Politologe Pehe: Regierungskrise wurde künstlich hervorgerufen

Vaclav Havel (v.r.n.l.), Vladimir Spidla, Cyril Svoboda und Ivan Pilip (Foto: CTK)

Auch eine zweistündige Unterredung der Vorsitzenden der drei die tschechische Regierungskoalition bildenden Parteien am Montag mit Staatspräsident Václav Havel hat noch keinen Ausweg aus der seit vergangenen Freitag bestehenden Regierungskrise gebracht. Die Verhandlungen zur Lösung des Konflikts über eine gescheiterte Steuererhöhung müssten in den nächsten Tagen weitergehen, sagte Havel daher nach dem Treffen am Montagabend. Welche Konsequenzen die möglichen Entscheidungen zur Behebung der Krise haben könnten, damit befasst sich im folgenden Lothar Martin.

Vaclav Havel  (v.r.n.l.),  Vladimir Spidla,  Cyril Svoboda und Ivan Pilip  (Foto: CTK)
Die zentrale Frage in dem unter den Koalitionsparteien entfachten Streit ist das mögliche Ausscheiden der liberalen Freiheitsunion-Demokratische Union (US-DEU) aus der erst seit zwei Monaten amtierenden Regierung. Ihre Abgeordnete Hana Marvanová hatte am Freitag den Konflikt ausgelöst, als ihre Gegenstimme überraschend im Parlament eine Steuererhöhung zur Finanzierung der Flutschäden zum Scheitern gebracht hatte. Zur Haltung von Hana Marvanová erklärte der Politologe Jirí Pehe Radio Prag gegenüber: "Hana Marvanová hat sich selbstverständlich auf der einen Seite prinzipiell verhalten, d.h. sie blieb ihrer Meinung und ihrer Überzeugung treu. Das ist sicher in Ordnung, auch im Sinne der tschechischen Verfassung, nach der jeder Abgeordnete nur seinem eigenen Gewissen gegenüber verantwortlich ist. Auf der anderen Seite hätte Hana Marvanová wissen müssen, dass sie nicht nur Abgeordnete der Freiheitsunion, sondern auch Mitglied der offiziellen Regierungskoalition ist. Einer Koalition, zu deren Bildung sie selbst beigetragen hat, und das nicht nur als Mitglied. Zum Zeitpunkt der Parlamentsabstimmung war sie auch eine ranghohe Vertreterin der Koalition, denn dieselbe Koalition hatte sie zuvor mit ihrer Wahl in die Funktion der stellvertretenden Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses gehievt. Also ich denke, Hana Marvanová konnte ihr Nichteinverständnis zu dem vorgelegten Steuergesetzentwurf auch damit ausdrücken, dass sie sich ihrer Stimme enthält. Sie hat sich aber als ein aktives Mitglied der Opposition verhalten und das erscheint mir aus der Sicht von jemandem, der die Regierungskoalition bilden half und deren hoher Repräsentant er ist, ein wenig unloyal zu sein."

Vaclav Havel  (rechts),  Vladimir Spidla,  Cyril Svoboda und Ivan Pilip  (Foto: CTK)
Verständlich die Enttäuschung bei den Koalitionspartnern und bei Premier Vladimír Spidla selbst. Dennoch, so glaubt Politologe Pehe, sei dessen Reaktion danach etwas überzogen gewesen, und er nennt mögliche Gründe dafür: "Ich denke vor allem, dass die Regierungskrise völlig überflüssig war und dass sie in beträchtlichem Maße künstlich hervorgerufen wurde. Und zwar deshalb, weil Premier Spidla und ein Teil der Sozialdemokraten unnötig heftig reagiert haben auf eine nicht erfolgreiche Abstimmung im Parlament. Möglich ist, dass diese Reaktion von vornherein gut vorbereitet war, weil ein Teil der Sozialdemokraten die Freiheitsunion los werden und lieber mit Unterstützung der Kommunisten regieren will, oder aber zu einem vertraglich geregelten Oppositionsbündnis zurückkehren will. Nichtsdestotrotz, so oder so erscheint es mir, dass die Regierungskrise künstlich geschaffen wurde und sie nicht völlig logisch von dieser einen Abstimmung abgeleitet werden kann."

Ivan Pilip  (links) und Petr Mares  (Foto: CTK)
Pehe erklärte Radio Prag gegenüber, dass ein Weiterregieren von Sozial- und Christdemokraten ohne die Freiheitsunion unter Tolerierung der Kommunisten das politische Ende von Premier Vladimír Spidla bedeuten würde. Da die Kommunisten auf kurz oder lang die Sozialdemokraten erpressen würden und danach alles auf eine Wiederholung des Tolerierungsabkommens mit der Demokratischen Bürgerpartei (ODS) hinauslaufen dürfte. Die Reaktion Spidlas, der die drei Minister der Liberalen am Montag zum Rücktritt aufgefordert hatte, sei daher auch ein Schnellschuss gewesen hieß es. Entgegen zunächst anderslautender Meldungen waren die drei Minister dieser Aufforderung am Montag nicht nachgekommen. US-DEU-Interimschef Ivan Pilip hatte dazu geäußert, dass man das Kabinett nur für den Fall verlassen werde, wenn die Sozialdemokratie mit ihrer Forderung das Auflösen des Koalitionsvertrages verbinde. Die Christdemokraten wiederum setzen sich weiter für ein Fortbestand der Koalition ein, um eine Minderheitsregierung unter möglicher Tolerierung durch die Kommunisten zu verhindern. In diesem Zusammenhang rügte Christdemokratenchef Cyril Svoboda die Nichtanwesenheit von Ex-Außenminister Jan Kavan bei der Abstimmung, weil dieser zur gleichen Zeit als neuer Vorsitzender der UN-Vollversammlung eine Sitzung in New York leitete. Regierungschef Spidla hatte im Vorfeld der Abstimmung nicht dafür gesorgt, dass Sozialdemokrat Kavan sein Mandat als Abgeordneter niederlegt, um sich voll und ganz auf seine Funktion bei der UNO konzentrieren zu können. Sicher war das mit ein Grund, warum sich erstmals auch Ex-Premier Milos Zeman zu Wort gemeldet hat. Seine Botschaft: "Regieren will gelernt sein!" Und Spidla steht derzeit mitten im Lernprozess. Ob er ihn meistern wird?