Ein Schicksal zwischen Prag und Bonn – Wenzel Jaksch

Wenzel Jaksch (Reprofoto aus dem Buch „Bitva o vlny“ von David Vaughan)

Er hatte eine Karriere wie kein anderer demokratischer Politiker: Wenzel Jaksch war zunächst Abgeordneter in der Tschechoslowakei, dann wurde er dort Parteivorsitzender, und später zog er in den deutschen Bundestag ein. Und dennoch musste der Sozialdemokrat politische Schicksalsschläge hinnehmen. Wir erinnern an Jaksch, der vor 50 Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist.

Willy Brandt  (Foto: Bundesarchiv,  B 145 Bild-F057884-0009 / Engelbert Reineke / CC-BY-SA 3.0)
Anfang Dezember 1966, es ist kein geringerer als Willy Brandt, der die Grabrede hält:

„Dieser aufrechte Mann musste erleben, dass die Ereignisse stärker waren als er. Und wenn wir heute auf sein Leben zurückschauen, so drängt sich die Frage auf, wie oft er dieses, was man die Ereignisse nennt, die wohl stärker sind, wohl hat erleben müssen.“

Der Bundesvorsitzende der SPD und frisch ernannte Innenminister erinnert daran, dass Wenzel Jaksch zeitlebens leidenschaftlich gekämpft hat: zunächst gegen Hitlers Gewaltpolitik und dann gegen die Vertreibung aus der Tschechoslowakei. Aber nicht nur das:

„Wir alle sind uns dankbar bewusst, was Wenzel Jaksch für das deutsche Volk zu leisten bemüht war. Und wie wesentlich er mit seinen Heimatvertriebenen, vor allem auch mit seinen sudetendeutschen Landsleuten, zum Aufbau und Ausbau unserer Bundesrepublik beigetragen hat.“

Vom Maurer zum Redakteur

Wenzel Jaksch  (Reprofoto aus dem Buch „Bitva o vlny“ von David Vaughan)
Tatsächlich ist Wenzel Jaksch wohl der einzige demokratische Politiker, der sowohl in der Tschechoslowakei im Parlament saß, als auch in der Bundesrepublik Deutschland. Sozialdemokratisch geprägt wird er bereits zu Zeiten der k. u. k. Monarchie. Er wächst im Böhmerwald auf, bricht 1910 die Volksschule vorzeitig ab und geht nach Wien. Dort macht Jaksch noch vor dem Ersten Weltkrieg eine Maurerlehre. Der Journalist Ulrich Miksch hat sich intensiv mit der Biographie des späteren Politikers beschäftigt:

„In diese Zeit fällt auch Jakschs erste Begegnung mit der Sozialdemokratie. Er geht dort in Bildungsvereine und liest die Arbeiterzeitung. In seinen persönlichen Lebenserinnerungen, die noch nicht erschienen sind, beschreibt er sehr genau seine Sozialisation in die Wiener Sozialdemokratie. Jaksch wird damals bereits als Jugendfunktionär tätig.“



Doch zur Parteipolitik kommt Wenzel Jaksch erst nach dem Ersten Weltkrieg. Die sozialen Probleme in den ländlichen Gebieten treiben ihn in die Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei der Tschechoslowakei, die DSAP. Dort allerdings macht er sich zunächst als Journalist einen Namen. Er redigiert das Parteiorgan, den „Sozialdemokrat“ – und schreibt auch selbst, was heute fast in Vergessenheit geraten ist.

„Er beginnt, ganz explizit durch das Land zu reisen und die sozialen Missstände in sogenannten Sozialreportagen aufzuzeichnen. Er bemüht sich aber, nicht nur die sozialen Probleme darzustellen, sondern auch ein Bild der Landschaften und Gegebenheiten in den sudetendeutschen Gebieten zu schildern. Das gelingt ihm meines Erachtens nach auf sehr objektive Weise“, so Ulrich Miksch.

Ludwig Czech | Foto: public domain
Mit etwas Verzögerung läuft aber auch Jakschs parteipolitische Karriere an. Er wird in den DSAP-Parteivorstand gewählt. Und 1929 zieht er erstmals in das tschechoslowakische Abgeordnetenhaus ein:

„Das war für ihn auch die erste Möglichkeit, denn damals musste man 30 Jahre alt sein, um im Parlament einsitzen zu dürfen. Jaksch war damit einer der jüngsten Abgeordneten im tschechoslowakischen Parlament. Er hat sich dann zunächst noch einmal mit landwirtschaftlichen Fragen auseinandergesetzt, rückt aber immer mehr in das Zentrum der Parteiführung, wird 1935 stellvertretender DSAP-Vorsitzender und im März 1938 zum Vorsitzenden gewählt. Er löst damit Ludwig Czech ab, den langjährigen Minister der DSAP in den tschechoslowakischen Regierungen.“

Warnung vor dem Weltenbrand

Große Teile der deutschsprachigen Bevölkerung jubelten Politiker der Sudetendeutschen Partei zu  (Foto: Public Domain)
Der parteipolitische Aufstieg von Wenzel Jaksch fällt jedoch in eine dramatische Zeit. Große Teile der deutschsprachigen Bevölkerung jubeln Hitler zu. Sie wählen daher die Sudetendeutsche Partei. Wenzel Jaksch will aber die Verbreitung nationalsozialistischer Ideen unter seinen Landsleuten verhindern. Auch deswegen fordert er mehr Autonomie für sie im Staat. So zum Beispiel in einem Streitgespräch mit tschechischen Abgeordneten, das am 4. Juni 1936 im Tschechoslowakischen Rundfunk ausgestrahlt wird:

„Nach meiner Überzeugung würde es eine ungeheure Befriedigung in der Mehrheit der deutschen Bevölkerung auslösen, wenn sie im allgemeinen Staatsleben, in der Administrative vor allem, in den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Staates entsprechend berücksichtigt würde – je nachdem sie selber dazu beiträgt.“

Adolf Hitler unterzeichnet das Münchner Abkommen  (Foto: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz / Heinrich Hoffmann)
Doch die Tschechoslowakei taumelt in die sogenannte Sudetenkrise. Jaksch ahnt wie andere die heraufziehende Katastrophe. Am 16. September 1938 spricht er im Radio warnende Worte.

„Die Blicke einer besorgten Welt sind auf unser unglückliches Grenzland gerichtet. Wird hier die Flamme eines neuen Weltbrandes zuerst aufzüngeln, oder wird von uns aus eine Botschaft des Friedens durch die Länder gehen? Das ist die bange Frage, die auf aller Lippen schwebt.“

Kurz darauf nehmen die Ereignisse ihren unheilvollen Lauf. Hitler zwingt der Tschechoslowakei das Münchner Abkommen auf und besetzt die Sudetengebiete. Mitte März 1939 marschieren die Deutschen auch in den restlichen Teil Böhmens und Mährens ein. Es ist das Vorspiel zum Weltenbrand… und der leidenschaftliche Kämpfer Jaksch muss sich selbst in Sicherheit bringen. Es folgt eine dramatische Flucht, als Wintersportler verkleidet auf Skiern über die verschneiten Beskiden. Jaksch hat sie in seinem Bericht „Abschied aus Böhmen“ festgehalten. Dort heißt es unter anderem:

Beskiden
„Die Situation wurde immer qualvoller. Wir wussten, dass die polnische Grenze schon sehr nahe war und kamen immer langsamer vorwärts. Sollte all die Anstrengung dieser Grenzfahrt im letzten Augenblick zuschanden werden? Zwei Grenzposten, die unserer frischen Fahrtspur gefolgt wären, hätten uns spielend einholen können. Doch die Götter waren uns gnädig. Nachdem wir den Kamm erreicht hatten, fuhren wir noch ein Stück in den dichten Wald hinein. Dann streifte der Führer die Schneerinde von einer Fichte, zeigte uns eine markierte Stelle am Stamm und sagte: Hier ist Polen.“

Bruch mit Beneš

Ulrich Miksch  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Letztlich gelangt Wenzel Jaksch nach Großbritannien, wo sich die demokratischen Kräfte aus der Tschechoslowakei sammeln und die Exilregierung. In London gründet er die Treuegemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten. Doch im Verlauf des Krieges kommt es zum Bruch zwischen Jaksch und Exilpräsident Edvard Beneš. Über die genauen Gründe gibt es unterschiedliche Theorien.

„Ich würde sagen, dass man es aber auf eine Sache reduzieren kann: Wenzel Jaksch wird ja schon früh in den Beratungen mit Edvard Beneš darüber informiert, dass geplant ist, einen gewissen Anteil an der Sudetendeutschen auszusiedeln. Und als sich das dann darauf verengt, dass letztlich alle Sudetendeutschen die Tschechoslowakei verlassen müssen, will Jaksch keine Konzessionen mehr machen. Das ist sicher der Knackpunkt, der zum Bruch zwischen beiden führt“, so Ulrich Miksch.

Mary und Georg Jaksch  (Foto: Gerald Schubert)
In dieser dramatischen Zeit findet Wenzel Jaksch wenigstens familiäres Glück. Er heiratet die Engländerin Joan Simon-Clark, es kommt der Sohn Georg zur Welt, später in Deutschland noch Tochter Mary.

Die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Krieg erlebt Jaksch nicht unmittelbar, dennoch wird dies zum prägenden Thema für ihn. 1949 geht er aus Großbritannien nach Westdeutschland und zieht nach Wiesbaden. Er schließt sich der SPD an und zieht 1953 in den Bundestag ein. Bekannt wird er aber vor allem als Vertriebenenpolitiker, ab 1961 leitet er auch den Bund der Vertriebenen.

Gegenüber seiner Heimat, der nun kommunistischen Tschechoslowakei, pflegt er ein ambivalentes Verhältnis. So arbeitet er auch an den Ideen einer Neuen Ostpolitik. In der Studie „Westeuropa – Osteuropa – Sowjetunion“ vom Januar 1965 schreibt er unter anderem, Zitat:

„Indessen ist im freien Teil Deutschlands die Einsicht im Vordringen, daß der Schlüssel zu Eintracht und Frieden in einem neuen Verhältnis zu den Ostnachbarn liegt. Westdeutschland ist daher aus überwiegend politischen Gründen an einer Normalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen mit Osteuropa interessiert.“

Zugleich will Wenzel Jaksch die Vertriebenen am liebsten zurück in ihre ursprüngliche Heimat bringen. Ohne dass das Dilemma gelöst ist, wird Jaksch am 27. November 1966 mit 70 Jahren aus dem Leben gerissen.

Autor: Till Janzer
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