Der Schwarze Tod in Böhmen

Schutzkleidung gegen die Pest im Comenius-Museum in Uherský Brod (Foto: Petr Slinták, Archiv des Tschechischen Rundfunks)
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Die frühe Neuzeit gilt als eine Epoche, in der viele Landstriche Europas immer wieder entvölkert wurden. Das hatte teils schwere wirtschaftliche und politische Folgen. Neben den unzähligen Kriegen und den Missernten aufgrund der sogenannten „Kleinen Eiszeit“ trugen auch die vielen Pestepidemien zu dem Bevölkerungsschwund bei. Wie die Seuche in den Böhmischen Ländern wütete, darüber im Folgenden mehr.

Schutzkleidung gegen die Pest im Comenius-Museum in Uherský Brod  (Foto: Petr Slinták,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Ausbreitung der Pest in Europa zwischen 1347 und 1351  (Quelle: Roger Zenner,  Wikipedia Commons,  CC BY-SA 2.0 DE)
Im Dezember 1347 legten genuesische Handelsschiffe im Hafen von Messina an. Sie kamen von der Schwarzmeerküste. Kurze Zeit danach starben in der sizilianischen Stadt die ersten Menschen am „Schwarzen Tod“ – so nannte man damals die Pest. Ein Jahr später wurde fast ganz Europa von der tückischen Krankheit heimgesucht. Eine Ausnahme blieben die Böhmischen Länder. Von der zweiten großen Pestwelle wurden sie aber erfasst. Historische Belege dafür stammen aus der Zeit zwischen 1357 und 1363. Von der Gegend um Žatec / Saaz in Westböhmen verbreitete sich die Seuche nach Prag und weiter fast im ganzen Land. In ganz Europa starb damals laut Schätzungen ein Drittel bis zur Hälfte der Bevölkerung. 1995 bezeichnete der tschechische Historiker Jiří Svoboda in der Zeitschrift für Wissenschaft, Natur und Gesellschaft „Vesmír“ die als einen bedeutenden Wendepunkt in der europäischen Geschichte:

„Ab 1347 wurde Europa zu einem ‚Pestkontinent‘, auf dem über vier Jahrhunderte lang neben der Hungersnot vor allem die Pestepidemien die Hauptursache demografischer Krisen waren. Und nicht nur das. Europa wurde auch zum Kontinent mit einer ‚Pestmentalität‘, geprägt von dem permanenten Gefühl der Bedrohung durch die unbekannte Gefahr.“

Pesthaube  (17. Jahrhundert). Foto: Anagoria,  Wikimedia Commons,  CC BY 3.0
In den folgenden vier Jahrhunderten kam es auf dem Kontinent ungefähr alle zwei Jahre zu kleineren oder größeren Pestepidemien. Von Zeit zu Zeit erreichten diese die Dimension von Pandemien.

Gottes Strafe für die Sündigen

Der Dreißigjährige Krieg zwischen 1618 und 1648 bedeutete an sich schon großes Leid für die Menschen und entvölkerte ganze Landstriche. In Böhmen und Mähren brachen in der Zeit zudem vier schwere Pestepidemien innerhalb von 25 Jahren aus, die die fremden Truppen ins Land brachten. Im Buch „Die Geschichte der Pest in den Böhmischen Ländern“ (Dějiny moru v Českých zemích“, 1999) schreibt der Historiker Eduard Wondrák, dass allein in Prag innerhalb eines Jahres 36.000 Menschen starben. Das war 1628. Der „Schwarze Tod“ blieb somit weiter als Urkatastrophe im kollektiven Bewusstsein verankert. Über seine Ursachen rätselten sowohl das einfache Volk als auch die damaligen Ärzte. Heilmittel gab es nicht, dafür schossen die Theorien ins Kraut. Radek Tomeček ist Historiker am Museum im südmährischen Uherský Brod / Ungarisch Brod:

Pestprozession  (1576). Foto: GFreihalter,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0
„Nach den damaligen Vorstellungen lag die Ursache zum Beispiel in der vergifteten Luft, die man mit Vulkanausbrüchen, dem Gestank von Exkrementen und verunreinigtem Wasser oder mit ungünstigen Planetenkonstellationen in Verbindung setzte. Aus dieser Sichtweise gelangte man letztlich zur allgemeinen Überzeugung, dass die Pestepidemien ein Ausdruck von Gottes Zorn seien. Er bestrafe die sündigen Menschen, hieß es. Daher trafen sich viele Leute beim Ausbruch einer neuen Epidemie zu gemeinsamen Gebeten und nahmen an religiösen Prozessionen teil. Dadurch erhoffte man sich, die göttliche Gnade zu erlangen. Viele steckten sich aber bei solchen Versammlungen an und starben oft als Erste.“

In Uherský Brod wie anderswo sei es während der Epidemien auch zu menschlichen Tragödien gekommen, so Tomeček:

Comenius  (Foto: Wikimedia Commons,  Public Domain)
„Wenn die Seuche bereits im Gang war, gab es Leute, die alle Scham fallen ließen – frei nach dem Motto, dass ohnehin alles keinen Sinn habe. Es kam zu Exzessen im Umgang mit pestkranken Verwandten beziehungsweise Mitbürgern. Obwohl sie noch am Leben waren, wurden die Türen ihrer Wohnstätten vernagelt und die Häuser in Brand gesetzt. Infizierte Menschen wurden aber auch aus der Stadt vertrieben und starben nachfolgend unter freiem Himmel. Die Leichen ließ man dort liegen. Sie wurden zum Futter von wild lebenden Tieren wie Füchsen oder Wölfen. Dadurch konnte sich die Pest weiter verbreiten.“

