Das Seifenhersteller-Epos aus Aussig

Foto: Martina Schneibergová
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Den Namen Schicht kannte in Tschechien einst fast jedes Kind. Der Seifenhersteller hatte das gleiche Renommee wie etwa Škoda oder Baťa. Die Marke mit dem Hirsch war für einige Generationen Tschechen ein bewährtes Produkt, auf das man sich verlassen konnte. Außerdem gehörte die Kosmetik von Elida aus dem Hause Schicht unter jeden Weihnachtsbaum der Tschechoslowakei. Und ohne das Fett Ceres konnten sich die Omas hierzulande das Kochen und Backen eigentlich nicht vorstellen. Im Stadtmuseum in Ústí nad Labem ist nun eine Ausstellung über die nordböhmische Dynastie zu sehen.

Foto: Martina Schneibergová

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Die Seife mit dem Hirsch ist hierzulande vermutlich das bekannteste Produkt der Firma Schicht. Das Familienunternehmen dominierte den Kosmetik-Markt schon in der k. u. k. Monarchie. Der Großproduzent von Drogerieartikeln und Lebensmitteln hatte seine Zentrale seit 1882 im nordböhmischen Ústí nad Labem / Aussig. Angefangen habe alles jedoch in der Gemeinde Rynoltice / Ringelshain bei Liberec / Reichenberg, erzählt der Direktor des Stadtmuseums in Ústí, Václav Houfek.

„Georg Schicht Senior war gelernter Fleischer. Er erhielt 1848 die Konzession für die Produktion und den Verkauf von Seife in der Umgebung von Liberec. In Rynoltice richtete er eine kleine Seifensiederei ein. Seine Produkte stellte er zuerst aus minderwertigen tierischen Fetten her. Georg Schicht hatte Erfolg mit seinen Erzeugnissen und baute 1872 einen neuen und größeren Betrieb. Anfang der 1880er Jahre verlegte die Familie Schicht das Unternehmen nach Ústí.“

Von den Schicht-Werken zu Unilever

Foto: Martina Schneibergová
Das damalige Aussig hatte gute Verkehrsverbindung mit anderen Städten in der Monarchie. Nicht weit von der Stadt entfernt wurde außerdem Kohle gefördert. Zudem mangelte es in dem Industriezentrum nicht an Arbeitskräften. Innerhalb von 10 bis 15 Jahren habe sich der Betrieb der Schichts von einer kleinen Fabrik zum größten Produzenten von Drogerieartikeln und Fetten in Europa gewandelt, erzählt der Museumsdirektor.

„Den Schicht-Werken konnten nur zwei Konzerne konkurrieren: einer in den Niederlanden, und ein anderer in Großbritannien. Die Bemühungen um eine internationale Expansion mündeten Ende der 1920er Jahre in der Entstehung des größten europäischen Produzenten von Margarine unter dem Namen Unilever. Der multinationale Konzern gehört bis heute zur Weltspitze im Bereich der Lebensmittelproduktion sowie der Drogerieartikel.“

Heinrich Schicht, der Enkelsohn des Begründers der Fabrik, stand bis 1945 an der Spitze der Schicht-Werke. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er mit seiner ganzen Familie gezwungen, die Tschechoslowakei zu verlassen. Er ließ sich in der Schweiz nieder. Sein Bruder Georg Schicht wurde schon 1929 erster Präsident des Unilever-Konzerns. Er zog aus diesem Grund von Böhmen nach London. Während des Zweiten Weltkriegs unterstützte er die tschechoslowakische Exilregierung und war mit Außenminister Jan Masaryk befreundet. Seine drei Söhne kämpften in der britischen Armee. Trotzdem wurde sein Privatbesitz nach 1945 vom tschechoslowakischen Staat enteignet. Václav Houfek dazu:

Foto: Martina Schneibergová
„Georg Schicht klagte schon 1947 vor tschechoslowakischen Gerichten gegen diese Entscheidung. Außenminister Jan Masaryk bestätigte damals, dass Schicht die Exilregierung in London finanziell unterstützte und zudem die tschechischen Piloten förderte, die in der britischen Armee gedient haben. Leider ist es nicht vor Februar 1948 zu einem Prozess gekommen. Die Gegenstände aus dem Privatbesitz der Familie Schicht befinden sich heute in verschiedenen Museen in Tschechien: im Kunstgewerbemuseum in Prag, in der Nationalgalerie, einiges wird auch in unserem Museum aufbewahrt. Die Schichts waren große Kunstmäzene und -sammler.“

Die Angehörigen der Familie leben Houfek zufolge in der ganzen Welt – von London bis Brasilien. Zur Vernissage der Ausstellung sind 17 Nachkommen der Besitzer der Schicht-Werke gekommen.

