Familie Kolben: Eine Industriellenfamilie im Strudel der Zeit

Emil Kolben

Der Name Kolben hat in Tschechien eine ähnliche Bedeutung wie der Name Krupp in Deutschland. Der Name ist mit einem der ältesten und bedeutendsten Industriekonzerne verbunden: mit den CKD-Werken, die früher Autos, Straßenbahnen und Elektrotechnik produziert haben. Andreas Wiedemann begibt sich in unserem heutigen Geschichtskapitel auf die Spuren der Familie Kolben, die zu den wichtigsten Industriellenfamilien der Vorkriegs-Tschechoslowakei zählte.

Die Firma Kolben & Co. im Prager Stadtteil Vysocany
Joachim und Frantiska Kolben lebten in Strancice bei Prag und hatten neun Kinder. Das älteste und bekannteste Kind war der im Jahr 1862 geborene Emil Kolben, der spätere Gründer des Konzerns CKD. 1887 beendete er sein Studium an der deutschen Technischen Hochschule in Prag mit Auszeichnung. Finanziert durch ein Reisestipendium, machte er sich im April 1888 auf den Weg nach Amerika. In den USA arbeitete Emil Kolben zunächst im Konstruktionsbüro Edison Machine Company. Kurze Zeit später kam er direkt mit T.A. Edison, dem Erfinder der Glühbirnenfassung, zusammen und wurde Chefingenieur in dessen Firma, der Edison General Electric Company. In dieser Zeit erlebte Kolben die rasante Entwicklung der Starkstromtechnik und der elektrischen Straßenbahnen, an deren Konstruktion er maßgeblich mitwirkte. Mit dem Erfinder Nikola Tesla unternahm Emil Kolben Versuche mit wechselstrombetriebenen Motoren. Der Gebrauch von Wechselstrom wurde zum Spezialgebiet von Emil Kolben.

"Nach seiner Rückkehr nach Europa, wurde Emil Kolben einer der ersten Propagatoren der Nutzung von Wechselstrom und Konstrukteur von Elektromotoren und anderen Geräten", erklärt Arno Parik, Kurator einer Ausstellung in der Robert Guttmann Galerie des Jüdischen Museums in Prag, die das Leben der Industriellenfamilie Kolben beleuchtet. Nachdem der Ingenieur und Erfinder Emil Kolben vier Jahre in Zürich arbeitete, kehrte er nach Prag zurück und gründete 1896 die Firma Kolben & Co. Im Prager Stadtteil Vysocany entstand eine Fabrik für elektrotechnische Produkte, die nach kurzer Zeit bereits Aufträge aus der ganzen Welt erhielt.

CKD 1899
Die Firma expandierte und erweiterte ihre Produktpalette. Nach der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft (Elektrizitäts-Aktien-Gesellschaft vormals Kolben & Co) folgte im Jahr 1907 eine Kooperation mit der Ringhofer-Maschinenbaufirma, um ein Automobil mit dem Namen Praga zu produzieren. Nach mehreren Fusionen entstand dann im Jahr 1927 der Konzern Ceskomoravska-Kolben-Danek, kurz CKD. Ende der zwanziger Jahre beschäftigte das Unternehmen bereits 12.000 Arbeitnehmer. Gefertigt wurden elektrotechnische Erzeugnisse aller Art. In den dreißiger Jahren baute es unter anderem die großen Kaplanturbinen, das Auto Aero 50 und 1937 den ersten Trolejbus/O-Bus in Prag.

Neben Emil Kolben waren weitere Familienmitglieder als Ingenieure tätig. Sie taten sich aber auch durch andere Begabungen hervor, wie Arno Parik erläutert:

"Einer von Emils Brüdern, Alfred, war sehr gebildet, zum Beispiel auf dem Gebiet der Literatur. Er war ebenfalls Ingenieur und arbeitete anfangs mit Emil zusammen. Später wurde er Direktor der Industrieschule in Brünn. Gleichzeitig hat er sich aber auch der Malerei gewidmet. Der Sohn von Emil Kolben, Hanus, hatte Maschinenbau studiert, wurde Direktor einer Eisenhütte in Usti nad Labem und einer Leitungs- und Kabelfabrik in Prag. Zu Beginn der dreißiger Jahre begann er zu malen."

Nach der Okkupation der böhmischen Länder durch die Deutschen im März 1939 brach ein tragisches Kapitel für die Familie Kolben an. Dazu noch einmal Arno Parik:

"Die ganze Familie wurde durch die Nürnberger Rassegesetze verfolgt, obwohl sie nicht religiös war. Sie mussten sofort alle Funktionen und ihren Besitz in der Firma aufgeben. Schrittweise wurden die Familiemitglieder verhaftet. Emil Kolben, seine Schwester Lilly, sein Sohn Hanus und dessen Sohn Jindrich wurden im Juni 1943 nach Theresienstadt deportiert. Dort starb Emil Kolben", so Parik.

