Der Verein „Andere Roma“ leistet Hilfe zur Selbsthilfe – mit Fußball

Club FK Chanov (Foto: Offizielle Facebook-Seite des Clubs FK Chanov)

Roma gelten in Tschechien als problematische Minderheit. Viele sind arbeitslos, häufig ohne Ausbildung und auf staatliche Hilfen aufgewiesen. Die Kriminalität unter ihnen ist höher als im tschechischen Bevölkerungsdurchschnitt. Vertreter von Roma-Organisationen beklagen häufig die Diskriminierung und Vorurteile von Seiten der Mehrheitsgesellschaft. Der Verein „Andere Roma“ aus dem nordböhmischen Chanov will zeigen, dass jeder auch unter schwierigen Bedingungen sein Schicksal in die eigene Hand nehmen kann.

Plattenbausiedlung Chanov  (Foto: Archiv Radio Prag)
Am Rande des nordböhmischen Most / Brüx gibt es eine große Plattenbausiedlung namens Chanov. Von der Stadt ist sie durch eine vierspurige Landtrasse getrennt und auch ihre Bewohner leben separiert. Die meisten von ihnen sind arbeitslos und pflegen nur wenig Kontakt mit der Mehrheitsgesellschaft. Kriminalität ist an der Tagesordnung, viele Wohnungen sind ausgeplündert. Daher hat Chanov seit Jahren den Ruf eines Roma-Ghettos, um das Fremde einen großen Bogen machen. Vor etwa zwei Jahren formierte sich jedoch genau dort eine Gruppe von engagierten Roma, die die triste Situation verbessern möchten. „Aver Roma“ heißt sie, zu deutsch „Andere Roma“. Die Mitglieder haben einen einfachen Weg gewählt: Sie spielen Fußball mit den Jugendlichen. Jindřich Vaňo ist Sekretär des Clubs.

Club FK Chanov  (Foto: Offizielle Facebook-Seite des Clubs FK Chanov)
„Am Anfang war es schwierig mit unseren Jungen, sie sind einfach Heißsporne. Disziplin hat also die höchste Priorität. Wir sagen es ihnen offen: Als Roma werdet ihr immer genauer beobachtet als andere, viele haben Angst, wie ihr euch verhalten werdet. Ihr habt viel Temperament, das sich jedoch nur auf dem Fußballplatz zeigen sollte. Und sie verstehen das. Das heißt, während andere Teams vor dem Spiel angespornt werden müssen, sind unsere Jungen eher zu beruhigen. Die Ergebnisse sind schon sichtbar: Wir sind zum fairsten Team im Bezirk Chomutov / Komotau erklärt worden. Es passiert sogar, dass sich unsere Gegner auf uns freuen. Unsere Spieler meckern nicht und tragen keine Konflikte aus, sondern konzentrieren sich auf das Spiel.“

Club FK Chanov  (Foto: Offizielle Facebook-Seite des Clubs FK Chanov)
Der Club FK Chanov spielt mittlerweile in der Kreisliga, und trifft dort auf Nicht-Roma-Mannschaften. Die erste Saison beendete der Verein sogar auf dem dritten Platz. Auf diese Weise können die Jungen auch ihre „weißen“ Altersgenossen kennenlernen und mit einigen sogar Freundschaft anknüpfen – ein großer Vorteil gegenüber anderen Roma-Mannschaften, die nur gegen Clubs der Minderheit spielen. Außerdem werden die Fußballspieler aus Chanov relativ leicht an Schulen aufgenommen und schaffen es auch, dort zu bestehen. Kindern und Jugendlichen, die wenig Erfahrung mit den Regeln der Mehrheitsgesellschaft haben, gelingt das nicht. Irena Petráková ist Angestellte der Stadtverwaltung Most. Sie hilft dem Verein seit den Anfangstagen:

Club FK Chanov  (Foto: Offizielle Facebook-Seite des Clubs FK Chanov)
„Ich erinnere mich an das erste Spiel des Clubs, das ich gesehen habe. Die Jungen waren wütend, schrien aufeinander ein und fingen beinahe an, sich zu prügeln. Da hat aber Herr Vaňo eingegriffen und gesagt, wenn ihr euch so verhaltet, dürfen wir das nächste Mal nicht mehr spielen. So ein Verhalten wird hier nicht akzeptiert. Er konnte sie wirklich maßregeln und jedes Problem im Keim ersticken. Auch vulgäre Ausdrücke wurden verboten. Es kam mir eher so vor, als sei die Gegenseite verwundert, dass sie mit Roma spielen sollte. Für die „weißen“ Jungen war es wahrscheinlich das erste Treffen aufeinandertreffen. Und sie haben dabei erkannt, dass man mit Roma ganz normal umgehen kann.“

