Fitness-Papst und Sportskanone

Emmerich Rath (rechts). Foto: Archiv des Emerich-Rath-Museums der Wintersporte
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Im Benediktinerkloster in Broumov / Braunau wird am Sonntag ein bemerkenswertes Theaterstück aufgeführt. Es schildert den Lebensweg von Emmerich Rath, einem genialen, aber mittlerweile hierzulande in Vergessenheit geratenen Sportler. Im Folgenden ein kleines Porträt dieser besonderen Persönlichkeit.

Emmerich Rath  (Foto: Public Domain)
Vor einhundert Jahren kannte den Namen Emmerich Rath fast jeder. Der vielseitige Sportler aus Böhmen erzielte damals in vielen Disziplinen neue Rekorde und faszinierte das Publikum durch seine Ausdauer. In kritischen Momenten zögerte er auch nicht, sein Leben für jemanden aufs Spiel zu setzen. Am Ende musste er jedoch viel Leid ertragen und starb praktisch obdachlos. Der Theaterregisseur Petr Lanta hat sich intensiv mit dem Leben von Emmerich Rath beschäftigt:

„Er wurde in Prag in eine deutsche Familie geboren, sein Vater war Schuster. Den Raths ging es aber nicht gut, daher zogen sie zu ihren Verwandten nach Broumov. Dort wuchs der junge Emmerich auf und begann, Sport zu treiben. Mit sechs Jahren konnte er schwimmen, mit zehn Jahren bekam er von einem Freund aus Wien ein Paar Ski. Bald beherrschte er auch das Radfahren – dabei muss man anmerken, dass die Drahtesel von damals ganz anders aussahen als die heutigen. Es war nicht einfach, diese großen Räder zu fahren.“

Nach dem Militärdienst kehrte Rath nach Prag zurück und machte eine Lehre zum Kaufmann. Doch auch in der Hauptstadt verbrachte er jede freie Minute auf dem Sportplatz: beim Fußball, wo er unter anderem für den DFC Prag spielte, beim Schwimmen, Rudern, Eishockeyspielen, Schlittschuhlaufen und auf dem Leichtathletikoval. Besonders erfolgreich war er als Geher: So gewann er beispielsweise das 108 Kilometer lange Rennen von Liberec / Reichenberg nach Ústí / Aussig in einer Zeit von 12,5 Stunden.

Fernmärsche und deutscher Box-Meister

Petr Lanta  (Foto: Archiv KDU-ČSL)
1908 trat Rath für Österreich-Ungarn bei den Olympischen Spielen in London an. Im Marathonlauf kam er auf den fünften Platz. Kurz danach zog er nach Berlin, wo er Františka Krausová kennenlernte und heiratete – sie kam wie er aus Böhmen. In der deutschen Millionenmetropole begeisterte er sich vor allem für Boxen, Rugby und Ringkampf. 1912 gewann der begabte Sportler die deutsche Meisterschaft im Faustkampf und punktete auch noch bei einem Schönheitswettbewerb für Männer: Von 160 Teilnehmer kam er auf Platz sechs. Regisseur Petr Lanta nennt aber noch eine weitere spezielle Disziplin:

„In Deutschland nahm Emmerich Rath regelmäßig an den damals populären Fernmärschen mit militärischer Ausrüstung teil. Die Armee wollte erforschen, wie sich die Leistung der Rekruten erhöhen ließ. Der Zusammenhang zwischen Sport und der Fitness war damals noch nicht geklärt. Nur aufgeklärte Offiziere forderten, die Jugend auf den Sportplatz zu schicken. Rath gewann meist diese Fernmärsche. Bemerkenswert war auch, dass diese Sportskanone mit 16 Jahren zum Vegetarier wurde. Während der Märsche stärkte er sich mit Nüssen und Rosinen, während die anderen Geher sich mit Rauchfleisch vollstopften und dieses mit Wein nachgespülten, bevor sie den Wettkampf fortsetzten.“

Bohumil Hanč  (Foto: Public Domain)
Dazu gibt es auch eine lustige Geschichte: 1909 gewann Rath einen 50 Kilometer langen Marsch in 5 Stunden und 13 Sekunden. Noch vor dem Ziel wurde gemeldet, dass er einen einstündigen Vorsprung vor den anderen Wettläufern habe. Rath soll daher vor dem Ziel angehalten und ein Waschbecken sowie frische Kleider bestellt haben. Angeblich überschritt er die Ziellinie erst, nachdem er sich gewaschen und umgezogen hatte.

Von den Wintersportarten war ihm das Langlaufen am liebsten: 1907 gewann er bei den Meisterschaften des Böhmischen Königreiches über 5 Kilometer, in den Rennen über 10 und 50 Kilometer wurde er jeweils Zweiter. Auf Ski erlebte Emmerich Rath aber auch ein tragisches Ereignis: Am 24. März 1913 brachen im nordböhmischen Riesengebirge sechs Läufer zum Wettlauf über 50 Kilometer auf. Doch es gab einen Wettersturz. Die Teilnehmer gaben schrittweise alle auf, bis auf Václav Hanč. Dieser lief weiter. Als er aber nicht ins Ziel kam, machte sich Rath auf die Suche nach ihm.