Geschichte in Bildern

„Schicht-Epos“  (Foto: Martina Schneibergová)
Eine wichtige Spur haben die Unternehmer Schicht auch in den Schulen der ehemaligen Tschechoslowakei hinterlassen. Bis Ende des 20. Jahrhunderts wurden hierzulande im Geschichtsunterricht großformatige Bilder genutzt, die wichtige Momente aus der tschechischen Geschichte darstellten. Zahlreiche Generationen von Tschechen sind mit Kopien der 24 Leinwände großgeworden. Diese ließen die deutschen Fabrikanten Georg und Heinrich Schicht 1928 anlässlich des zehnten Jahrestags der Gründung der Tschechoslowakei malen. Abdrucke davon schenkten sie allen Bildungseinrichtungen in der Republik. Einige der Motive gelten bis heute als wichtigste Darstellungen der tschechischen Geschichte, ohne dass man noch weiß, wo und wie sie entstanden waren. Zu den bekanntesten Gemälden gehören beispielsweise „Die Schlacht am Weißen Berg“ und „Der letzte Besuch bei Magister Jan Hus im Gefängnis“. Anlässlich des 100. Gründungstags der Tschechoslowakei wurde dieses halb vergessene „Schicht-Epos“ (– so nennt man es in Anlehnung an das berühmte Monumentalwerk von Alfons Mucha –) wiederentdeckt. Im Museum habe man gewusst, dass die Originale irgendwo deponiert seien, erklärt der Museumsleiter.

Foto: Martina Schneibergová
„Eines der Bilder befand sich in unseren Sammlungen. Es handelt sich um die ,Ankunft von Präsident Masaryk in Prag im Dezember 1918‘. Das Gemälde hat in den Betrieben in Ústí sowohl den Nationalsozialismus, als auch den Kommunismus überlebt. Die ehemaligen Angestellten der Schicht-Werke haben das Bild Jahre lang in einer Werkstatt aufbewahrt und es vor der Privatisierung des Unternehmens zu uns gebracht. Andere Bilder hingen in den Betrieben des Staatsunternehmens Setuza. Dieses wurde 1951 gegründet und knüpfte an die Tradition der Schicht-Werke an. Nach 1989 ist Setuza ein Opfer von Privatisierungsbetrügereien geworden. Wir haben gewusst, dass ein Teil des ‚Schicht-Epos‘ schon zuvor verloren gegangen war.“

Die Schichts ließen nicht nur Bilder für die Schulen malen, sie gaben auch eine Serie von patriotischen Ansichtskarten mit Motiven aus der Geschichte Böhmens in tschechischer und deutscher Sprache heraus.

Elida-Girls und Werbeflüge

Foto: Martina Schneibergová
Der Familienbetrieb der Schichts war ein Vorreiter im Marketingbereich. Nach dem Ersten Weltkrieg brachten die Schichts die neuesten Werbetrends aus den USA nach Böhmen. Es war eines der ersten Unternehmen in Europa, das mit großen Plakaten für ihre Produkte geworben hat. Für ihre Kampagne nutzte die Firma den Film, Musik sowie die neueste Technik. Václav Houfek dazu:

„Der erste Mensch, der in der Tschechoslowakei von einer Filmleinwand sprach, war Heinrich Schicht. Am 26. April 1929 haben ihn die Zuschauer im Aussiger Kino Alhambra erlebt, wie er über die Bedeutung des Tonfilms sprach. In Prag wurde der erste Tonfilm erst vier Monate später gezeigt.“

Für die Kosmetik der Marke Elida warb in den 1920er und 1930er Jahren ein sogenanntes ,Elida Girl‘. Doch nicht nur dieses meist anonyme Model warb für die Produkte des Seifenherstellers, sondern auch namhafte Schauspielerinnen der damaligen Zeit. Die Schichts achteten laut Houfek sehr darauf, dass der Werbetext immer in der Muttersprache der Kunden verfasst wurde. Für die tschechischen Kunden wurden die Werbetexte entweder aus dem Deutschen oder Englischen übersetzt oder aber völlig neu zusammengestellt.

