Iglauer Gespräche zum 13. Mal

Frauentor in Jihlava (Foto: Chmee2, CC BY-SA 3.0 Unported)

Vor knapp zwei Wochen war Jihlava/Iglau, die historische Stadt der Böhmisch - Mährischen Anhöhe, Schauplatz einer traditionellen tschechisch-deutschen Konferenz. In der Regie der veranstaltenden Organisationen - der Bernard-Bolzano-Stiftung und der Ackermann-Gemeinde - fand sie unter dem schlichten Titel Iglauer Symposium bereits zum 13.Mal statt. In der Rekordzahl von etwa 200 Teilnehmern sind diesmal Politiker, Journalisten, Diplomaten, Geistliche, Vertreter verschiedener Organisationen, tschechische Deutsche von früher und von heute angereist, um sich in einem historischen, einem politischen und einem kulturellen Forum auszutauschen. Dies unter dem Motto "Identität im neuen Mitteleuropa". Jitka Mladkova war dabei und berichtet in der nun nachfolgenden Sendereihe Begegnungen:

Frauentor in Jihlava  (Foto: Chmee2,  CC BY-SA 3.0 Unported)
Offiziell gilt die Iglauer Konferenz zwar traditionsgemäß als tschechisch-deutsch, doch diesmal - wohl im Einklang mit dem diesjährigen Leitmotto - sind auch mehrere Gäste aus Österreich, Polen und der Slowakei angereist. Dass sich alle zusammen in knapp drei Tagen auf eine prägnant formulierte und allgemein akzeptable Definition der europäischen bzw. mitteleuropäischen Identität einigen werden, war kaum zu erwarten. Dies war auch keineswegs das Ziel dieses Treffens, trotzdem sprachen seine Teilnehmer sehr engagiert von der Bedeutung einer derartigen Debatte. Gleich im Rahmen des historischen Forums, mit dem die Konferenz eröffnet wurde, erklang unter Verweis auf die zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber dem Geschichtsbewusstsein die Prämisse: man müsse verhindern, dass die europäische Identität mit dem Gefühl der Gleichgültigkeit verbunden ist. Die Diskussionsbeiträge wie auch die Diskussion selbst drehten sich u.a. um das Verhältnis zwischen Identität und Vergangenheit und um die Verantwortung für die Vergangenheit, doch vor allem gab es wiederholt zu hören: Man müsse nicht in allen historischen Fragen übereinstimmen, wichtig sei der Wille, dem anderen zuzuhören. Europa sei - so z.B. Prof. Jan Kren, Mitglied der tschechisch-deutschen Historikerkommission - ein Kontinent der Konflikte, der auf keine harmonische Geschichte zurückblickt. Es sei nicht nötig, dass alle mit allen übereinstimmen. Man müsse allerdings - so Kren in Anspielung an die kontroversen Äußerungen des ehemaligen tschechischen Premiers Milos Zeman an die Adresse der Sudetendeutschen - auf die Zunge aufpassen und nicht "zemanisieren." Dass sich hier in den letzten Jahren manches wandelte, bestätigte mir Helmut Werner, Geschäftsführer des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds:

"Bereits in 1996, 1997, 1998 war zu spüren, dass auch die 'alten Gegner' in Anführungsstrichen, die hier ständig mit denselben Thesen und Argumenten aufeinander einschlugen, einander plötzlich wirklich zuzuhören begannen. In der Zwischenzeit ist es glaube ich so, dass man selbst das Unangenehme hier ganz offen aussprechen kann. Natürlich wenn man es in einer Form tut, die den anderen nicht beleidigt. Denn wir alle, die wir hier sitzen, wir sind weder an den Gräueln der Nazis noch an der Vertreibung beteiligt gewesen. Wir sind die Nachfolgenden, und deswegen hat sich hier jetzt auch erfreulicherweise eine ganz andere Tonlage eingestellt."

