Kindesmissbrauch in der Ersten Republik – Böhmen hatte auch seine Skandalpfarrer

Seit Monaten schon wird in Deutschland schon über sexuellen Missbrauch durch katholische Geistliche berichtet. Immer neue Skandalfälle kommen zu Tage. Alles aber leider nicht neu: Dies gab es auch in der Zwischenkriegs-Tschechoslowakei während der so genannten Ersten Republik. Da prangerte zum Beispiel die Prager Zeitung „Der Sozialdemokrat“, also das Parteiblatt der sudetendeutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei DSAP, ähnliche Verfehlungen an.

„Das katholische Studentenseminar in Eger als Heimstätte sexueller Verbrecher“– so titelte „Der Sozialdemokrat“ beispielsweise am 18. April 1925. In dem Beitrag wird über die sexuellen Übergriffe zweier Pfarrer aus dem westböhmischen Eger berichtet. Der zweite Fall sei ein „Schulbeispiel pfäffischer Niedertracht“, wie es hieß:

„Der Pater Kaufmann – er war geistlicher Leiter des katholischen Studentenheims am ´Heiligen Berg´ in Eger – wurde in München von der Polizei bei einem homosexuellen Delikt erwischt und eingesperrt. Als die Egerer Genossen davon Nachricht erhielten, behandelten sie im Karlsbader ´Volkswille´ die Angelegenheit. Aber der Pater Kaufmann hatte in München nur eine bedingte Verurteilung erfahren, so dass er nach Eger zurückkehren konnte, woselbst er die ganze Sache ganz einfach in aller Öffentlichkeit ableugnete.“

Pfarrer Kaufmann sei nur einen Monat nach seiner Rückkehr nach Eger rückfällig geworden, steht in dem Zeitungsartikel. Und weiter:

„Dem Direktor musste diese Veranlagung des ´hochwürdigen´ Herrn Pater Kaufmann bekannt sein! Durch die seinerzeitige Aufrollung der Angelegenheit im ´Volkswillen´ mussten auch die anderen geistlichen Faktoren der römisch-katholischen Kirche in Eger in Kenntnis der Sachlage sein und zumindest den Pater Kaufmann sofort unschädlich machen. Was aber taten die? Pater Kaufmann las weiterhin Messe, predigte und – hörte Beichte!“

Der Bericht ist 85 Jahre alt und doch erinnert er an heute: Kirchenvertreter, die einfach wegsehen, Pfarrer, die leugnen. Natürlich wirkt die prinzipielle Aufregung über die Homosexualität des Pfarrers heute befremdlich und es wird auch nicht so richtig klar, was eigentlich am Egerer Studentenheim wirklich vorgefallen war – dennoch: Schon damals scheint die katholische Kirche nicht immer willens gewesen zu sein, Sexualdelikte aufzuklären.

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Für die Sozialdemokraten war dies ein gefundenes Fressen. Auf dem Land lag die Schulbildung noch meist in katholischer geistlicher Hand, und wehe wenn ein Kind beispielsweise in einer sozialdemokratischen Jugendorganisation war. Die DSAP betrieb mit solchen Beiträgen sicher auch politischen Kampf. Doch ganz eindeutig war Kindesmissbrauch in der Ersten Republik kein Einzelfall. Immer wieder sind im „Sozialdemokrat“ Berichte darüber zu lesen. Am 20. Januar 1926 geht es zum Beispiel um den Missbrauch im Religionsunterricht. Der Täter – Pfarrer Anton Podhradský aus Spytihněv bei Neutitschein in Nordmähren, der sich an 11- bis 13-jährigen Schülerinnen verging:

„Der wollüstige Pfarrer ging jedoch weiter. Er nahm die Mädchen bei der Hand, unter der Vorspiegelung, dass er sie ihnen wärmen oder er es ihnen erleichtern werde, seine große splendide Tasche zu finden, aus der sie sich ein Geschenk selbst nehmen könnten; statt jedoch in die Tasche führte er die Hand der einzelnen Mädchen – vielleicht ´irrtümlicherweise´ - in seine Hosen.“

So boulevardesk berichtete das Parteiblatt über den katholischen Pfarrer. In diesem Fall drängten die Eltern der Kinder sogar darauf, dass der Geistliche der Gendarmerie übergeben wurde. Diese nahm auch die Ermittlungen auf. Dennoch würde Pfarrer Podhradský weiter unterrichten, als ob nichts geschehen wäre – damit schließt der Beitrag im „Sozialdemokrat“.