Rolle des tschechoslowakischen Hörfunks im Protektorat wird neu beleuchtet

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks

Welche politische Rolle spielte der Hörfunk während der deutschen Besatzung von 1938 bis 1945 in der Tschechoslowakei? Darum geht es bei einer dreitägigen internationalen Konferenz in Prag. Ab Donnerstagabend stellen dabei Wissenschaftler ihre neusten Forschungsergebnisse vor und diskutieren anschließend mit Gästen im Prager Goethe-Institut. Veranstalter ist der Adalbert-Stifter-Verein aus München.

Gebäude des Tschechoslowakischen Rundfunks  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Die wissenschaftliche Konferenz ist eine Fortführung bereits vorausgegangener Tagungen und Forschungsprojekte über die Kulturgeschichte im Protektorat Böhmen und Mähren. Dieses Jahr steht die Geschichte des Hörfunks im Mittelpunkt, Anlass ist der 90. Jahrestag der ersten tschechischen Rundfunksendung im Mai 1923. Peter Becher ist Vorsitzender des Adalbert-Stifter-Vereins:

„Das ist eine ganz spannende Geschichte: Der Hörfunk war damals ein ganz neues Medium, das von allen Seiten intensiv genutzt wurde. Wir wollen in der Konferenz mit Referenten verschiedener Provenienz näher untersuchen, wie dies stattgefunden hat.“

Die Wirkung des Radios wurde von keiner politischen Gruppierung schneller erfasst und konsequenter genutzt als von den Nationalsozialisten in Deutschland. Daher wird schwerpunktmäßig die Bedeutung des deutschsprachigen Programms in der Zeit von 1938 bis 1945 behandelt. Aber auch die Radiosendungen vor dem Krieg werden beleuchtet. Zum Beispiel sind die deutschsprachigen Sendungen des Tschechoslowakischen Rundfunks und deren Auswirkungen im Deutschen Reich noch nicht untersucht. Anna Knechtel organisiert die Konferenz für den Verein:

Miroslav Krupička  (Foto: Kristýna Maková)
„Da hoffen wir sehr auf das Referat von Miroslav Krupička, dem Leiter von Radio Prag. Er wird etwas über die Anfänge der Auslandssendungen des Tschechoslowakischen Rundfunks berichten. Es gab zum Beispiel kleine Geheimsender, die von der Tschechoslowakei ins Deutsche Reich gesendet haben. Das war nur ein geringfügiger Anteil, jedoch hoffen wir auf der Tagung neue Erkenntnisse darüber zu erfahren.“

Die Französin Muriel Favre hat beispielsweise für ihre Arbeit über Tonaufnahmen des NS-Hörfunks im Frankfurter Rundfunkarchiv bisher wenig beachtetes Tonmaterial entdeckt und als wertvolle zeitgeschichtliche Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Peter Becher:

„Es wurden viele alte Dokumente ausgegraben, die hier auf der Konferenz auch vorgespielt werden. Eine Rarität ist zum Beispiel die deutsche Ansprache von Präsident Beneš an sudetendeutsche Kinder, wovon wenige Leute nur etwas wissen. Außerdem werden Rundfunksendungen aus dem Protektorat über die Heydrichade, die Verfolgung von Leuten, Hinrichtungen, oder die Vernichtung des Ortes Lidice vorgespielt. Man bekommt ein Bild davon, wie es damals im Rundfunk dargeboten wurde.“

Peter Becher  (Foto: Archiv des Prager Literaturhauses)
Die Erforschung dieses Tonträgermaterials steht noch ganz am Anfang. Man plane aber die Veröffentlichung eines Sammelbandes mit den Ergebnissen innerhalb der nächsten zwei Jahre, so Becher.