Tschechisch-slowakische Begegnungen: Tschechen und Slowaken nach dem EU-Beitritt

Wie üblich wurde auch diesmal die letzte Ausgabe der Sendereihe "Begegnungen" im Monat in Zusammenarbeit mit unseren Kollegen von der deutschsprachigen Redaktion von Radio Slowakei International vorbereitet. Am Vorabend des EU-Beitritts Tschechiens und der Slowakei kann sie auch keinem anderen Thema als der EU-Erweiterung gewidmet sein. Mehr erfahren Sie in den folgenden Minuten von Martina Schneibergova und Lydia Korecka.

Im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt hörte man in den Medien immer wieder über die bevorstehenden Änderungen, die zu erwarten sind, über Preisanpassungen oder die Möglichkeiten der Beschäftigung im Ausland, also Angelegenheiten eher materieller Natur. Wie aber steht es um das geistige Potential der beiden Völker in Bezug auf Europa? Oder mit welchem Selbstbewusstsein treten die Tschechen und Slowaken der EU bei? Diese Fragen stellte sich der in Prag lebende slowakische Regisseur Peter Krsák. Seiner Meinung haben die beiden Völker u. a. das gemeinsam, dass es ihnen an historischem Selbstbewusstsein mangelt. Krsák initiierte ein umfangreiches Projekt mit dem Titel "Geschichte des Selbstbewusstseins", das das Bewusstsein über jene Tschechen und Slowaken stärken soll, die ihre Völker im Ausland berühmt gemacht haben:

"Das Projekt 'Die Geschichte des Selbstbewusstseins' entstand auf sehr einfache Weise. Ich meine, dass wir den Europäern doch viel zu sagen haben. Als man im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt immer darüber sprach, was wir verlieren oder gewinnen werden, kam mir der Gedanke, an oft in Vergessenheit geratene Persönlichkeiten zu erinnern. Unser Projekt hat den Untertitel 'Diplomaten ohne Pässe' und es wird in einige Kapitel gegliedert."

Es geht um die folgenden Kapitel bzw. Bereiche: "Worte, die die Welt veränderten" - sie stammen von Vertretern der Humanwissenschaften, Journalisten, Schriftstellern und Religionsvertretern. Ein weiteres Kapitel heißt "Auf der Suche nach Erkenntnissen und nach dem Abenteuer" - hier wird von Forschungsreisenden und Astronomen die Rede sein. "Die Künstler des Raumes" - zu ihnen gehören Architekten und Designer. "Auf dem Weg zu Ehre und Ruhm" - da wird es um berühmte Heerführer und Soldaten gehen. Im Kapitel "Erfinder und Entdecker" sollen international anerkannte Wissenschaftler vorgestellt werden. Im Kapitel "In den Armen der Musen" geht es um Kultur und Kunst - mit Ausnahme der Schriftsteller. Sportler werden im Kapitel "Auf dem Siegerpodest" präsentiert. Ein interessantes Kapitel scheint das Kapitel mit dem Titel "Berühmter als ihre Schöpfer" zu sein - hierher gehören nach den Worten des Regisseurs bislang nur zwei Objekte: die Marionetten Spejbl und Hurvínek und das Lied "Rosamunde".

Das Dokumentarprojekt wird in Zusammenarbeit mit dem Tschechischen Rundfunk vorbereitet. Dessen Programmdirektor Josef Havel dazu:

"Uns hat das Projekt sehr gut gefallen. Es passt in das Mosaik von Programmen, die anlässlich des EU-Beitritts gesendet werden. Wir gehen dabei davon aus, dass sowohl der Tschechische als auch der Slowakische Rundfunk über ein reichhaltiges Archiv verfügen, und wir wollen in allen geplanten 52 Folgen das Beste aus diesen Archiven nutzen. Die Rundfunkserie könnte Ende Juni beginnen. Es wird damit gerechnet, dass die Sendereihe auch in schriftlicher Form bzw. auf CD erscheinen könnte. Wir werden dabei mit dem Slowakischen Rundfunk zusammenarbeiten."

