Auf Spuren von Graf Chotek und seiner Enkelin Sophie in Velké Březno

Foto: Martina Schneibergová

Vor einigen Wochen sind 100 Jahre seit dem Attentat in Sarajevo vergangen, das zum Auslöser des Ersten Weltkriegs wurde. Opfer des Anschlags waren der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie Chotek. In vergangenen Ausgaben der Sendereihe „Reiseland Tschechien“ haben wir Ihnen bereits einige Orte und Sehenswürdigkeiten vorgestellt, die mit dem Thronfolgerpaar verbunden sind: beispielsweise die Schlösser Konopiště und Chlum u Třeboně / Chlumetz. Etwa acht Kilometer von Ústí nad Labem / Aussig entfernt steht eine weitere dieser früheren Adelsresidenzen. Das Schloss Velké Březno / Großpriesen ließ Karel Graf Chotek erbauen. Seine Enkelin Sophie, die später Erzherzog Franz Ferdinand heiratete, wuchs dort auf.

Das ältere Schloss von Velké Březno  (Foto: Martina Schneibergová)
Wenn man in Ústí nad Labem über eine der Elbebrücken fährt und die Fahrt Richtung Děčín / Tetschen fortsetzt, erreicht man nach etwa acht Kilometern die Gemeinde Velké Březno. Links von der Hauptstraße ist die etwa 250 Jahre alte Brauerei zu sehen, in der das Bier namens „Březňák“ produziert wird. Unweit der Brauerei steht das ältere Schloss von Velké Březno. In dem rund 300 Jahre alten Gebäude ist heutzutage ein Seniorenheim untergebracht. Das andere Schloss befindet sich rechts von der Hauptstraße und sieht sehr romantisch aus. Im Vergleich zu vielen weiteren Schlössern in Tschechien ist Velké Březno eher ein Schloss-Neubau. Errichtet wurde es in den Jahren 1842 bis 1845 für den Oberstburggrafen des Königreichs Böhmen, Karl Graf von Chotek. Als er in den Ruhestand ging, entschied er sich in Velké Březno zu leben. Das alte Schloss, das näher an der Elbe steht, entsprach nicht mehr Choteks Vorstellungen von einem modernen Leben. Darum ließ er einen neuen Sitz erbauen. Im Eingang zur Residenz hängt ein Bild, das das Gebäude kurz nach dem Ende der Bauarbeiten zeigt. David Geleta ist stellvertretender Kastellan von Velké Březno und führt die Touristen durch den ehemaligen Adelssitz.

Schloss Velké Březno  (Foto: Martina Schneibergová)
„Ursprünglich sah das Schloss eher aus wie ein kleiner Bahnhof, der im späten Empire-Stil erbaut wurde. Interessant ist die Tatsache, dass der Architekt mit seinem Eigentum garantieren musste, dass die Bauarbeiten auf hohem Niveau ausgeführt und rechtzeitig beendet würden.“

Das ganze Treppenhaus ist mit Lithographien geschmückt, die wichtige Momente aus dem Leben des österreichischen Kaisers Franz I. und von Graf Chotek zeigen. David Geleta:

„Der Höhepunkt von Karl Choteks Karriere waren die Vorbereitungen für die Krönung von Kaiser Ferdinand, dem Gütigen, zum böhmischen König. Für den Krönungstag wurde damals auf dem Altstädter Ring ein Tor aus Gips und Holz erbaut, das auf den Bildern zu sehen ist. Karl Chotek konnte schließlich an der Krönung nicht teilnehmen, denn zu der Zeit starb sein Bruder, der Bischof Ferdinand von Olmütz.“

Porträt von Karl Chotek
Eine Treppe führt hinauf in die erste Etage. Dort befindet sich einer der größten und repräsentativsten Säle des Schlosses, der sogenannte Tanzsaal. Er ist im Stil des französischen Königs Louis (Säß) XVI. gestaltet – alles in weißer, roter und goldener Farbe. An der Wand hängt ein Porträt von Karl Chotek.

„Der Stifter des Schlosses trägt auf dem Gemälde den Orden des Goldenen Vlieses. Hinter ihm ist eine große Vase aus Silber zu sehen. Die Vase hat der Graf von den Prager Bürgern für seine Verdienste um die Entwicklung der Stadt erhalten. Er ließ unter anderem eine Kettenbrücke über die Moldau bauen und die Prager Straßen und Gehsteige neu pflastern. Das Geschenk bekam der Graf, als er in den Ruhestand ging.“

David Geleta  (Foto: Archiv von Regionální televize)
Nach dem Krieg wurden die Originalmöbel aus dem Schloss entweder in andere Schlösser gebracht oder verkauft und im schlimmeren Fall sogar gestohlen. Das Gebäude wurde nach dem Krieg zu verschiedenen Zwecken genutzt. Zuerst war dort ein Kinderheim untergebracht, später eine politische Schule der kommunistischen Partei. Schließlich wurde das Schloss in ein Armeelager verwandelt.

