Tschechien verbietet Reklame an Autobahnen

Foto: Barbora Němcová

Kaum hat man die Grenze zu Tschechien überfahren, kommt man sich vor wie in einem Werbe-Wunderland. Ab September ist aber Schluss damit, denn ab da sind die großflächigen Plakate verboten.

Foto: Barbora Němcová
Hier eine Reklame für Mineralwasser, nur wenige Kilometer weiter Werbung für eine Versicherung und kurz vor der Ausfahrt will ein Möbelhaus auf sich aufmerksam machen. Tschechien war, was die Werbung an Autobahnen angeht, bisher eines der liberalsten Länder in Europa. Damit ist es nun vorbei, denn ab September müssen die Riesenreklametafeln mindesten 250 Meter weit weg stehen von der Fahrbahn. Im Grunde sind sie dann praktisch nicht mehr sichtbar. Gott sei Dank, meint Jan Pechout. Er ist Angestellter bei BESIP, der staatlichen Behörde für Verkehrssicherheit:

„Reklametafeln sind eines der Dinge, die die Autofahrer eindeutig ablenken. Sie fesseln die Aufmerksamkeit des Fahrers, der anschließend nicht mehr auf die Straße schaut. Das bedeutet, dass er sich nicht in dem Maße auf die Fahrt konzentrieren kann, wie er es eigentlich sollte. Förderlich für die Verkehrssicherheit ist das sicher nicht.“

Foto: Barbora Němcová
Das ist jedoch nicht das einzige, was die Reklametafeln zu einer solchen Bedrohung macht. Sie können vor allem als festes Hindernis aus Metall und Beton gefährlich sein, wenn ein Auto mit hoher Geschwindigkeit von der Fahrbahn abkommt:

„Jedes Hindernis am Fahrbahnrand ist potentiell gefährlich, ob es nun ein Baum, Verkehrsschild oder eine Reklametafel ist. Die beste Lösung wäre sowieso, wenn rechts und links der Fahrbahn nur Felder wären. In dem Fall würde nicht so viel passieren, wenn der Fahrer einen Fehler macht, von der Straße abkommt und sich im schlimmsten Fall noch zwei- oder dreimal überschlägt. Sofern das Auto dann nicht mit irgendetwas kollidiert. Bei den Werbetafeln entlang der Autobahnen kommt zudem noch eine Sache erschwerend hinzu: Und zwar, dass die Geschwindigkeiten wirklich unübersichtlich hoch und die Zusammenstöße mit möglichen Hindernissen umso fataler sind.“

Werbebildschirme und Leuchtreklamen bleiben gefährlich

Die neue Regelung bezieht sich derzeit ausschließlich auf Autobahnen. Für Jan Pechout ist das noch zu wenig. Einerseits lehne er ein absolutes Verbot von Reklametafeln ab, so der Experte. Doch andererseits sieht er noch weitere Probleme durch die zügellose Werbung:

Jan Pechout  (Foto: Alžběta Švarcová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Mittlerweile ist es hierzulande schon so, dass ein Autofahrer weiß, wo er einen guten Braten essen kann, aber nicht wo er beispielsweise aufpassen muss. Das ist meiner Meinung nach ein großer Fehler. Was mich momentan am meisten stört, sind diese großflächigen Bildschirme. Ein statisches Reklameplakat kann man irgendwann ignorieren, wenn man jeden Tag daran vorbeifährt. Bei einem Bildschirm, auf dem permanent die Farben wechseln und wo sich dauernd etwas bewegt, da kann man nicht so einfach wegschauen.“

Doch nicht allen schmeckt das Verbot von Reklametafeln an den Autobahnen. So auch nicht Lumír Aschenbrenner, der für die Bürgerdemokraten im tschechischen Senat sitzt und der sich für möglichst wenig Regeln im Geschäftsleben einsetzt. Seiner Meinung nach hat der Staat mit dem Verbot der Reklametafeln an Autobahnen seine Kompetenzen überschritten. Es gebe an sich viel Schlimmeres auf tschechischen Straßen:

Rauchen am Steuer gehört auch zu den Störfaktoren  (Foto: Barbora Němcová)
„Natürlich sind die Reklametafeln ein Element im Straßenverkehr hierzulande, das die Aufmerksamkeit von Autofahrern ablenkt. Doch gibt es noch viel größere Störfaktoren, wie zum Beispiel Telefonieren oder Rauchen am Steuer, Essen und Trinken während der Fahrt, Zeitunglesen und vieles andere mehr. Das Reklametafeln besonders gefährlich sind, ist übertrieben.“

Unischere Beweislage

Außerdem gibt es laut Lumír Aschenbrenner keine Studien, die die Gefahr von Reklametafeln belegen könnten. Mit dieser Meinung ist er in Tschechien durchaus nicht allein. Auch das sogenannte Liberale Institut, das sich dem Schutz der Marktfreiheit in Tschechien verschrieben hat, sieht das Verbot der Tafeln kritisch. Petr Koblovský ist dort beschäftigt und schreibt dazu auf dem Nachrichtenportal neviditelnypes.cz, Zitat:

Foto: Carlos Paes,  Free Images
„Unfälle, die tatsächlich auf die Reklametafeln zurückzuführen sind, sind nur minimal nachweisbar. Viel gefährlicher sind da schon Zusammenstöße mit Leitplanken, Bäumen oder anderen Autos.“

Für den Verkehrssicherheits-Experten Jan Pechout ist diese Argumentation zwar nachvollziehbar, aber nicht schlagkräftig:

„Auch wenn es nur ein Mensch weniger ist, der aufgrund der Ablenkung durch eine Reklametafel auf tschechischen Straßen stirbt, hat sich das Verbot gelohnt. Es ist ganz einfach so, dass es damit einen Störfaktor weniger für Autofahrer geben wird. Natürlich sind Rauchen, Trinken und Telefonieren auch nicht ideal. Das sind aber Dinge, die wie im Falle des Telefonierens schon gesetzlich geregelt sind. Man darf schon seit einiger Zeit nicht am Steuer telefonieren.“

Lumír Aschenbrenner  (Foto: Archiv des Senats des Parlaments der Tschechischen Republik)
Für den Bürgerdemokraten Lumír Aschenbrenner ist das ein zu scharfer Ansatz. Da könne man ja gleich Autos verbieten, die seien nach dieser Logik so oder so der häufigste Grund von Verkehrsunfällen, meint der Senator. Eben genauso, wie der häufigste Grund für eine Scheidung die Eheschließung sei.

Es ist aber nicht unbedingt die Sicherheit, die den Bürgerdemokraten Lumír Aschenbrenner am Verbot der gigantischen Werbetafeln am meisten stört. Es sind eher die wirtschaftlichen Verluste und die Überregulierung der Unternehmenssphäre, die ihm und weiteren Verfechtern eines deregulierten Marktes sauer aufstoßen.

Ein Punkt dabei sind laufende Verträge, die durch das Verbot nun bedroht seien. Vor allem US-amerikanische Firmen könnten teure Schiedsverfahren gegen Tschechien anstrengen und Milliardenstrafen erwirken. Kein Problem, meint hingegen Jan Pechout von der Verkehrssicherheitsbehörde. Das entsprechende Gesetz sei ja schon lange vorbereitet und angekündigt worden:

Foto: Barbora Němcová,  Radio Prague International
„Das Ganze ist eine fünf Jahre alte Angelegenheit. Im Jahr 2012 wurde beschlossen, dass innerhalb von fünf Jahren große Reklametafeln von den Grundstücken entlang der Autobahnen verschwinden sollen. Eine Überraschung war es also nicht, dass diese Frist im Jahr 2017 ablaufen wird, also genau jetzt. Die Unternehmen hätten sich also viel früher melden und gegebenenfalls etwas ändern können.“

Freier Markt oder Menschenleben?

Gerade das ist aber laut Lumír Aschenbrenner ein Problem. Der Staat greift mit dem Verbot in einer Weise in das freie Unternehmertum ein, wie es ihm eigentlich nicht zusteht. Und zwar nicht nur, dass er versucht Privatleuten vorzuschreiben, was sie auf ihren Grundstücken stehen haben dürfen und was nicht. Es geht in den Augen des Senators auch um Arbeitsplätze und die bloße Existenz von Selbstständigen:

Reklametafeln | Foto: Barbora Němcová,  Radio Prague International
„Das Verbot bedeutet für eine bestimmte Gruppe von Menschen, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben kann. Das ist wie bei den Pelztierfarmen, auch wenn man das nicht eins zu eins vergleichen kann. Von dem Verbot unmittelbar gefährdet wären rund 5500 Arbeitsplätze. Und zwar nicht nur direkt in der Werbebranche, sondern indirekt auch bei den Firmen, die von der Werbung profitieren würden.“

In den Augen von Jan Pechout ist das ein zu vernachlässigender Faktor in der Diskussion. Wenn man schon rein wirtschaftlich denken würde, müsse man bei jedem Toten von einem Schaden in Höhe von 19 Millionen Kronen für die Gesellschaft ausgehen, so der Verkehrsexperte. Aber eigentlich sei das nicht wirklich der Kern der Debatte:

„Ich betrachte diese ganze Sache aus der Perspektive der staatlichen Organisation für Verkehrssicherheit und kann da keine übermäßige Stiefmütterlichkeit von Seiten des Staates erkennen. Ich sehe das Verbot viel mehr als Anstrengung, die Sicherheit auf den Straßen in diesem Land zu erhöhen. Vor allem aber auch als Versuch, die Zahl der Verkehrstoten möglichst gering zu halten. Und das ist etwas, worum es uns allen gehen sollte.“