Auf die Exzesse beim Umgang mit Pestkranken reagierte auch Comenius, der aus der Nähe von Uherský Brod stammte. Seinen Namen trägt im Übrigen das Museum der Stadt. Dem bekannten Gelehrten, der auch in Schweden und England lebte, bereitete die Pest großes Leid. 1622 starben bei einer der Epidemien seine Frau und zwei seiner Söhne. Comenius musste später wegen seiner Zugehörigkeit zur protestantischen Gemeinde Böhmischer Brüder aus Mähren flüchten. Im polnischen Leszno verfasste er dann eine Schrift zum Thema „Pest“. Als 1631 die Seuche auch in Leszno ausbrach, halfen er und weitere geflüchtete Glaubensbrüder gemeinsam den Kranken. Dabei merkte er kritisch an, dass viele Einheimische den Sterbenden jegliche Hilfe verweigerten.

„Die Schrift war von ihm als eine Art Anleitung gedacht, wie sich Christen bei einer Pestepidemie verhalten sollten. Vor allem ging es um den Umgang mit Familienangehörigen. Der Titel lautete ‚Ein kurzer Bericht über die Ansteckung durch die Pest‘. Die Schrift erschien 1631 in Leszno in deutscher Sprache. Die tschechische Ausgabe wurde ein Jahr später für böhmische Exulanten gedruckt. Comenius sprach dabei auch Empfehlungen aus, wie die Obrigkeit und der Gemeinderat während einer Pestseuche vorgehen sollten. Darin lässt sich ein Versuch sehen, bestimmte Regeln für die elementare Hygiene zu formulieren.“

Hygiene-Ratgeber von Comenius

Pestkapelle in Nový Jičín  (Foto: Petra Štrymplová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
1680 und zwischen 1713 und 1715 befanden sich Böhmen und Mähren im Griff der zwei letzten Pandemien. Auch ihre Todesbilanz war erschreckend. Die vorletzte breitete sich vom Balkan über Ungarn und Wien bis in hiesige Gegenden aus. Allein in Prag forderte sie schätzungsweise 26.000 Menschenleben. Das war mehr als ein Viertel der gesamten Einwohnerzahl.

Die heimtückische Krankheit überrollte aber auch viele Provinzstädte. In Uherský Brod schlug sie ab dem 16. Jahrhundert insgesamt sieben Mal zu. Ähnlich war es im nordmährischen Nový Jičín / Neutitschein. An die letzte Pestwelle von 1715 erinnert eine Kapelle, die an einem Ort außerhalb der Stadt gebaut wurde. Radek Polách ist Historiker am Museum von Nový Jičín:

„Die Kapelle entstand 1733 an dem Ort, an dem während der Epidemie die Pestkranken versammelt wurden. Denn dort war ein großes Lazarett aufgebaut, in dem der Wundarzt Gottfried Ignaz Mittel aufopferungsvoll den Kranken half. Er war aus dem oberbayerischen Eichfeld nach Nový Jičín gekommen. Im Grunde genommen handelte es sich um ein Feldlazarett mit Zelten, in denen die Pestkranken lagen. Einen Monat nach dem Ausbruch der Seuche im Jahr 1715 wurde Gottfried Ignaz Mittel selbst zu ihrem Opfer, genauso wie sein kleiner Sohn. Beide wurden an dem Ort auch beigesetzt. An sie erinnert bis heute ein Grabmal. Aus Anlass der feierlichen Kapellenweihe im Mai 1733 fand eine große Prozession statt.“

Mariensäule auf dem Hauptplatz in Nový Jičín  (Foto: Jitka Mládková)
Die Kapelle galt bis Anfang des 20. Jahrhundert als Wallfahrtsort zum Gedenken an die Pestopfer. Mittlerweile liegt sie an einer Straße inmitten der Stadt. Auch die Dominante von Nový Jičín steht aber in Verbindung mit der Epidemie – es ist die Mariensäule auf dem Hauptplatz. Radek Polách:

„Hier auf dem Marktplatz türmten sich 1680 die Leichen der Stadtbewohner, die danach dann außerhalb von Nový Jičín verbrannt wurden. Zwar wurde die Mariensäule erst 1710 errichtet, doch sie bezieht sich auf die Pesttragödie 30 Jahre zuvor. Ihr Bau wurde von einem einheimischen Ehepaar mit einer hohen Geldsumme unterstützt. Am 16. Juli 1710 wurde sie genau in der Mitte des Platzes aufgestellt, auf dem einst die Toten lagen. Für die Zukunft sollte sie Pestseuchen und weitere Katastrophen von Nový Jičín fernhalten. Zwar glaubten die Bewohner fest daran, doch fünf Jahre später schon zog erneut eine verheerende Pestepidemie in die Stadt ein.“

Die Folgen der Pestepidemien zeigten sich im Lauf der Jahrhunderte nicht nur in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie hatten auch kulturelle „Konsequenzen“. Bis heute schmücken viele stumme Zeugen jener Zeit die Städte und Dörfer in Böhmen und Mähren. Auf den Hauptplätzen im Zentrum, aber auch an anderen bedeutenden Orten erinnern sie an den „Schwarzen Tod“. Es sind die Pestsäulen, Mariensäulen oder kleine und große Kapellen. Manche von ihnen stehen heute sogar unter Denkmalschutz.