren entschied sie sich, dort einen Seniorenklub mit gleichem Namen zu gründen.

„Es war keineswegs leicht, mein Vorhaben umzusetzen. Ich war ja eine Mutter von fünf Kindern, die sich ihren Plan praktisch am Küchentisch ausgedacht hat. Für seine Umsetzung brauchte ich einen Klubraum und etwas Geld für die Honorare der Künstler, die ich einladen wollte. Ums Geld für mich persönlich ging es gar nicht. Ich war im Mutterschaftsurlaub und durfte zusätzlich kein Geld verdienen. Es war natürlich zudem schwer, die Genehmigung der zuständigen Stellen für das Projekt zu erhalten. Doch nach einer für mich mühevollen Zeit im Herbst 1983 ist es endlich gelungen.“

Endloser Übungslauf wegen bürokratischer Hürden

Foto: Neil. Moralee via Foter.com / CC BY-NC-ND
Man genehmigte ihr, zur Probe eine Veranstaltung vorzubereiten, die im Januar des kommenden Jahres stattfinden sollte. Bei der Kommunikation mit den Behörden sei es allerdings nicht leicht gewesen, so Steinová, ihre Vorstellung des Programmkonzepts durchzusetzen:

„Von den Herren, die das Sagen hatten, hörte ich wiederholt: Es gehe doch um Menschen in der postproduktiven Lebensphase. Es lohne sich nicht mehr, in dieses Gebiet zu investieren. Es gebe doch Rentnerklubs, wo man sich beim Kartenspiel treffe oder gemeinsam beim Akkordeonspiel singe. Meine Antwort war, dass bei weitem nicht jedermann an derartiger Unterhaltung interessiert sei. Sollte es nach mir gehen, hätten in einer bunt konzipierten Programmreihe verschiedene Bereiche vertreten sein müssen. Zum Beispiel die klassische sowie Popmusik, Begegnungen mit bekannten Persönlichkeiten und Vorträge zu medizinischen oder historischen Themen und ähnliches mehr.“

Ein kleines Projekt angelt große Fische

Ljuba Hermanová  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Die Mittdreißigerin zerbrach sich ernsthaft den Kopf darüber, wer als erster vor dem Seniorenpublikum mitten der Plattenbaulandschaft „Jižní Město“ (Südstadt) auftreten sollte. Gleich am Start wirft sie mutig ihre Netze in den oberen Etagen der tschechischen Kulturschaffenden aus. Für die Zusammenarbeit gewinnt sie den anerkannten TV-Talkmaster und Dramatiker Jan Pixa. Als allererster Künstler, genauer gesagt Künstlerin, gastierte in dem Projekt die 1913 geborene Ljuba Hermanová. Sie war damals eine beliebte Schauspielerin, Musical- und Operettenstar und nicht zuletzt auch Chanson-Sängerin.

„Ljuba Hermanová war damals nicht nur in meinen Augen ein Prototyp für das erfolgreiche Altern. Mit ihren 75 Jahren war sie noch in der Lage, ein Rad auf dem Podium zu schlagen. So etwas schaffte ich persönlich nicht einmal mit 15. Ihr Auftritt, bei dem sie bekannte Lieder in Klavierbegleitung sang, war ein großer Erfolg. Die anwesende Genehmigungskommission teilte mir mit, dass sie über eine weitere Veranstaltung noch beraten wolle. Das Publikum ging nach Hause, ohne zu erfahren, dass es ein nächstes Programm geben würde. Nachdem ich nach einiger Zeit eine neue Genehmigung erhalten hatte, musste ich wieder mit einem Infoblatt von Haus zu Haus laufen.“

Plattensiedlung Jižní Město
Ebenso wie beim ersten Mal stand sie vor der Frage, wie man potentielle Interessenten über eine anstehende Veranstaltung in Kenntnis setzen kann. Doch auch dieses Problem wusste Dana Steinová zu meistern. Mit Wählerverzeichnissen gewappnet tourte sie durch die Plattensiedlung und warf Einladungen in die Briefkästen der Senioren. Nach zwei erfolgreichen Veranstaltungen erlaubte man ihr schließlich, das Projekt regelmäßig fortzusetzen. Für sie selbst mehrere Jahre ohne finanzielle Gegenleistung. Immerhin bekam Steinová den zugewiesenen Saal im sogenannten Kulturzentrum kostenlos. Aus dem Jahresbudget von rund 20 000 Kronen konnte sie den Mitwirkenden aber nur bescheidene Honorare zahlen. Trotz der generellen Projektbewilligung brauchte sie für jede einzelne Veranstaltung zusätzlich die Zustimmung der offiziellen Stellen. Deswegen musste ein Programmplan jeweils ein halbes Jahr im Voraus zur Abstimmung vorgelegt werden. Für Dana Steinová war es jedes Mal eine Herausforderung:

„Ich habe mir bald eine neue Programmreihe ausgedacht mit dem Titel ‚An den Beginn seiner Filmkarriere erinnert sich ...‘. Eingeladen waren große Stars des tschechischen und slowakischen Films, geboren zwischen 1900 und 1940. Anfangs war es nicht immer leicht, sie für einen Gastauftritt zu gewinnen. Doch nach und nach kamen auch diejenigen, die früher abgesagt hatten. Im Lauf von einigen Jahren konnten wir insgesamt 269 namhafte Künstlerinnen und Künstler willkommen heißen. Von den ältesten angefangen, die schon als Vorkriegsstars berühmt wurden, bis hin zu den jüngeren. Kurzum, alles was hierzulande Rang und Namen in der Filmszene hatte, war zu Gast in unserem ‚Klub für aktives Altern‘.“

Von der Unterhaltung bis zur Bildung

Illustrationsfoto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
Ende Januar kommenden Jahres feiert der Klub sein 34-jähriges Bestehen. Im Lauf der Zeit expandierte er mit seinen Veranstaltungen auch in andere Prager Stadtteile. Auf dem Programm stehen Theater- und Filmvorstellungen, Konzerte und verschiedene Vortragszyklen. Zum Beispiel über bekannte Architekten, alte Burgen, berühmte Museen und vieles mehr. Der Eintritt ist aber nicht mehr gratis. Pro Veranstaltung bezahlt man 50 Kronen, umgerechnet rund zwei Euro. Für die meisten Rentner eine erschwingliche Summe, was auch die hohe Teilnahme zeigt.

Auf die Frage, wie sie die Organisation so vieler Veranstaltungen als Mutter von fünf Kindern schaffen konnte, korrigiert Dana Steinová lachend die Zahl ihrer Kinder. Es sei bald noch ein sechstes Kind hinzugekommen. Im Lauf der Zeit habe sie eine Routine entwickelt, um die Familie gut zu managen. Zudem blieb es in ihrer gemeinnützigen Arbeit bei weitem nicht nur beim Seniorenklub für aktives Altern.

Universität des 3. Lebensalters  (Foto: Europäische Kommission)
Ihr zufolge waren es gerade die Senioren des „Klubs für aktives Altern“, die sie inspirierten, sich vor 30 Jahren für die Gründung der so genannten „Universität des 3. Lebensalters“ in Prag einzusetzen. Mit ihr verknüpfte Dana Steinová fünf Jahre ihrer Laufbahn. Danach ging es bei ihr wieder weiter. Diesmal allerdings unter den neuen Verhältnissen nach der politischen Wende von 1989 in der Tschechoslowakei:

„Im Januar 1993 habe ich ein neues Ausbildungsprojekt in die Wege geleitet. Diesmal ein Mehrgenerationenprojekt mit dem Titel ‚Die Universität der Freizeit‘. Inspiration holte ich mir aus Frankreich, wo sich die ‚Universitäten des 3. Lebensalters‘ mit Studierenden im Seniorenalter in Mehrgenerationen-Bildungsprojekte umgewandelt haben. Zum ersten Semester haben sich in Prag 2 800 Studenten eingeschrieben.“

Heutzutage leitet Dana Steinová „Das Zentrum für lebenslange Bildung“, gegliedert in mehrere Teilbereiche mit differenzierten Programmen. Sie freut sich sehr darüber, dass jährlich mehr als dreitausend Interessenten den Weg ins Zentrum finden. Die ältesten sind über 80 und 90 Jahre alt. Noch wichtiger als das erlangte Wissen sei aber, dass viele von ihnen neue Freundschaften schließen konnten, so Steinová. Sie persönlich könne sich nicht vorstellen, wie ihr Leben ohne die hoch motivierten Senioren aussehen könnte. Und das glaubt man der unermüdlichen Bildungsmanagerin gern.