Ríp - Berg des Urvaters Cech

Seit Jahren hat man von dem denkwürdigen und sagenumwobenen Berg Ríp nicht so häufig gehört, wie in diesem Frühling. Es scheint, als ob der Magnetberg nicht nur den Urvater Cech in den finsteren mythologischen Zeiten und die Patrioten im 19. und 20. Jahrhundert angezogen hätte, sondern auch für die heutigen Politiker eine magische Kraft besäße. Man kann sich dieser Tage kaum eine Wahlkampagne vorstellen, ohne eine Wallfahrt auf den Ríp zu unternehmen. Lassen wir jetzt die Politiker, sich ihrem Wahlkampf zu widmen, und begeben uns selber auf den Ríp.

Das böhmische Land war in längst vergangenen Zeiten menschenleer. Überall erstreckten sich tiefe Wälder, in denen unzählige Tiere, Vögel und Fische lebten. Diese Gegend wurde nie von einem menschlichen Fuß betreten - bis zur Ankunft von Urvater Cech und seines Stammes. Sie kamen aus einer Region irgendwo entlang der Weichsel. Die Leute waren von der langen und mühseligen Reise ermüdet und erschöpft, und hielten daher unter dem hohen Berg Ríp Rast. Als sie den Gipfel bestiegen, sprach das Stammesoberhaupt zu seinen Gefährten: Dies sei das Gelobte Land, das im Überfluss an Tieren, Vögeln und süßem Honig schwimme. Dies sei das Land, das sie gesucht hätten und indem sie bleiben sollten. Nach anderen Quellen soll der Urvater Cech ein an Milch und Honig reiches Land vor sich erblickt haben. Als das Volk danach den Namen für seine neue Heimat suchte, waren sich alle darin einig, dass es nach dem Stammvater namens Cech benannt wird. Und so entstand Cechy, Cesko, Tschechien.

Diese Entstehungsgeschichte wurde im Jahre 1125 von Kosmas, dem Dekan des St.-Veitsdomkapitels, in dessen Chronik beschrieben. Seine Erzählung ist nur eine Legende, trotzdem findet man bis heute Enthusiasten, die nach einem Grab des Urvaters Cech suchen. Einer Theorie nach soll er angeblich im nahen Dorf Ctineves begraben worden sein.


Folgen auch wir nun den Schritten der ersten Tschechen und begeben wir uns auf den Berg Ríp. Obwohl Kosmas von einem hohen Berg erzählt, wollen wir einräumen, dass es sich eher um einen Hügel handelt. Den mächtigen Eindruck erweckt er, weil er aus einer ganz platten Landschaft emporragt. Die Höhe der Basaltkuppe erreicht nur 456 Meter und der Aufstieg auf den Gipfel ist relativ bequem. Wer die Anreise mit dem Zug wählt, muss in der nahen Stadt Roudnice aussteigen und danach dem rot markierten Wanderweg folgen. Wer mit dem Auto kommt, kann in Rovná, direkt am Fuße des Berges parken und einen breiten, obwohl ziemlich steilen Weg auf den Gipfel nutzen. Am Ziel wird uns nicht nur die charakteristische romanische Rotunde, sondern auch eine Gaststätte begrüßen. "Was dem Mohammed Mekka, das soll jedem Tschechen der Ríp sein" - können wir über dem Eingang in die Hütte lesen.


Etwa am Anfang des XI. Jahrhunderts wurde auf dem Ríp eine christliche Kirche aus Holz gegründet. 1126 ließ der böhmische Fürst Sobeslav I. eine Steinrotunde errichten, und zwar zum Andenken an den Sieg über den deutschen Kaiser Lothar bei Chlumec (Kulm). Eine romanische Rotunde mit einer Halbkreisapside und einem zylinderförmigen Turm stellt eine Vollendung der Bauentwicklung der böhmischen Rotunde dar. Das Gebäude wurde aus bearbeiteten Pläuerquadern gebaut. Es ist gewölbt und mit einer Steinbedachung bedeckt, die unmittelbar auf dem Gewölbe liegt. Die Rotunde wurde dem hl. Georg, dem Patron des Ackerbaus geweiht. Davon ist auch der deutsche Name des Hügels - Georgsberg - abzuleiten.

Seit 1143 gehörte der Berg mit der Rotunde dem Prämonstratenserkloster in Prag-Strahov. Nach den Hussitenkriegen besaßen ihn die Wladikas von Ctine, die für die Rotunde zwei Glocken gießen ließen. 1515 ging der Ríp wieder in Besitz des Klosters über, das ihn 1577 an Wilhelm von Rosenberg verkaufte. Nach dessen Tod erhielten es die Lobkowitz, die den Berg bis heute besitzen.

