Tschechische Bibliothek in 33 Bänden

Der Berliner Übersetzer und Bohemist Dr. Eckhard Thiele

Seit dem Jahr 1999 erscheint die "Tschechische Bibliothek" in deutscher Sprache in der Deutschen Verlags-Anstalt. Die Bibliothek ist eine Initiative der Robert-Bosch-Stiftung. In jedem Frühkahr und Herbst erscheinen jeweils zwei neue Bände. Im Jahr 2007 sollen alle 33 Bände komplett vorliegen. Katrin Müller hat sich in der tschechischen Literaturlandschaft umgeschaut.

Mit der Tschechischen Bibliothek soll das Bewusstsein für eine benachbarte Literatur mit jahrhundertelanger Tradition geweckt und geschärft werden. Obwohl Deutsche und Tschechen nicht nur auf der Landkarte dicht beieinander liegen, ist die tschechische Literatur den Deutschen fremd geblieben, und ihre Autoren sind, mit wenigen Ausnahmen wie Franz Kafka, in Deutschland kaum bekannt. Die Bibliothek wird neben Dichtung und Prosa auch Essays, Musikerbriefe und Texte zur Philosophie, Literatur, Kunst, Geschichte und Politik enthalten. Bis zum Jahre 2007 soll die Bibliothek geschlossen vorliegen. Bisher sind 22 Bände erschienen. Die Herausgeber der "Tschechischen Bibliothek" in 33 Bänden haben sich zum Ziel gesetzt, die Perlen der tschechischen Literatur in dieser Reihe zu versammeln und der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Einer der Herausgeber ist der Berliner Übersetzer und Bohemist Dr. Eckhard Thiele.

Welche Idee verfolgen Sie als Herausgeber der "Tschechischen Bibliothek" und wie sind Sie daran gegangen?

"Es ist so: In den deutschsprachigen Ländern wird generell viel aus dem Tschechischen übersetzt. Und in Zeiten politischer Umbrüche und politischer Krisen gab es immer ein großes Interesse an tschechischer Literatur. War die Krise vorbei, erlosch auch das Interesse. Das Erste ist, dass wir eine gewisse Kontinuität in der Rezeption tschechischer Literatur erreichen wollen.

Zweitens möchten wir in einen goldenen Fonds der tschechischen Literatur schaffen. Und zwar sollen diese Bücher, die hier erscheinen, lange Zeit auf dem Markt bleiben. Es ist doch sonst so, dass die Bücher erscheinen, dann sind sie zwei, drei Jahre auf dem Markt und dann verschwinden sie wieder. Wir wünschen uns, dass diese Literatur längere Zeit erhältlich ist.

Drittens möchten wir für die tschechische Literatur Interesse erwecken. Das können wir damit erreichen, dass wir Bücher herausgeben, die das Interesse der Leser finden, die ihnen aber auch etwas Neues bieten und sie zum Entdecken einer literarischen Landschaft einladen. Wir können keinen Kanon der tschechischen Literatur in 33 Bänden bieten. Das geht nicht. Wir bringen drei Bände Poesie, 23 Bände Prosa und sieben Bände Philosophie und Essayistik heraus."

Wie erfolgt die Auswahl der Autoren und deren Werke, denn was viele nicht für möglich halten, ist die Auswahl sehr groß?

Der Studiersaal in Klementinum,  Prag
"Sie können sich vorstellen, das es nicht schwer ist, 33 Bände mit Literatur zu füllen. Schwer war es, auszuwählen, welche Bücher man weglässt. Wir haben lange Zeit überlegt, was wir machen. Ich habe ein Programm entwickelt. Das haben wir mit Fachleuten diskutiert. Wir haben mit Leuten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und natürlich auch aus Prag, aber auch aus Amerika und Holland gesprochen, ob sie unseren Plan billigen.

Wir wollen zum einen natürlich die großen berühmten und bekannten Autoren der tschechischen Literatur müssen vertreten sein. D.h., es muss ein Hynek Mácha, eine Nemcová und Jan Neruda dabei sein. Weiterhin muss ein Capek und ein Hasek da sein, und so weiter und so fort, bis hin zu Josef Skvorecky. Und auch Bohumil Hrabal ist mit einem sehr schönen Buch vertreten. Aber natürlich kommt es auch darauf an, welche Werke dieser Autoren man aussucht. Ich will Ihnen ein Problem nennen: Von Jaroslav Hasek sind die `Abenteuer des Soldaten Schwejk´ immer auf dem deutschen Buchmarkt vertreten. Das ist vielleicht das einzige tschechische Buch, das zu allen Zeiten in verschiedenen Ausgaben greifbar ist. D.h., dass wir natürlich einen Hasek bringen müssen, aber konnten und wollten nicht den `Schwejk´ bringen. Wir haben den `Urschwejk´ gewählt. Das ist eine der ältesten Geschichten von `Schwejk´. Die hat die berühmte Übersetzerin Grete Reiner übersetzt. Sie hat das Buch um den `Kommandanten der Stadt Bulgov´ und anderen Sachen aus der Zeit von Haseks bolschewistischen Irrtümern ergänzt. Das sind hochinteressante Erzählungen, die noch nicht in deutschen Ausgaben greifbar waren. Deshalb habe wir uns entschlossen, das von Hasek zu bringen. Weiterhin haben wir von Karel Capek `Die Gespräche mit Masaryk´ in der ersten deutschen, vollständigen Ausgabe, und zum anderen Capeks noetische Trilogie `Hordubal/ Der Meteor/ Ein gewöhnliches Leben´. Das ist eines der Spitzenwerke der Weltliteratur, ein philosophischer Roman von außerordentlicher Qualität. Das sind Entdeckungen. Wir haben aber auch Bücher von Autoren, die auch erst vor wenigen Jahren in der Tschechischen Republik entdeckt, oder besser wieder entdeckt worden. Das sind Bücher wie Milada Souckova `Der unbekannte Mensch´, Josef Jedlicka `Blut ist kein Wasser´, oder das im August erscheinende Werk von Egon Hostovsky `Siebenmal in der Hauptrolle´. Das ist ein ganz hervorragender Roman.

