Überschwemmungen bedrohen wirtschaftliche Existenzen

Hochwasser in Südböhmen

Die Überschwemmungen sind auch jetzt noch das beherrschende Gesprächsthema in Tschechien. In der heutigen Ausgabe des Wirtschaftsmagazines stellen wir Ihnen einige Einzelfälle von betroffenen Unternehmen vor, damit Sie die wirtschaftlichen Folgen dieser Flutkatastrophe nicht nur in abstrakten Zahlen, sondern auch in ihrer konkreten existentiellen Bedrohung verstehen. Am Mikrophon in Prag begrüßt Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, Jürgen Siebeck.

Hochwasser in Südböhmen
In seiner vorläufigen Bilanz geht der tschechische Premierminister Vladimír Špidla von einem Gesamtschaden für Tschechien in Höhe von 60 - 90 Milliarden Kronen oder bis zu etwa 3 Milliarden Euro aus. Hinter dieser Schadensstatistik mit so unfassbar großen Zahlen verblassen die Einzelschicksale. Deshalb möchte ich Ihnen heute drei, zugegeben zufällig ausgewählte Einzelfälle vorstellen, die aber vermutlich doch für viele, der durch die Überschwemmungen betroffenen Unternehmen repräsentativ sind:

"Wir sind eine Offset-Druckerei, die sich im Holešovicer Marktgelände in unmittelbarer Nähe der Moldau befindet. Die Überflutung hat uns genauso betroffen wie alle anderen Unternehmen und Betriebe hier in der Gegend. Das Wasser stand fast einen Meter hoch in unseren Räumen. Das heißt alle Druckmaschinen, der größte Teil der Technologie war unter Wasser."

So beschreibt nüchtern der Mitinhaber der Druckerei Trico, Herr Jaromír Sova, die Situation der Firma. Ich treffe ihn bei den Aufräumarbeiten. Überall steht noch Wasser und vor allem ein brauner zähflüssiger, stinkender Schlamm. Es ist ein Bild der Verwüstung. Die beiden an sich hochmodernen Druckmaschinen stehen noch immer mit den Füßen im Wasser. Auf Paletten stehen fertig bedruckte, nunmehr vom Wasser aufgeweichte Packen von Papierbögen mit Kunstgraphiken und Buchseiten. In den Schränken schwimmen, durch das Wasser unbrauchbar geworden, die Filmvorlagen für neue Drucke und das gesamte Archiv. Alles muß weggeworfen und entsorgt werden.

"Die Schäden schätzen wir sehr hoch. Zur Zeit kann ich noch keine konkreten Zahlen nennen. Alles hängt von den Verhandlungen mit den Versicherungen ab. Aber wir fürchten, daß unsere technische Ausstattung komplett durch eine neue ersetzt werden muß."

Das bedeutet sicherlich nicht nur erhebliche finanzielle Belastungen bei einer ohnehin geringen Kapitaldecke, sondern zwangsweise auch eine längere Wartezeit, bis die Maschinen installiert sind.

"Die optimistischste Einschätzung ist nicht früher als in zwei Monaten."

Eine Zeit, in der von der Firma keine Druckaufträge bearbeitet werden können. Zudem sind alle bereits in Arbeit befindlichen Aufträge durch das Wasser zerstört worden. Auch das Schicksal der etwa zehn Mitarbeiter dieses Betriebes hängt von der weiteren Entwicklung ab. Die Zulieferunternehmen und Kunden müssen durch diesen Ausfall ebenso mit finanziellen Verlusten rechnen. Steht zu erwarten, daß der Betrieb Kunden verlieren wird?

"Wir müssen damit rechnen. Wir hoffen, daß die Solidarität der Mitbürger und das Verständnis aller dazu beitragen wird, daß wir relativ bald aus dieser Situation herauskommen."

Soweit Herr Sova von der Druckerei Trico in Holešovice. Einige Tage darauf konnte ich den besonders hart von der Überschwemmung heimgesuchten Prager Stadtteil Karlín besuchen. Es war ein erschreckender Eindruck. Die Straßen noch voller Schlamm, zum Teil ist die Asphaltdecke weggespült. Viele Schaufenster der Geschäfte haben dem Druck des Wassers nicht standgehalten. In den Ladenlokalen dann ein Bild der vollkommenen Verwüstung. Auf den Bürgersteigen stehen stinkende, verdorbene Lebensmittel und Fleisch zum Abtransport bereit. Die Menschen schützen sich mit einem Mundschutz vor Krankheitserregern. Und überall Trümmer, verbogene Metallteile, verrottete Möbel, Computer und Maschinen - Überreste von wirtschaftlichen Existenzen. Da ist der Bäcker, der gerade sein neues Geschäft eröffnet hat, der Besitzer eines Schreibwarenladens, der die Hoffnung aufgegeben hat, noch etwas von seiner Ware retten zu können, der Wirt eines Kellerrestaurants, der verzweifelt vor seinem Lokal sitzt. Da sind die Mitarbeiter von Elektroläden, deren hochwertige Geräte quasi über Nacht zu Schrott geworden sind. Irgendwie sieht es so aus, als sei ein Bombenangriff auf dieses Viertel niedergegangen. Die emotionalen Anspannungen der Menschen sind spürbar.

