Sühnekreuze und „Marterl“ – Ostmährens religiöse Kleindenkmäler

Foto: Jitka Mládková

Es sind nicht immer nur die großen Sakralbauten, die unsere Bewunderung verdienen. Auch Sühnekreuze, Betsäulen, Glockentürmchen oder Kapellen legen Zeugnis ab von der Geschichte. Kunsthistoriker und Kulturanthropologen betrachten sie als Phänomene des sogenannten kollektiven Gedächtnisses. Hierzulande sind sie vielerorts anzutreffen, und auch Ostmähren bildet da keine Ausnahme.

Aleš Naňák in Nedašova Lhota  (Foto: Jitka Mládková)
Im gesamten Kreis Zlín in Ostmähren sind die regionalen Identitäten stark ausgeprägt. Dies gilt genauso für die Hanna, die Mährische Slowakei oder die sogenannte Walachei. Dazu kommt eine Religiosität, die in den meisten anderen Teilen Tschechiens bereits verloren gegangen ist. Diese zeigt sich nicht zuletzt in den kleinen Sakralbauten.

Aleš Naňák ist Denkmalschützer beim Kreisamt in Zlín. Er stammt aus Návojná, wo er auch lebt, und fühlt sich mit der Region stark verbunden. Eines seiner Themen sind „Sühnekreuze“. In Fachkreisen würden mindestens drei Hypothesen über ihre Bedeutung diskutiert, so Naňák. Eine davon gelte als wahrscheinlichste, und dies lasse sich auch in Südostmähren konkret belegen.

„Das Sühnekreuz gehörte ab dem Mittelalter zur Verbüßung einer Straftat wie etwa einem Gewaltverbrechen. Der Täter sollte dem Kirchenrecht nach auch seine Reue bekunden, um seine Seele im Leben nach dem Tod zu erleichtern. Dazu diente zum Beispiel, ein einfaches Kreuz in Stein womöglich eigenhändig zu meißeln. Es handelte sich also nicht um Arbeiten professioneller Steinmetze, wie auch in der Gestaltung der Sühnekreuze zu sehen ist. Im Laufe der Zeit wurde auf den Kreuzen beispielsweise der jeweilige Gegenstand abgebildet, mit dem das Verbrechen begangen worden ist: ein Beil, Schwert oder Messer. In Einzelfällen ist auch der Leib Christi zu sehen.“

Eigenhändig gemeißelte Kreuze

Sühnekreuz in Pozlovice  (Foto: Jitka Mládková)
Letzteres findet man zum Beispiel auf dem Gelände von Pozlovice, einem Vorort der Kurstadt Luhačovice. Auf der Frontseite des Sühnekreuzes ist ein hohes Relief des gekreuzigten Jesus zu sehen und darüber die Jahreszahl 1663. Der Überlieferung nach weist es auf eine Bluttat hin. In der Zeit der Türkenkriege soll eine Räuberbande in der Nacht die in der Nähe lebende Müllerin und ihre Söhne überfallen haben. Die Frau, die ihre Familie und ihr Eigentum verteidigte, tötete einen von ihnen. Die Komplizen des Räubers bestatten ihn an einem nahen Ort, an dem nach einiger Zeit das kleine Denkmal auftauchte. Auf weitere Sühnekreuze, die persönliche Schicksale wiederspiegeln, stößt man auch in Podhradí bei Luhačovice und in Horní Lhota.

Kurz erwähnt sei noch eine andere Hypothese über die Entstehung der Sühnekreuze, über die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in tschechischen Fachkreisen lebhaft debattiert wurde.

Kyril und Method-Kapelle in Brumov  (Foto: Jitka Mládková)
„Zum Impuls wurden 1863 höchstwahrscheinlich die von großer Begeisterung getragenen Tausendjahresfeiern zur Ankunft der byzantinischen Gelehrten Kyrill und Method, die 863 ins südmährische Velehrad kamen. Das Jahr gilt offiziell als Beginn der Missionierung slawischer Völker und der Verschriftlichung ihrer Sprachen. Angenommen wurde, dass die besagten Steinkreuze damals die Aufenthaltsorte der beiden Männer markieren sollten – als Danksagung für die Christianisierung.“

Diese These hat sich aber nie bewahrheitet. Gegen Ende des 19. Jahrhundert kam es allerdings in der Region zu einer verstärkten Wiederbelebung der Kyrill-und-Method-Tradition. Diese manifestierte sich durch den Bau neuer Kapellen, die ihnen geweiht wurden, wie zum Beispiel in Brumov oder Valašské Klobouky in der Walachei. Erstere wurde 1871 gebaut. Eine Legende besagt, dass Kyrill und Method gerade hier an diesen Orten bei ihrer Wanderung durch Mähren Rast machten und predigten. Im 19. Jahrhundert wurden auch Pilgerfahrten nach Velehrad organisiert. Ein ähnlicher Kult war im 18. Jahrhundert schon um Johannes Nepomuk entflammt, damals stellte man seine Statue fast an jeder Brücke in Mähren auf, aber auch in Böhmen und in Österreich.

Steinmetze hatten alle Hände voll zu tun

„Boží muka“ in Pozlovice  (Foto: Pavel Langer,  CC BY-SA 3.0
Häufige kleine Sakralbauten sind auch die sogenannten „Boží muka“. In den deutschsprachigen Ländern haben sich dafür mehrere, oft auch regionale Namen eingebürgert. Zum Beispiel Bildstöcke, Bild- oder Betsäulen, Heiligenstöcke oder Marterl. Die tschechische Bezeichnung „Boží muka“ lässt sich mit „Leid(en) Gottes" übersetzen. Mancherorts sollten diese Kleindenkmäler mit ausschließlich religiösem Hintergrund bereits seit dem 13. Jahrhundert an das Leiden Christi bei Geißelung am Pfahl erinnern. Eine Zeitlang wurden sie in Böhmen und Mähren aus einem einzigen Gesteinsstück hergestellt. Ihre Gestalt sowie das Material haben sich aber im Lauf der Zeit gewandelt. Wie war dies auf ostmährischem Gebiet?