Der Bruder von Emil Kolben, Alfred, und seine Schwester Kamila begingen im Jahr 1941 Selbstmord. Insgesamt wurden 26 Mitglieder der Familie auf Grund rassischer Verfolgung ermordet. Emils Enkel, Jindrich, wurde von Theresienstadt nach Auschwitz gebracht, später in das Lager Blechhammer. Bei der Evakuierung des Lagers im Januar 1945 gelang ihm die Flucht in die Slowakei, wo er der tschechoslowakischen Armee beitrat.

"Ich bin über die Front geflüchtet, aus dem KZ, habe mich freiwillig in die Armee des Generals Svoboda gemeldet und als Soldat bin ich zurückgekommen", so Jindrich Kolben.

Obwohl er von den Nazis rassisch verfolgt wurde und im KZ gewesen war, gestaltete sich seine Wiedereingliederung in die Nachkriegstschechoslowakei schwierig.

Emil Kolben  (Foto: Wikimedia Commons)

"Ich hatte meine Staatsbürgerschaft verloren und musste sie neu beantragen",

erklärt er. Nach dem Krieg verloren in der Tschechoslowakei alle Personen deutscher und ungarischer Nationalität die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft. Diejenigen, die dem tschechoslowakischen Staat treu geblieben waren und/oder gegen die Zerschlagung und Besetzung des Staates gekämpft hatten, konnten die Staatsbürgerschaft wieder beantragen. Als Deutsche wurden Personen angesehen, die sich bei irgendeiner Volkszählung seit 1929 zur deutschen Nationalität bekannt hatten. Jindrich Kolben erläutert dazu:

"Wir haben zu Hause deutsch gesprochen, immer schon. 1930 gab es ja eine Volkszählung, bei der wir uns alle als Deutsche gemeldet hatten. Meine Eltern waren mehr oder weniger Monarchisten. Das alte Österreich hat uns am besten gefallen."

Auch der von den Deutschen enteignete Besitz wurde nach dem Krieg nicht so einfach zurückgegeben. Jindrich Kolben versuchte, den Anteil seines Vaters an einer Villa im Prager Stadtteil Vinohrady zurückzubekommen.

"1950 habe ich das Ding zurückgekriegt, ein Drittel der Villa. Am nächsten Tag kam ein Bescheid, dass der Teil wieder dem Staat verfällt und am dritten Tag kam eine Rechnung über 30.000 Kronen, wegen des positiven Gerichtsentscheids", erläutert Jindrich Kolben.

In den CKD-Werken mussten nach Kriegsende zunächst die Kriegsschäden beseitigt werden. Bereits im Oktober 1945 wurden alle großen Industriebetriebe in der Tschechoslowakei, deren Produktion als staatswichtig galt verstaatlicht. So auch der CKD-Konzern. 1946 wurde dann die Produktion wieder aufgenommen. In der sozialistischen Zeit kam es bei CKD zu verschiedenen organisatorischen Änderungen sowie zu Ein- und Ausgliederungen von Unternehmensteilen. Zu den wichtigsten Produkten gehörten Lokomotiven, Turbokompressen und Straßenbahnen. Die Straßenbahnen, die heute noch durch Prag und andere Städte des ehemaligen Ostblocks fahren wurden von CKD und dem Prager Tatra-Werk gebaut. Zusammen bildeten sie einst den größten Straßenbahnhersteller der Welt. In den Werken des CKD-Konzerns arbeiteten zwischen 1946 und 1990 bis zu 50.000 Menschen

Nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei 1968 emigrierten Jindrich Kolben und seine Frau Andree. Sie gingen zunächst nach Österreich und dann weiter nach Deutschland, wie Andree Kolben erklärt:

"Zuerst waren wir in Wien. Ich bin eine alte tschechische Seele und Wien erinnerte mich immer an Prag und war mir deshalb am nächsten. Ich wollte niemals weggehen, aber mein Herz hat mir gesagt, dass ich meinen Mann retten muss. Als wir damals am 2. September 1968 flüchteten, wusste man nicht genau, was hier überhaupt vor sich geht und wie sich das entwickeln wird. Also sind wir nach Wien gegangen. Dort haben wir aber leider keine Arbeit gefunden und mussten weiter. Schließlich sind wir nach München gekommen und geblieben. Da sind wir jetzt glücklich. Aber das größte Glück für uns war, als wir im Jahr 1990 im Januar zum ersten Mal wieder nach Prag kommen konnten, auf den Wenzelsplatz gegangen sind und am Heiligen Wenzel geweint haben."

Nach 1990 wurde das Unternehmen in mehrere Firmen geteilt. Seit 2004 haben sich diese teilweise unter dem Namen Skupina CKD Praha (Gruppe CKD Prag) wieder zusammengeschlossen. Jindrich Kolben ist 80 Jahre alt und lebte mit seiner Frau in München.