„Rath fand Hanč noch lebend und versuchte, diesen auf seinem Rücken in die nächstgelegene Hütte zu tragen. Doch der Schneesturm war so stark, dass dies nicht gelingen konnte. Deswegen gab er Hanč seinen Mantel und lief los, um Hilfe zu holen. Als diese kam, war es aber leider schon zu spät. Rath machte sich deswegen bis zum Ende seines Lebens schwere Vorwürfe. Noch am nächsten Tag stellte er am Ort der Tragödie ein Kreuz auf“, so Lanta.

Ski-Tragödie im Riesengebirge

Emmerich Rath war ein begeisterter „Tramp“  (Foto: Archiv des Emerich-Rath-Museums der Wintersporte)
Emmerich Rath war deutschsprachiger Böhme, er beherrschte aber auch perfekt Tschechisch. Die Nationalität spielte für ihn keine Rolle. Dies zeigte sich 1914, als in Berlin ein Eishockey-Turnier stattfand. Ursprünglich wollte er für den Berliner Klub spielen, denn er lebte ja in der Stadt an der Spree. Der böhmischen Mannschaft fehlte aber ein Spieler, und Rath wurde gebeten, für seine Heimat zu starten. Er willigte ein – und half so den Böhmen, inoffizielle Europameister werden.

Emmerich Rath war jedoch nicht nur ein begnadeter Sportler, sondern auch ein erfolgreicher Unternehmer. Nach dem Ersten Weltkrieg kehrte er nach Prag zurück, wo er das erste Sportwarengeschäft in der Tschechoslowakei eröffnete. Er war zudem ein begeisterter „Tramp“, heute würde man sagen: Outdoor-Liebhaber. 1929 veranstaltete er in der romantischen Landschaft am Moldauufer südlich von Prag ein großes Treffen, an dem etwa 2000 Tramps teilnahmen. Als Saloon diente eine Holzhütte. Diese hatte Rath, in Einzelteile zerlegt, mit seinem Auto zum Ort gebracht und dort wieder zusammengebaut. Der Saloon war zwar im Westernstil, Alkohol wurde aber nicht ausgeschenkt. Den gesamten Ertrag aus dieser Aktion ließ Rath Bedürftigen zukommen.

Von Raths außergewöhnlichen Leistungen muss noch eine erwähnt werden. Es ist ein Treffen mit dem Vater der neuzeitlichen Olympischen Spiele, Pierre de Coubertin, im Jahr 1924 in Paris. Emmerich Rath fuhr jedoch nicht mit dem Zug in die französische Hauptstadt, sondern mit dem Kajak 360 Kilometer weit auf der Seine. Von Baron Coubertin bekam er dafür ein Ehrendiplom.

Emmerich Rath  (rechts). Foto: Archiv des Emerich-Rath-Museums der Wintersporte
Als Hitler 1939 in die Tschechoslowakei einmarschierte, bewies der deutschböhmische Sportler großen Mut. Regisseur Lanta:

„Emmerich Rath versteckte seinen jüdischen Freund Boris Effenberg in seinem Laden. Dieser überlebte so den Zweiten Weltkrieg und zog danach in die Schweiz. Hätten die Nazis das Versteck aufgespürt, wäre das für Rath und seine Frau das Todesurteil gewesen. Man muss auch betonen, dass Rath als Deutschstämmiger im Protektorat Böhmen und Mähren die Reichsbürgerschaft hätte annehmen können, wodurch er zahlreiche Vorteile gehabt hätte. Er lehnte dies jedoch ab.“

Von den Kommunisten enteignet

Nach dem Zweiten Weltkrieg schien für Kurzes alles wieder gut zu sein. Raths Laden blühte, sein bekannter Eigentümer verkaufte dort auch Sachen, die die amerikanische Armee im Land zurückgelassen hatte – so unter anderem Zelte, Schlafsäcke und Taschenlampen. Doch 1948 kamen die Kommunisten an Macht. Für Emmerich Rath bedeutete dies das Ende des Lebens, das er bisher geführt hatte.

„Er wurde angeklagt, weil er angeblich Propaganda für einen sogenannten ‚westlichen Lebensstil‘ gemacht hatte. Rath erhielt ein Jahr Haft. In dieser Zeit starb seine Frau – und weil sie keine Kinder hatten, blieb er alleine. Rath verlor seinen Laden, der verstaatlicht wurde. Er war damals bereits 66 Jahre alt, vom Staat bekam er eine lächerlich niedrige Rente. Aufgeben wollte er aber nicht, er arbeitete auf Baustellen, in einer Gärtnerei und im Winter als Heizer in den Berghütten“, sagt Petr Lanta.

Emmerich Rath
Erneut bewies er eine unglaubliche Lebenskraft. Dafür spricht auch die Tatsache, dass Rath 1960 – also mit 77 Jahren – zu den Olympischen Spielen nach Rom fahren wollte. Der Plan war aber nicht, Bahn oder Flugzeug zu nehmen, sondern mit dem Fahrrad die Strecke hinzustrampeln! Während der Hinreise wollte er Vorträge über Sport und gesunden Lebensstil halten und nach der Rückkehr über die Olympischen Spiele. Die Kommunisten erlaubten jedoch die Reise nicht. Für Rath brach eine Welt zusammen, und er landete in einem Seniorenheim. Sein Cousin aus Broumov bot ihm dann an, dass er bei ihm wohnen könnte, das Zusammenleben gestaltete sich aber problematisch. Rath zog wieder aus und lebte zunächst als Obdachloser in der ostböhmischen Stadt. Die Ämter steckten ihn aber wieder ins Heim, wo er 1962 starb.