In diesem Inferno begegne ich Herrn Slezák, der auf der Sokolovská im Parterre einen kleinen Friseursalon mit Manikürestudio hat. Erkennbar ist das im Moment aber nur an dem schief herunterhängenden Türschild und einigen Bruchstücken von Frisierstühlen. Alles andere ist durch Schlamm und Wasser zerstört.

"Die Situation ist für alle Geschäftsleute auf der Hauptstraße von Karlín katastrophal. Das Wasser stand hier überall etwa drei Meter hoch. Wir haben einen Totalschaden, der allein im Laden etwa 1,7 Millionen Kronen beträgt."

Das entspricht in etwa einem hundertfachen durchschnittlichen Monatsverdienst in Tschechien. Schon für die Einrichtung seines Salons hatte der Besitzer Kredite aufnehmen müssen.

Prager Stadtteil Karlin
"Die Versicherung wird nur das zahlen, was ich versichert habe. Ich bin mit etwa 300000 Kronen versichert. Den Rest muß ich selbst tragen. Eine spezielle Versicherung gegen Hochwasser habe ich, wie viele andere im Zentrum nicht, da wir nie mit einer solchen Überschwemmung gerechnet haben. Wir hoffen aber auch auf eine schnelle Hilfe durch unsere Regierung."

Gut hundert Meter entfernt liegt auf der Sokolovská in der Nähe der völlig überfluteten Metro-Station Florenc die kleine Pension Alice. Auch hier war das Wasser etwa drei Meter hoch.

"Das ganze Erdgeschoss stand unter Wasser und jetzt ist alles zerstört."

Im Gespräch beziffert der Miteigentümer der Pension, Herr Martin Vána, den Schaden im Büro und Rezeption auf etwa 1,5 Millionen Kronen. Er hofft darauf, daß seine Versicherung, den direkt durch das Hochwasser entstandenen Schaden übernehmen wird.

Aber im Moment ist seine Pension schon mehr als eine Woche geschlossen. Es gibt noch einen Disput mit der Verwaltung des Stadtviertels über die Statik des Gebäudes. Da schräg gegenüber ein Haus zusammengestürzt ist, sind die Behörden verständlicherweise doppelt vorsichtig. Wenn nach der Lösung dieses Problemes das Haus wieder an das Gas-, Strom- und Telefonnetz angeschlossen ist, hofft Herr Vána die Pension im günstigsten Fall in zwei bis drei Wochen wieder öffnen zu können.

"Zur Zeit haben wir natürlich Reservierungen für Übernachtungen in unserer Pension. Daher mußten wir für diese Gäste andere Übernachtunsgplätze suchen. Wir arbeiten mit Pensionen in anderen Prager Stadtteilen zusammen."

Diese indirekten Schäden durch Schließung, Umbuchungen und auch mögliche Stornierungen werden von der Versicherung sicherlich nicht übernommen. Herr Vána kritisiert die Informationspolitik der offiziellen Stellen vor dem bevorstehenden Hochwasser:

"Wir finden, daß die Informationen von der Regierung und der Wasserbehörde nicht ausreichend waren über das, was passieren könnte, über den zu erwartenden Hochwasserstand in diesem Stadtteil und was notwendigerweise zu tun war. Wir haben nie geglaubt, daß so viel Wasser in diesem Viertel sein könnte."

Herr Vána von der Pension Alice im Stadtteil Karlín läßt sich allerdings nicht unterkriegen und hofft wieder auf Gäste in der Zukunft.

"Wir freuen uns auf die Gäste, die nach Prag kommen werden und wir werden sehr glücklich sein, wenn sie auch in unsere Pension kommen."

In Anbetracht der großen materiellen Schäden, die die wirtschaftliche Existenz in vielen Fällen gefährden könnte, bewundere ich den starken Willen weiterzumachen und nicht aufzugeben, der in allen Gesprächen überwog. Ich hoffe sehr, daß diese Einstellung letztlich auch mit Erfolg gekrönt wird - nicht nur in Tschechien, sondern in allen Katastrophengebieten und hoffentlich auch mittels unser aller Solidarität und Hilfe.

Autor: Jürgen Siebeck
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