Im August wird übrigens noch ein Buch erscheinen. Das sind tschechische Erzählungen und Novellen aus der Zeit des `Fin de siècle´, der Zeit der tschechischen Dekadenz. Zu den Autoren dieses Werkes gehören Jakub Arbes, Julius Zeyer und Jiri Karasek ze Lvovic und andere.

Wir bringen jedes Jahr vier Bände und sind jetzt schon beim 22. Band. Das wären der 23. und 24. Band. Im Jahr 2007 werden dann alle 33 Bände vorliegen."

Eine Besonderheit der "Tschechischen Bibliothek" ist es, dass einige Werke zum ersten Mal in deutscher Sprache erscheinen. Welche sind das zum Beispiel?

"Wir bringen in einigen Fällen alte Übersetzungen, wenn sie gut sind. In anderen Fällen werden Bücher, Werke neu übersetzt. D.h., dass das erste Entdeckungen überhaupt sind. Dazu gehören die Werke von Milada Souckva, Jan Cep, von dem wir Erzählungen gebracht haben, Jedlicka u.s.w. Bei Bozena Nemcova zum Beispiel war die Überlegung, die berühmte Großmutter - die babicka - zu wählen, aber das Buch ist in mehreren Übersetzungen auf Deutsch verlegt worden. Wir zur Ansicht gekommen, dass es sinnvoll wäre, sich auf die Briefe zu konzentrieren. Schon Franz Kafka hat beklagt, dass die Briefe der Bozena Nemcova nicht in deutscher Übersetzung vorliegen. Und das ist nun schon fast 80 Jahre her, dass er das beklagt hat und wir wollen das nun endlich machen."

Franz Kafka hat auf Deutsch geschrieben und findet daher keinen Platz in der "Tschechischen Bibliothek". Milan Kundera hat Ihre Anfrage zwar freundlich aufgenommen aber entschieden abgelehnt. Mit welchem Autor reagieren Sie auf diesen Verlust?

"Stattdessen werden wir Jakub Demel veröffentlichen. Der war bisher nicht auf dem Programm. Ich wollte Jakub Demel ohnehin bringen, aber es gab Einwände dagegen, weil er gewisse antisemitische Dinge von sich gegeben hat, die schrecklich, aber er ist ein großer Dichter gewesen und sozusagen der Urvater der tschechischen Moderne. Deshalb ist es wichtig, dass wir auch ihn präsentieren. Wir werden lyrische Prosa von Jakub Demel bringen. Das soll schon im nächsten Jahr erscheinen. "

Welcher Band aus dieser Reihe ist Lieblingskind? Kann man sich überhaupt auf eines festlegen?

"Wenn ich über ein Buch aus dieser Bibliothek anfange zu sprechen, dann habe ich immer den Eindruck, dass das eigentlich mein Lieblingsbuch ist. Es ist mir einfach unmöglich. Ich müsste sie alle aufzählen und sie würden merken, was das für ein Schatz ist, den wir da haben und, was man da alles entdecken kann. Nehmen Sie zum Beispiel den Band `Tschechische Philosophen von Hus bis Masaryk´. Das ist ein unglaubliches Kompendium. Was sie da alles finden. Sie sehen dort Texte von großen tschechischen Denkern versammelt. Ein Kompendium, das seinesgleichen sucht. Dann nehmen Sie wieder die Prosa. Josef Jedlicka `Blut ist kein Wasser´ ist ein wunderbares Buch. Es ist eine Chronik von unglaublicher Intensität. Man liest sich dort fest. Man liest über das tschechische Leben von fast einem Jahrhundert. Ein Lieblingsbuch - nein! Eigentlich lieb ich sie alle und ich bedauere es sehr, dass wir nicht mehr in die Bibliothek aufnehmen können."

Liebe Hörerinnen und Hörer, lassen Sie sich selbst von der Einzigartigkeit tschechischer Schriftsteller überzeugen. Die "Tschechische Bibliothek" bietet einen hervorragenden Einstieg in die tschechische Welt der Bücher.