Nach der politischen Wende gelang es, einen Teil der ursprünglichen Möbel zu identifiziere und sie ins Schloss zurückzubringen. Im Tanzsaal stehen aber nur noch zwei kleine Originaltischlein. David Geleta führt weiter in den Musiksalon:

„Karel Chotek spielte gern Klavier und seine Schwester Geige. Zu Choteks Freunden gehörte beispielsweise der ungarische Komponist und Pianist Franz Liszt. Zweimal besuchte der Musiker auch das Schloss. Und 1840 vermachte Liszt dem Schlossbesitzer die Komposition mit dem Titel ´Hussitisches Lied´.“

Im Musiksalon hängen Porträts von Choteks Söhnen Antonín, Emanuel und Bohuslav. Der jüngste Sohn Bohuslav heiratete Wilhelmine Kinsky. Ihr Verwandter Octavian gründete das heute bereits traditionelle Steeplechase-Pferderennen in Pardubice.



Bohuslav Chotek  (Foto: Martina Schneibergová)
„Da dieses Schloss für zwei Familien zu klein war, lebte Bohuslav mit seiner Familie im alten Schloss näher an der Elbe. Eine seiner Töchter war Sophie Chotek, die später den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand heiratete. Sophie wurde in Stuttgart geboren, wuchs aber in Velké Březno auf. Im Musiksalon des neuen Schlosses steht ein Foto der jungen Sophie. Antonín Chotek lebte zusammen mit seiner Frau Olga, geborene von Moltke, im neuen Schloss. Olga war mit dem preußischen General Helmuth Moltke verwandt, der 1866 in der Schlacht bei Königgrätz die Armeen Österreichs und Sachsens schlug. Antonín und Olga Chotek waren passionierte Porzellan-Sammler. Einige Stücke Porzellan aus Meißen und Berlin sind im Musiksalon zu sehen.“

Die Bibliothek ist einer der wenigen Schlossräume, die in den Jahren 1885 bis 1910 im Stil der Neorenaissance umgestaltet wurden. Die Vitragen in den Fenstern verhindern, dass Licht von draußen direkt auf die Bücher fällt. In den Regalen stehen rund 4000 Bücher. Es ist ungefähr die Hälfte der Bände aus Choteks ursprünglicher Bibliothek. Die Mehrheit sind deutsche Bücher, es gibt dort aber auch Bücher in Latein, Französisch, Griechisch und Englisch. Nur elf Bücher sind tschechisch geschrieben.

Foto: Martina Schneibergová
Aus der Bibliothek geht es weiter ins Arbeitszimmer von Karl Chotek.

„In Karl Choteks Arbeitszimmer gibt es mehrere Exponate, die die Karriere des Grafen betreffen. Karl war fünfter Sohn von Jan Rudolf Chotek, der das Schloss Kačina erbauen ließ und dem das Herrengut Veltrusy gehörte. Als fünfter Sohn hatte Karl keinen Anspruch auf das Gut. Als er später als hoher Beamter im Königreich Böhmen die Grundsteuer einführte, warf ihm der Adel vor, dass er selbst kein Grundstück besitze. Darum kaufte er Velké Březno. Seine Karriere startete er in Venedig und Neapel. Danach war er Gouverneur von Triest, wo er den Hafen und einen Leuchtturm bauen ließ: Der Name Chotek ist dort bis heute bekannt. Als Vizegouverneur in Tirol ließ er die Universität in Innsbruck wieder gründen, die zuvor in ein Lyzeum verwandelt worden war. An der Uni wird bis heute der Karl-Chotek-Preis für herausragende Forschungsergebnisse verliehen.“

In Böhmen organisierte Graf Chotek wirtschaftlich orientierte Ausstellungen. Er war zudem der viertgrößte Spender beim Bau des Prager Nationaltheaters. Der Historiker und Politiker František Palacký war bei den Choteks als Erzieher ihrer Söhne beschäftigt. Zweifelsohne hatte Graf Chotek Einfluss auf die nationale Wiedergeburt in Böhmen. In den Lehrbüchern werde er jedoch nicht erwähnt, er sei fast in Vergessenheit geraten, sagt David Geleta:

„Das Schloss wurde vom Grafen vor dem Umbau als Sommersitz genutzt. Karl Chotek hatte ansonsten Wohnungen in Prag sowie in Wien, wo er 1868 starb.“

Die Führung durch das Schloss werden wir in einer der nächsten Ausgaben von „Reiseland Tschechien“ fortsetzen. Das Schloss ist von Mai bis September täglich außer montags geöffnet, und zwar von 10 bis 18 Uhr. Im April und Oktober ist es nur an Wochenenden zugänglich.