Novák: 60 Prozent der kleinen Chemiefirmen werden wegen REACH aufgeben

Foto: ČTK

Von Dienstag bis Donnerstag dieser Woche findet in Frankfurt am Main die internationale Chemieindustriemesse CPhl Worldwide 2008 statt. Sie gilt als die anerkannt größte Messe ihrer Branche, insbesondere für den pharmazeutischen Bereich. Auf ihr vertreten ist auch ein repräsentativer Teil von Chemie-Unternehmen aus Tschechien. Diese Firmen sehen in der Messe eine gute Chance, um trotz schwieriger Zeit hoffnungsvolle Zukunftspläne zu schmieden.

„In diesem Jahr wird die Tschechische Republik durch insgesamt 13 Aussteller vertreten. Das ist eine beachtliche Zahl, die uns überrascht hat. Für ihre Präsentation steht den tschechischen Firmen eine Ausstellungsfläche von fast 220 Quadratmetern zur Verfügung.“

Martin Šilhan, der Pressesprecher des nationalen Verbandes der chemischen Industrie (SCHP), ließ mit dieser Aussage deutlich werden, welch hohen Stellenwert man in der Branche dieser Messe beimesse. Und Xenia Svobodová, der Chief Executive Officer der pharmazeutischen Firma I.Q.A., schob auch gleich nach, warum das so ist:

„Zu dieser Messe kommen im Prinzip alle Unternehmen, die im Bereich der pharmazeutischen Industrie weltweit von Rang und Namen sind. So weit ich weiß, werden zur Messe rund 20.000 Besucher erwartet. Für uns hat die Messe einen sehr großen Effekt: Wir sparen etliche Reisekosten, denn wir haben bereits im Vorfeld rund 150 bilaterale Firmengespräche vereinbart. Mit einem Wort: Wir treffen dort alle unsere Partner von heute und die potenziellen Partner von morgen.“

Ladislav Novák
Diesen Worten zufolge könnte man meinen, dass die chemische Industrie in Tschechien weiterhin auf der Erfolgswelle schwimmt. Das traf auch bis einschließlich zum vergangenen Jahr zu, aber in diesem Jahr seien schon die ersten Anzeichen einer Rezession erkennbar. Und zwar nicht nur in Tschechien, sondern in ganz Europa, erklärte der Vorsitzende des tschechischen Verbandes der chemischen Industrie, Ladislav Novák, unlängst vor Journalisten. Für die Branche aber komme noch ein erschwerendes Hindernis hinzu – die EU-Verordnung REACH. Dazu sagte Novák:

„REACH ist eine sehr belastende Verordnung, die insbesondere die kleinen und mittleren Firmen trifft. Unser Verband schätzt, dass diese Verordnung die chemische Industrie in Tschechien mit zusätzlichen Kosten in Höhe von sieben bis elf Milliarden Kronen belasten wird.“

Umgerechnet 300 bis 450 Millionen Euro also müssen die tschechischen Chemiefirmen für die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien ausgeben, denn nichts anderes beinhaltet die EU-Chemikalienverordnung, die am 1. Juni 2007 in Kraft getreten ist. Das REACH-System basiert auf dem Grundsatz der Eigenverantwortung der Industrie. Das heißt, nach dem Prinzip „no data, no market“ dürfen innerhalb des Geltungsbereiches nur noch chemische Stoffe in den Verkehr gebracht werden, die vorher registriert worden sind. Jeder Hersteller oder Importeur, der seine Stoffe innerhalb der 27 EU-Länder in Verkehr bringen will, muss folglich für diese Stoffe eine eigene Registrierungsnummer besitzen. Diese Registrierung kann man noch bis zum 1. Dezember in Helsinki bei der ECHA, einer Agentur zur Organisation und Kontrolle im Prozess von REACH vornehmen lassen. Nach den Schulungen, die der Verband für seine Mitglieder zu diesem Thema bisher durchgeführt hat, gehe er aber davon aus, dass längst nicht alle der tschechischen Firmen ihre Stoffe registrieren klassen werden, sagte Novák.

