Wahlen-Extra: Minderheitenpolitik

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Anlässlich der bevorstehenden Wahlen zum tschechischen Abgeordnetenhaus starten wir eine Miniserie mit Beiträgen über ausgewählte politische Themenbereiche. Den Anfang macht heute Olaf Barth mit einem Bericht zur Minderheitenpolitik.

"Minderheiten und Immigranten in der Tschechischen Republik", so heißt ein Anfang des Jahres in Tschechien erschienenes Buch. Dessen Herausgeberin, die Soziologin und Historikerin Tatjana Siskova, engagiert sich seit Jahren in Organisationen, die sich der Minderheitenproblematik verschreiben, so u.a. im Tschechischen Zentrum für Konfliktprävention und -lösung. Sie beschreibt, dass die tschechische Gesellschaft vor allem den ethnischen Minderheiten gegenüber nicht besonders positiv eingestellt sei. Einen Grund sieht sie darin, dass man zu lange in einer geschlossenen Gesellschaft gelebt habe. Die Mehrheitsgesellschaft habe ihre Normen und wer in diese nicht passe, werde leider oft als unnormal angesehen.

Wie setzen sich denn die politischen Repräsentanten mit dieser Problematik auseinander, was hat sich da in den vergangenen Jahren getan, wollte ich von Frau Siskova wissen?

"Nach 1989 entstand eine neue gesellschaftliche Situation, doch die Politiker reagieren insgesamt viel zu langsam. Dennoch wurden schon ein paar wichtige Gesetze realisiert: Demnach ist Diskriminierung strafbar und es gibt Gesetze zur Verfolgung rassistisch motivierter Delikte.

Die Minderheitenthematik wird von den Politikern zwar nicht mehr marginalisiert, aber immer noch nicht ernst genug genommen.

Und jetzt im Wahlkampf propagieren die extremeren rechten Parteien natürlich ihre banalen Lösungen, aber ansonsten hört man nicht viel."

Eine bedeutende ethnische Minderheit in Tschechien sind die Roma. Markus Pape vom Europäischen Zentrum für Romarechte stellt der derzeitigen Regierung ein diesbezüglich durchaus positives Zeugnis aus:

"Was die Roma betrifft denke ich, dass es in den letzten 4 Jahren zu einer Umorientierung gekommen ist, dass die Regierung versucht durch Gesetzesnovellen oder auch durch die Unterstützung bestimmter Projekte den Roma zu helfen, dass sie aber auf den Widerstand von Institutionen und Einzelpersonen stößt, da eben das öffentliche Klima immer noch anti-Roma geprägt ist."

Es habe schon verschiedene Bemühungen gegeben, auch andere nationale Minderheiten, wie Deutsche, Ungarn und Slowaken zu unterstützen. Das darauf abzielende, bereits verabschiedete Minderheitengesetz bezeichnen allerdings sowohl Herr Pape als auch Frau Siskova als eher formelle Angelegenheit - wichtige Punkte wie eigene Selbstverwaltungsorgane seien letztlich nicht berücksichtigt worden, kritisiert Pape.

Die Expertin für Minderheitenpolitik, Tatjana Siskova, hat in ihrer Stellungnahme betont, dass sich die Parteien im allgemeinen dieser Problematik viel zu wenig widmen. Sieht Markus Pape bei den Parteien irgendwelche brauchbaren Konzepte?

"Also ich kenne keine Partei, die ein spezielles Programm für Minderheitenpolitik propagiert. Die Minderheitenproblematik ist nicht zum Thema des Wahlkampfes geworden, nur die ODS hat versucht, Ausländer und Einwanderer als Verursacher von gesellschaftlichen Problemen zu markieren und dadurch Wählerstimmen zu gewinnen. Dazu muss man sagen, dass das schädlich ist für die allgemeine Atmosphäre in der Gesellschaft. Ansonsten denken wahrscheinlich die Parteien, falls sie das Wort Roma in den Mund nehmen, könnten sie Wählerstimmen verlieren."

Auch Frau Siskova hatte die gegen Zuwanderer und vor allem Vietnamesen gerichtete Wahlpropaganda der Bürgerdemokraten "ODS" gegenüber Radio Prag kürzlich als reinen Populismus bezeichnet.

Abschließend nannte sie noch einige Punkte, die ihrer Meinung nach in einem effektiven minderheitspolitischen Konzept enthalten sein sollten:

"Ich denke, man sollte die Minderheitengesetze grundsätzlich in Zusammenarbeit mit den betroffenen Gruppen gestalten. Sonst bleibt es ein Programm der Mehrheit für die Minderheit. Wissen sie, Nationalisten gibt es in jedem Land, man muss sich Ihnen aber entgegenstellen und da wünsche ich mir von unseren Politikern noch mehr Initiative. Eine Möglichkeit sind Projekte und Schulungsprogramme für Polizisten, Beamte und andere öffentliche Angestellte. Man muss Ihnen erklären, wie sie sich verhalten sollen, damit es nicht zu Diskriminierungen kommt und auch, warum das notwendig ist. Außerdem muss man noch mehr auf die Umsetzung der bereits bestehenden Gesetze achten."

Autor: Olaf Barth
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