Club FK Chanov  (Foto: Offizielle Facebook-Seite des Clubs FK Chanov)
„Aver Roma“ möchte seine Aktivitäten noch ausbauen. Einige Jugendliche begeistern sich für Musik und haben eine Band gegründet. Sie haben sogar einen alten Musiker gefunden, der sie gerne gratis unterstützt. Die Band hat aber keinen eigenen Proberaum, und muss abwechselnd in verschiedenen Garagen spielen. Zwar stehen in Chanov etwa 40 Prozent der Wohnungen leer, die Stadt will sie laut Jindřich Vaňo dennoch nicht vermieten:

„Wir von „Aver Roma“ können die Räume einfach nicht bekommen. Es kommt zwar immer wieder vor, dass jemand ohne jede Genehmigung oder Vertrag in eine leere Wohnung einzieht. Diesen Weg möchten wir aber nicht gehen, das ist nicht unser Stil. Daher hat die Band nur eingeschränkte Möglichkeiten zu spielen, das ist schade. Mit Fußball haben wir schon guten Erfolg gehabt, das ist aber nicht das einzige, was wir machen wollen. Neben der Band gibt es Mädchen, die Handball spielen wollen. Das Interesse dafür besteht schon seit langem. Da stehen wir jedoch noch am Anfang.“

An Plänen herrscht in Chanov keinen Mangel, ihre Umsetzung scheitert häufig aus unterschiedlichen Gründen. František Nistor ist der stellvertretende Vorsitzende von „Aver Roma“. Er ist der Ansicht, die Mitglieder seien in ihren Verhandlungen mit Behörden wenig durchsetzungsstark und müssten noch an Erfahrung gewinnen:

„Am Anfang wollten wir über den Fußball die Jungen beruhigen und zum Guten motivieren. Dann kamen die Erwachsenen und forderten, dass wir auch für sie etwas machen sollen. Der Verein wurde größer, heute hat er an die 80 Mitglieder. Als die Stadtverwaltung über die Renovierung der Häuser entschieden hat, wollten auf einmal viele mitmachen, um etwas daran zu verdienen. Wir haben das verhindert und haben gesagt, wir sanieren das, denn es war unsere Idee. Ich bin selbst dort aufgewachsen und habe viel Unwesen getrieben. Darum finde ich es richtig, bei der Renovierung selbst Hand anzulegen. Wir haben begonnen mit verschiedenen Beamten zu verhandeln, aber die Türen blieben verschlossen. Das ist Politik, die für uns unverständlich ist.“

Foto: Offizielle Facebook-Seite des Clubs FK Chanov
Auch Rivalitäten unter den Roma-Organisationen bereiten Probleme. „Aver Roma“ unterscheidet sich nicht nur durch seinen Focus auf Fußball von anderen Vereinen. Bereits der Name spiegelt die spezielle Sichtweise auf die Lage der Roma-Minderheit. Von „Aver Roma“ soll die Minderheit Hilfe zur Selbsthilfe erhalten und aus eigener Kraft Verbesserungen erreichen. Die bedingungslose Einhaltung der Gesetze ist eine Grundvoraussetzung – doch diese Einstellung sei laut dem Verein bei anderen Roma wenig verbreitet. Aus diesem Grund sei es auch zu Anfeindungen zwischen „Aver Roma“ und einer Organisation namens „Haus der Roma“ gekommen. Irena Petráková von der Stadtverwaltung Most erinnert sich an eine Begebenheit:

„Als ich zum ersten Mal mit meiner Kollegin da war, beobachteten wir eine Gruppe von etwa 40 jungen Fußballern, die mit einem kaputten Ball trainiert haben. Wir gingen also zu einer anderen Roma-Organisation hier in der Stadt, die sehr viel finanzielle Unterstützung bekommt. Wir fragten dort, ob sie diesen Spielern nicht Bälle leihen könnten. Doch die Antwort lautete Nein. Dabei war die Turnhalle dort leer, niemand war im Haus. Es kam mir sehr grausam vor, aber ich konnte nichts weiter unternehmen. Meiner Meinung wissen viele Roma-Organisationen wie man Gelder bekommt, ohne damit etwas wirklich Hilfreiches anzufangen. Im Einreichen von Anträgen sind sie erfahren. Dieser Verein hat eine komplette Sportausrüstung, aber Bälle verleiht er nicht.“

Chanov  (Foto: Gabriela Hauptvogelová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Der Konflikt zwischen den beiden Verbänden erreichte letztes Jahr seinen Höhepunkt. Die Stadt ließ ein neues Fußballstadion bauen, mit seiner Verwaltung beauftragte sie jedoch das „Haus der Roma“. Der Verein solle lediglich die Ordnung überwachen und Aufräumarbeiten übernehmen, begründete die Stadt ihre Wahl. Die Vertreter von „Aver Roma“ legten Protest ein und drohten sogar, ihren Fußballclub zu schließen. Am Ende kam es zu einer Einigung der beiden Gruppen und die Wogen wurden geglättet. Für Chanov ist das ein erster Schritt, die bestehenden Rivalitäten zu überwinden, und gemeinsam an einer besseren Zukunft der Roma zu arbeiten.