Straßburg interveniert wegen Bedingungen in tschechischem Auffanglager

Foto: ČT24

Das Auffanglager Bělá-Jezová für Flüchtlinge hat einen äußerst schlechten Ruf. Tschechische und mittlerweile auch internationale Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen bezeichnen die Unterbringung dort als inhuman. Nun hat der Europäische Menschengerichtshof eine vorläufige Verfügung erlassen. Sie betrifft eine afghanische Familie mit einem kranken Kind. Hilfsorganisationen sprechen von einem wegweisenden Entscheid. Innenminister Chovanec hält dies hingegen offensichtlich weiter für einen Einzelfall.

Auffanglager Bělá-Jezová  (Foto: ČT24)
Stacheldraht und Gitter, nächtliches Strammstehen, keine Möglichkeit zur Kontaktaufnahme nach außen – und dann wird den Flüchtlingen noch Geld abgeknöpft für diese Unterbringung unter gefängnisähnlichen Bedingungen. So die Kritik am Auffanglager Bělá-Jezová in Mittelböhmen. Am Dienstag erging eine einstweilige Verfügung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Tschechien müsse bis Mittwoch eine neue Unterkunft für eine afghanische Familie finden, die derzeit in dem Lager in Abschiebehaft sei, hieß es. Mit der Verfügung reagierte Straßburg auf einen Antrag der tschechischen Organisation für Flüchtlingshilfe (OPU). Martin Rozumek leitet die Organisation:

Martin Rozumek  (Foto: ČT24)
„Wir glauben, dass Bělá-Jezová insgesamt ungeeignet ist für Familien mit Kindern. Das hat auch die tschechische Ombudsfrau bereits dreimal gesagt sowie der UNO-Menschenrechtskommissar, außerdem gibt es dazu ein Urteil des Obersten Verwaltungsgerichtshofs. Wir sind überzeugt, dass Kinder nicht interniert werden sollten. Der afghanischen Familie haben wir besonders geholfen, weil einer ihrer Söhne schwere gesundheitliche Probleme hat: Er leidet unter epileptischen Anfällen, und die haben sich im Lager verschlimmert.“

Kinder in Bělá-Jezová  (Foto: Archiv des tschechischen  Innenministeriums)
Die Familie war aus der Provinz Kunduz geflohen, dort regieren mittlerweile die Taliban. Sie wollte nach Deutschland, wurde aber von der tschechischen Polizei aufgegriffen. Ab 1. September war sie im Lager Bělá-Jezová untergebracht und bat die Behörden um eine Freilassung – aber ohne Erfolg. Deswegen reichte die Organisation für Flüchtlingshilfe den Fall bis nach Straßburg weiter. Am Dienstag entschied die tschechische Fremdenpolizei aber, dass die Familie abgeschoben werden soll – damit kam der Staat dem Menschengerichtshof zuvor. Innenminister Milan Chovanec (Sozialdemokraten):

Milan Chovanec  (Foto: ČT24)
„Die Familie erhält eine Frist, um die Tschechische Republik zu verlassen. Der Fall dieser konkreten Familie wird also nicht beim Gericht in Straßburg verhandelt.“

Bei der Organisation für Flüchtlingshilfe ist man sich jedoch sicher, dass die Familie nicht wirklich abgeschoben wird. Vielmehr werde sie wohl über den Prager Hauptbahnhof nach Deutschland weiterreisen können. Denn 47 Mal haben die tschechischen Behörden in diesem Jahr bereits die Abschiebung von Menschen aus Afghanistan angeordnet – nicht eine einzige wurde vollzogen.

Auffanglager Bělá-Jezová  (Foto: ČT24)
Mit seiner einstweiligen Verfügung hat der Menschengerichtshof auch gesagt, die Unterbringung in Bělá-Jezová sei erniedrigend und menschenunwürdig. Deswegen hat Straßburg alle Unterlagen zu dem Lager angefordert. Milan Chovanec im Tschechischen Fernsehen:

„Wir glauben, dass die Bedingungen dort auch weiterhin nicht gegen die Menschenrechte verstoßen. Wir werden die gesamte Dokumentation nach Straßburg schicken, inklusive dem Speiseplan.“

Tereza Bártová  (Foto: Archiv der Fachoberschule für EU-Verwaltung in Prag)
Innenminister Chovanec verteidigt also weiterhin die Verhältnisse in Bělá-Jezová. Dennoch halten Flüchtlingshelfer die einstweilige Verfügung für wichtig.

„Wir hoffen, dass dieser Fall ein starkes Signal sein wird für die tschechischen Behörden, um Familien mit Kindern nicht mehr in Bělá-Jezová unterzubringen“, so Tereza Bártová, Anwältin bei der Organisation für Flüchtlingshilfe.