Viele Konferenzteilnehmer quittierten es mit Genugtuung, dass man in Iglau einander nicht mehr den Spiegel vorhält, um dem jeweils andern zu sagen, was man sich gegenseitig angetan hat. Inzwischen spricht man sogar vom Iglauer Prozess, in dessen Rahmen die Iglauer Konferenz auch zu einer Art Podium geworden ist, an dem auch tschechische Regierungsvertreter und Vertreter deutscher Regierungen, auch der Bundesregierung, beteiligt waren. Für Helmut Werner ist dies ein Beweis dafür, dass der tschechisch-deutsche Dialog existiert, obwohl des Öfteren auch das Gegenteil behauptet wird:

"Hier fand dieser Diskussionsprozess ständig statt und es hat sich gezeigt, dass unabhängig von der jeweiligen Lage der Regierungen und der Zusammensetzung der Regierung in Prag hier ständig ein Kommen und Gehen war, und das war natürlich mit das Verdienst von Petr Pithart, der hier eigentlich von allem Anfang an direkt oder indirekt mitgewirkt hat."

Petr Pithart, Vorsitzender der oberen Kammer des tschechischen Parlaments, war auch diesmal in Iglau. Nach seiner Rede zum Thema "Identität" gleich bei der Konferenzeröffnung trat er auch am darauf folgenden Tag auf, mit einem Diskussionsbeitrag zum Thema "Kann die Erweiterung der Europäischen Union zur Überwindung des Postkommunismus und der Suche nach einer Identität in Mitteleuropa beitragen?"

"Wie kann man diese Frage beantworten, wenn man nicht mit Sicherheit sagen kann, was mit der EU nach der Erweiterung um zehn Länder passieren wird", sagte Pithart einleitend und verwies gleichzeitig einerseits auf Unterschiede zwischen den Ländern, die der EU in den zurückliegenden 20 Jahren beitraten und auf unterschiedliche Weise auch festen Fuß in der Union fassten, und andererseits auch auf die unterschiedliche Ausgangslage der alten und der beitretenden Länder. Jedes Mal bei der EU-Erweiterung sei es eine Geschichte mit einem Fragezeichen gewesen, sagte Pithart diesbezüglich ohne Euphorie, jedoch auch ohne Skepsis. Wir werden es schaffen, sagte er wörtlich, er wisse nur nicht wann und wie.

Tschechien werde dabei neue Verbündete in Europa entdecken, man ahne aber noch nicht, welche es sein werden, sagt Pithart. Seiner Meinung nach werden es eher kleinere und mittelgroße Länder sein. Noch viel Unbekanntes stehe Tschechien bevor, immerhin, von allen Möglichkeiten sollten jetzt die Tschechen am wenigsten unter einem Minderwertigkeitskomplex leiden, sagte er wörtlich.

Nun steht es fest, und dessen war man sich auch in Iglau bewusst, das Zusammenwachsen Europas wird auch nach dem 1.Mai nicht auf einem glatt geebneten Weg verlaufen. Immerhin, die sich anbietenden enormen Chancen können den Prozess abfedern. Zum Beispiel beim Zusammenwachsen von Grenzregionen und deren Wandel in eine Art Geschichtsregionen. Übrigens, dieser Prozess hat mancherorts bereits begonnen, wie es die folgenden Worte von Bürgermeister Reinhold Macho aus dem bayrischen Selb bestätigen:

"Zunächst muß ich sagen, dass der Prozess, der ab 1.Mai beginnt und der uns jetzt schon beschäftigt, das ist ein Prozess, der mit Chancen und Risiken verbunden ist, schließlich wie jede andere Veränderung. Ich bin überzeugt, dass langfristig diese Erweiterung sowohl für die deutsche als auch für die tschechische Seite eine Perspektive ist. Aber es wird nur eine Perspektive werden, wenn wir uns auch menschlich näher kommen. Deshalb haben wir nicht bis zum 1.Mai gewartet, sondern wir haben von mindestens 15 Jahren mit einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit begonnen, die auch ihre Früchte auf vielen Ebenen trägt. Wir haben in den zurückliegenden 15 Jahren etwa 200 Projekte gemeinsam mit unserer Partnerstadt Domazlice, aber auch mit anderen Städten durchgeführt, die, so glaube ich, schon dazu beigetragen haben, dass sich eine gute Nachbarschaft entwickeln konnte."

Ob sich gute Nachbarschaften jeder Art künftig auch als Nährboden für die europäische oder aber die mitteleuropäische Identität erweisen, bleibt vorläufig abzuwarten.