Foto: Martina Schneibergová

Foto: Martina Schneibergová
„Zu den bekanntesten Werbesprüchen, die bis heute hierzulande bekannt sind gehören: ,Čistota = půl zdraví.‘ zu Deutsch etwa: Die Sauberkeit ist schon die halbeGesundheit. Oder auch: ,Ať se mládí vydovádí‘ (Die Jugend möge sich austoben). Dieser Werbetext wurde in den 1920er Jahren sogar mit einem Preis für die beste Reklame in der Tschechoslowakei Jahren geehrt.“

Die Gebrüder Schicht waren außerdem Pioniere der Luftfahrt hierzulande. Und auch diese haben sie für die Werbung genutzt. 1923 engagierten sie den erfolgreichsten österreichischen Piloten des Ersten Weltkriegs Julius Arigi. Er hängte ein Reklamebanner für das Fett Vittelo an seinen Doppeldecker und absolvierte eine Serie von Werbeflügen über Böhmen.

Obstsaft für die Arbeiter

Foto: Martina Schneibergová
Die Schichts hatten dem Museumsleiter zufolge eine sehr durchdachte Sozialpolitik in ihrem Unternehmen. Sie begannen 1919 Häuser für ihre Angestellten zu bauen. Für die Mitarbeiter der Werke entstand 1931 zudem ein Hallenbad. Es war damals eines der modernsten in Europa und stand auch den Stadtbewohnern zur Verfügung. Es habe auch weitere Vergünstigungen gegeben sagte Houfek:

„Um zu verhindern, dass die Arbeiter Alkohol trinken, unterstützten die Schichts finanziell die Produktion von Obstsäften. In den Fabriken und deren Umgebung wurden alkoholfreie Getränke bedeutend billiger verkauft als alkoholische.“

Der tschechoslowakische Staat enteignete die Schicht-Werke nach 1945. Das Staatsunternehmen wurde 1951 in Setuza umbenannt. Der Betrieb ging nach 1989 aber in Insolvenz. Den größeren Teil des Areals von Setuza kaufte 2011 der Konzern Glencore mit Sitz in der Schweiz.

, Seife mit dem Hirsch‘  (Foto: Martina Schneibergová)
„Dieser produziert die Speisöle Ceresol und Vegetol, die bereits 1904 als Schutzmarken eingetragen worden sind. Ein Teil der traditionellen Marken der Firma Schicht blieb im Besitz der Nachfolgefirmen von Setuza. Eine davon bemüht sich, die früher populäre ,Seife mit dem Hirsch‘ wieder berühmt zu machen.“

Spuren der Unternehmer Schicht sind aber immer noch im Konzern Unilever zu finden. Bis heute sind Mitglieder der Familie Schicht Besitzer von Anteilen.

Film über mythische Fürstin Libussa

Museumsleiter Houfek macht auf eine Kuriosität in der Ausstellung aufmerksam. Es handelt sich um eine Videoprojektion eines Ausschnitts aus einem historischen Film.

Film über die Fürstin Libussa  (Foto: Atypfilm)
„Vor zehn Jahren hat Regisseur Constantin Werner in der US-amerikanisch-deutsch-tschechischen Koproduktion einen Film über die legendäre böhmische Fürstin Libussa gedreht. Werner ist Großenkel von Heinrich Schicht. Die tschechischen Filmkritiker haben den Film, der wirklich misslungen ist, scharf kritisiert und gemeint, in den USA wisse man kaum etwas über die Geschichte Böhmens. Werner sagte damals, er wisse darüber viel, weil seine Familie die Wurzeln in Böhmen habe.“

Die Ausstellung mit dem Titel „Das Schicht-Epos“ ist bis 7. Juli im Stadtmuseum Ústí nad Labem zu sehen. Das Museum ist täglich außer montags von 9 bis 18 Uhr geöffnet.

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