„Boží muka“ in Luhačovice  (Foto: Jitka Mládková)
„Boží muka waren hier insbesondere in der Barockzeit – gegen Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts – beliebt, besonders in der Gegend von Luhačovice und Pozlovice. Das ist wahrscheinlich darauf zurückführen, dass es in der dortigen Gegend eine Steinmetzwerkstatt gab, die die hohe Nachfrage nach derartigen Bauten decken konnte. Offenbar gilt das aber nicht auch für die benachbarte Walachei, wo man diese Artefakte der Kleinarchitektur nur in äußerst geringem Maße finden kann. Später entstanden anstatt reiner Steinmonolithe auch vielfältige andere Objekte, die den Schöpfern mehr künstlerische Gestaltung ermöglichten. Ein Beispiel dafür ist die Boží muka im Kurpark von Luhačovice aus dem Jahr 1727. Sie besteht aus drei Teilen – einem kräftigen Sockel, einem schlanken, emporsteigenden Schaft mit einem vergoldeten Reliefbild der Jungfrau Maria mit dem Christuskind und einem breit abschließendem profiliertem Sims mit einem vergoldeten Kreuz. Die im Barock oft verwendeten Elemente der bildhauerischen Verzierung hatten allerdings in der Regel eine bestimmte Bedeutung. So symbolisierten zum Beispiel die Pflanzenmotive mit vorgegebener Zahl meist runder Blütenblätter die Vollkommenheit Gottes. Die Blätter der Weinrebe waren ein eucharistisches Symbol, und ebenso die sogenannten Arma Christi: das Schwert, der Speer oder die Dornenkrone, die sich auf das Passionsgeschehen beziehen“, so Aleš Naňák.

Friedhof in Uherský Brod  (Foto: Palickap,  CC BY-SA 3.0)
Außer Zweifel steht, dass das Steinmetzhandwerk aufblühte, als die Nachfrage nach beeindruckenden Passionsdarstellungen in Relief oder Skulptur immer größer wurde. Und das galt nicht nur für die Zeit des Barock.

„Rund um Uherské Hradiště und Uherský Brod befand sich ein dichtes Netz von Steinmetzwerkstätten. Dort sind logischerweise auch mehr Sühnekreuze und Statuen zu finden. Die Werkstätten produzierten vor allem diese Artikel bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Nach dem Ersten Weltkrieg kam ein neues Architekturelement hinzu: Denkmäler für die Kriegsopfer. Auch auf diese Nachfrage stellten sich die regionalen Steinmetze mit Geschick ein. Ähnliches lässt sich zudem auf dem Gebiet der Friedhofskultur belegen. Es war in der Tat ein eigenständiges Metier.“

Heiligenstatuen auf den Hügeln

Hl. Josef in Nedašov  (Foto: Petr Slinták,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Von der besonderen Beliebtheit der Nepomuk-Statuen im Landkreis Zlín war schon die Rede. Standen außer ihnen auch andere Heiligenstatuen in besonderer Gunst der Bevölkerung? Zum Beispiel im walachischen Závrší?

„In unserer Region sind es insbesondere die heilige Anna und der heilige Josef, aber auch der heilige Wenzel. An dieser Stelle möchte ich Pfarrer František Půček nennen, der von 1934 bis 1959 unsere Pfarrei von Nedašov betreute. In seiner Zeit hat er mehrere Statuen von Heiligen im öffentlichen Raum aufstellen lassen. Das war damals etwas Einmaliges hierzulande. Während des Zweiten Weltkriegs ließ Pfarrer Půček Statuen der Heiligen Anna, Josef und Antonius auf eine symbolische Weise in der umliegenden Hügellandschaft postieren. Jede von ihnen blickte auf eine der drei Pfarrgemeinden mit der Mission, den Segen für ihre Bewohner zu erbitten.“

Aleš Naňák  (Foto: Petr Slinták,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Das Wissen um die religiösen Kleindenkmäler, die früher viel mehr als nur eine Nebenrolle gespielt haben, ist laut Aleš Naňák in der tschechischen Gesellschaft wesentlich geschrumpft. Immer mehr Menschen sind sich kaum noch darüber bewusst, an welchem Ding sie eigentlich gerade vorbeigehen.

„Die Zeiten, in denen man dann den Hut abnahm oder sich bekreuzigte, sind längst vorbei. Dabei spreche ich aber nicht von der Region, in der ich zu Hause bin. Hier wird die Religion noch immer von einem Großteil der Menschen gelebt. Doch nur ein paar Dutzend Kilometer von uns entfernt sieht es anders aus. Sakrale Architektur wird, nach meinem Empfinden, mehr oder weniger nur als Teil des städtischen Raums geduldet. Viele gehen davon aus, dass aber auch sie irgendwann einmal verschwinden wird. Hoffentlich geschieht dies nicht allzu schnell.“

Während der kommunistischen Herrschaft nach dem Zweiten Weltkrieg sind viele sakrale Denkmäler in der Tschechoslowakei, ob klein oder groß, unwiederbringlich zerstört worden. Viele weitere befinden sich in einem erbärmlichen Zustand.

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