Foto: Europäische Kommission
„Bislang ist der Umgang mit der REACH-Verordnung eher ambivalent. Es gibt einige Unternehmen, die daran interessiert sind, in ihrer Arbeit fortzufahren. Diese Firmen erklären, wir probieren es einfach und wer weiß, vielleicht finden wir im Rahmen der EU einen Partner, mit dem wir ein Konsortium bilden, was uns hilft zu überleben. Der andere Teil aber wiederum sagt: Wir warten solange, bis unsere Stoffe die Registrierung haben müssen und dann packen wir unser Zeug zusammen.“

Wie Sie bereits vernommen haben, gehören Xenia Svobodová und ihre Firma I.Q.A. zweifellos zur erst genannten Gruppe der Chemieunternehmen in Tschechien. Zur Gruppe derjenigen, die nicht aufgeben wollen. Aus der anderen Gruppe hingegen wird nach Meinung von Ladislav Novák ab dem 2. Dezember ein nicht unerheblicher Teil vom Markt verschwinden:

„Ich wage die Prognose und schätze, dass zirka 50 bis 60 Prozent der kleinen und mittleren Firmen aufgeben werden. Sie werden ganz einfach nicht in der Lage sein, die Mehrkosten zu decken.“

Dem Verband der chemischen Industrie in Tschechien gehören rund 140 Firmen an, die insgesamt über 100.000 Beschäftigte haben und drei Viertel des Umsatzes der Branche im Land abdecken. Als Verbandschef macht Novák dann auch kein Hehl daraus, dass REACH nicht allen Unternehmen die gleichen Chancen einräume:

„Meiner Meinung nach ist die Verordnung den kleinen Firmen gegenüber einfach nicht fair. Die großen Firmen dagegen können sie meistern, weil sie global operieren und die Finanzkraft haben, die Mehrkosten zu tragen. Der kleine Produzent aber, der vielleicht fünf, zehn oder 20 Leute beschäftigt, hat diese Möglichkeit nicht. Die Kleinen haben die Lücken auf dem Markt bisher gut ausgefüllt, doch bei den Ausgaben, die mit REACH verbunden sind, werden sie meiner Meinung nach recht bald von Konkurrenten aus China oder Indien vom Markt gedrückt.“

Das tschechische Umweltministerium, das die Einführung der EU-Chemikalienverordnung REACH eindeutig begrüßt, kann sich über solche Aussagen nur wundern. Zumal die chemische Industrie in Europa an der Ausarbeitung dieser Verordnung mitgearbeitet habe, sagte der Sprecher des Ministeriums, Jakub Kašpar, und fährt fort:

„Es muss zunächst gesagt werden, dass sich die tschechische Wirtschaft einschließlich der chemischen Industrie bei der Einhaltung von sicherheitstechnischen und anderer Standards auf europäischem Niveau befindet. Umso mehr sind wir darüber verstimmt, dass die chemische Industrie mit ihren Äußerungen zum REACH-System ihren guten Ruf schädigt. Denn damit gibt sie faktisch zu verstehen, dass sie nicht an diesem System teilhaben will, das zum Ziel hat, den Schutz der europäischen Bevölkerung zu erhöhen vor den potenziellen Risiken, die nun einmal in chemischen Stoffen stecken.“

Ab dem 2. Dezember dieses Jahres ist die Verordnung für alle Chemiefirmen in den 27 EU-Ländern bindend. Daher stellt Kašpar noch einmal klar:

„Das bedeutet, die chemische Industrie muss diese Richtlinie respektieren, ob sie will oder nicht. Und wer diese Richtlinie nicht respektiert, der schließt sich natürlich selbst vom europäischen Markt aus.“

Foto: ČTK
Zu den Unternehmen, die ab Dezember vom Markt verschwinden, will die pharmazeutische Firma I.Q.A. selbstredend nicht gehören. Sie erhofft sich insbesondere in der Zusammenarbeit mit deutschen Firmen eine Perspektive für die Zukunft, wie Xenia Svobodová betont:

„Wir fühlen uns jetzt doch schon wie ein Mitspieler auf dem europäischen Markt, auch wenn es eine Weile gedauert hat. Wir fühlen uns besonders in Deutschland als ein gleichberechtigter Partner, denn es sind gerade die deutschen Firmen, die uns sehr gut annehmen.“

Bleibt nur noch zu ergänzen, dass die tschechischen Firmen nur ein Prozent der chemischen Industrie in Europa ausmachen und dass sie sich mit Durchsetzung des REACH-Systems noch mehr als zuvor in die europäische Chemieproduktion integrieren werden.