Peter Krsák
Die ersten drei Folgen betreffen Peter Krsák zufolge den Schriftsteller und Dramatiker Pavel Kohout, den Choreografen Jirí Kylian und den Schriftsteller Milan Kundera. Wie der Regisseur ganz aktuell bemerkte, möchten die Autoren auch das Phänomen des tschechischen und slowakischen Eishockeys bearbeiten.

Die Rede von der Rückkehr der Tschechen und Slowaken nach Europa, die stellt Regisseur Peter Krsák übrigens in Frage:

"Ich glaube gar nicht, dass man von einer Rückkehr nach Europa sprechen kann. Denn wir sind eigentlich nie aus Europa weggegangen. Europa hat sich von uns nur entfernt."

Nach den Erklärungen des Regisseurs Peter Krsák hat jetzt meine Kollegin aus Bratislava, Lydia Korecka das Wort:

Die Beziehungen zwischen der Slowakei und Tschechien waren auch na der Teilung der ehemaligen Tschechoslowakei am 1. Januar 1993 hoch über dem Standard. So deklarierten es die Politiker auf beiden Seiten. Die Grundlage für diese guten Beziehungen bildete vor allem die Art und Weise, wie die Teilung durchgeführt wurde. Sie war friedlich, nach beidseitigem Einvernehmen. Es gelang auch das gemeinsame Vermögen aufzuteilen, also hinterlies die Teilung keine grosse Spuren auf Seelen der Menschen. Zudem waren die Bedingungen für die Bürger beider Länder geschaffen worden, ohne Hindernisse weiter zu existieren. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit konnte fortgeführt werden, was vor allem die Zollunion möglich machte. Es gab keine Hindernisse weder bei gegenseitigen Handelsbeziehungen, noch beim Übertreten der gemeinsamen Staatsgrenze, die nur mit Personalausweis und nicht nur auf offiziellen Grenzübergängen, sondern auf jeder beliebigen Stelle für die Bürger beider Staaten passierbar ist. Man kann also die Zeitspanne zwischen der Teilung der Tschechoslowakei auf Tschechien und die Slowakei und dem EU-Beitritt beider Länder als eine Periode bezeichnen, wo die Bedingungen hoch über dem Standart waren in allen Bereichen. Der tschechische Botschafter in der Slowakei Rudolf Slansky sieht aber die guten Beziehungen vor allem als Verdienst der Menschen auf beiden Seiten:

"Das alles, was rund um die Teilung und auch danach geschehen ist, hat dazu beigetragen, dass die Bürger beider Staaten ihre ehemaligen Mitbürger, die heute hinter der Grenze leben, als ihre engen Freunde, als Menschen, zu denen sie es in Europa am nächsten haben, betrachten."

Der Kreis schließt sich am 1. Mai 2004. Beide Länder - die Slowakei und auch Tschechien treffen sich wieder in einer Gemeinschaft, in der Europäischen Union und die Staatsgrenze wird keine Bedeutung mehr haben. An den Beziehungen wird sich nichts ändern, sie bleiben nach wie vor hoch über dem Standard, wie Botschafter Rudolf Slansky beteuert:

" Ich hoffe, dass unsere Beziehungen über dem Standard bleiben, weil ihre Qualität nicht so sehr aus den Gesetzen hervorgeht, die in beiden Ländern gelten, sondern aus den Beziehungen der Bürger eines Landes zu den Bürgern des anderen Landes. Eben die zwischenmenschlichen Beziehungen machen die Besonderheit und Qualität hoch über dem Standard aus. Es ist noch wichtig zu sagen, dass die Grundlage für die guten Beziehungen auch die Einstellung der Regierungen beider Länder war und ist, ihre Zusammenarbeit in den so grundlegenden Fragen wie der EU- und NATO-Beitritt. Diese Zusammenarbeit war ganz natürlich, weil sie den Interessen beider Länder entsprach und beide Länder machten alles um die Beitritte zu erleichtern."

Autoren: Martina Schneibergová , Lydia Korecka
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