Die ältesten bekannten und belegten Bauänderungen wurden 1826, anlässlich des 700. Jahrestags der Schlacht bei Kulm, durchgeführt. Große Änderungen wurden 1869-81 vorgenommen, als die Steinbedachung weggenommen und durch Zementplatten ersetzt wurde. Im 20. Jahrhundert, 1966-74, wurde das gesamte Gemäuer renoviert. Die Fenster erhielten dabei ihre ursprüngliche Form und Platzierung.

Der Berg diente seit jeher als ein beliebter Wallfahrtsort. Von einer besonderen Bedeutung sind dabei die großen Volksversammlungen des Jahres 1848, als dort die Aufhebung der Fronpflicht gefeiert wurde. Eine große Feier fand dort auch 1862 statt. Zur ersten großen Volksversammlung kam man dort im Mai 1868 zusammen. Damals wurde aus dem Ríp einer der Grundsteine für den Bau des künftigen Nationaltheaters in Prag herausgehauen. Vor 20 000 Teilnehmern hielt der Schriftsteller Karel Sabina eine Rede, in der u.a. folgendes zu hören war:

"Jener Ríp, an dem der Urvater, unser Cech, angelangt war, auf dem sich die ersten tschechischen Kinder nach einer langen Wanderung in unsere gesegnete Heimat ausruhten, jener Ríp legt wieder einmal einen Teil seines Körpers zur Feier des ganzen Vaterlandes nieder. Und wie er einst Zeuge der Zeit war, die dem tschechischen Land ein neues Leben einhauchte, so wird er auch nun Zeuge eines neuen Lebens sein, das aus dem darauf ruhenden Bau aufblühen wird!"

Der Stein aus dem Ríp wurde mit der folgenden Inschrift versehen:

"Er nahm sein Leben aus dem Schwarzen des Rip,

er ist am Weißen Berg verschieden,

er ist in der Mutter Prag auferstanden."

Die Volksversammlungen auf dem Ríp fanden auch in späteren Zeiten noch statt: Im Jahre 1914 wurde dort gegen den Krieg demonstriert, 1939 dann gegen die Nazi-Okkupation. Der Berg wurde zum Symbol der Altertümlichkeit des tschechischen Staates und der tschechischen Kultur. Deshalb erscheint er häufig auch in den Werken tschechischer Dichter. Einer der berühmtesten Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, Jan Neruda, z.B. sprach von zwei Orten, zu denen er in Gedanken immer zurückkehrt, wenn ihm im Ausland das Herz vor Heimweh zu zerreißen droht: Es seien das Grab seiner Mutter und der Berg Ríp. Der Hügel wird aber auch bei anderen Poeten besungen - Jaroslav Vrchlicky, Julius Zeyer, Jaroslav Seifert, Karel Toman oder bei Josef Hora, der im Dorf Dobrin am Fuße des Ríp geboren wurde.

Man kann sich über diese außerordentliche Anziehungskraft, die der Berg für Dichter und bildende Künstler besaß, kaum wundern. Es handelt sich nämlich um einen Magnetberg, der wohl bereits den Urvater Cech angezogen hatte. Das Gestein, aus dem der Ríp besteht, beinhaltet nämlich Magnetit in einer solchen Menge, dass er Ausschläge der Kompassnadel verursacht. Über dem Berg dürfen sogar keine Flugzeuge fliegen, damit deren Apparate nicht beschädigt werden.


Im Jahre 1963 wurde der Ríp zum Nationaldenkmal erklärt. In der Rotunde befindet sich eine Gedenkstätte des tschechischen Staates. Eine Skulptur stellt den hl. Georg und eine andere Plastik in der Apside die Verwandlung der wandernden Slawen in ein ansässiges Landwirtschaftsvolk dar.

Haben wir den Gipfel und die Rotunde besichtigt, können wir noch drei Aussichtspunkte besuchen, die einen hervorragenden Blick auf ein Drittel Böhmens, besonders auf die bizarren Gipfel des Böhmischen Mittelgebirges und bei schönem Wetter sogar auf das Riesengebirge bieten. Man sollte dabei nicht vergessen, dass unter ihm ein schönes und fruchtbares Land, das voll von Tieren, Milch und Honig sei, das Gelobte Land der Tschechen, liegt.