Pflichterfüllung oder Hochverrat? Die tschechischen Soldaten Österreich-Ungarns

„Pflichterfüllung oder Hochverrat? Die tschechischen Soldaten Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg“. So heißt ein Buch des jungen österreichischen Historikers Richard Lein, das vergangene Woche in Prag präsentiert wurde. Schon der Titel deutet an, dass hier ein Mythos infrage gestellt wird. Der Mythos nämlich, dass die Tschechen nicht für die Habsburgermonarchie kämpfen wollten und bei erster Gelegenheit Fahnenflucht begingen.

Tschechoslowakische Legionen
Nationale Mythen überleben meist nur innerhalb einer Nation. Anders der Mythos um die angebliche Pflichtvergessenheit der tschechischen Soldaten, die im Ersten Weltkrieg auf Seiten der Habsburgermonarchie gekämpft haben: Die Deutschnationalen haben ihn genährt, um politische Konzessionen an die Tschechen zu verhindern, später eigneten sich die Tschechen gut als Sündenböcke, die Schuld sind am verlorenen Krieg. Auf tschechischer Seite wiederum half die Vorstellung von den österreichfeindlichen Tschechen dabei, den Ententemächten die Gründung eines eigenen tschechoslowakischen Staates schmackhaft zu machen. Eine ideale Ergänzung zu den tschechischen Legionen, die offiziell gegen die Habsburgermonarchie kämpften.

Richard Lein
„Durch diesen interessanten Gleichklang, also dadurch, dass Deutschnationale und Tschechen in einer politisch-militärischen Angelegenheit zum gleichen Schluss kommen, entstand natürlich auch für den unvoreingenommenen Beobachter der Eindruck: Wenn diese beiden Gegenpole einmal in einer Sache dasselbe sagen, dann muss das wahr sein“, so der Historiker Richard Lein.

In penibler Quellenarbeit hat Lein vor allem zwei Kriegsereignisse rekonstruiert: Die angebliche Desertion des 28. Infanterieregiments in der Schlacht von Stebnícka Huta am 3. April 1915 und die des 35. und 75. Infanterieregiments in der Schlacht von Zborov am 2. Juli 1917.

Schlacht von Zborov
Bleiben wir beim Beispiel Zborov: Hier kämpften tschechische Legionäre auch auf russischer Seite. Später wurde oft behauptet, die Tschechen auf der österreichischen Seite hätten sich mit diesen bereits Tage vor der Schlacht auf eine gemeinsame Strategie verständigt. Andere Historiker gingen nicht ganz so weit, meinten aber immerhin, die Tschechen, die auf Seiten der Habsburgermonarchie kämpften, hätten sich ergeben, als sie bemerkten, dass sie ihren Landsleuten gegenüberstehen. Die Quellen aber sprechen eine andere Sprache. Im Zuge eines Majestätsgesuchs an Kaiser Karl zur Wiederherstellung der Ehre der Truppe wurden umfassende Untersuchungen angestellt. Die Protokolle sind bis heute erhalten. Richard Lein:

„Wenn man diese Protokolle liest, die ja unter Eid geleistet werden, wo also die Soldaten und Offiziere wussten, was passiert, wenn sie nicht die Wahrheit sagen, dann geht daraus doch ein ganz anderes Bild hervor. Die Soldaten sind im Zuge der Vernehmungen sehr konkret befragt worden. Auch danach, ob sie eine tschechische Brigade wahrgenommen haben. Die Antwort war durchwegs: Nein, die haben alle russisch gesprochen und russische Uniformen getragen. Eine tschechische Brigade ist uns nicht aufgefallen.“

Zborov-Straße  (Zborovská). Foto: Trolejbusy v Praze
Die Kampfmoral der Tschechen in der österreichisch-ungarischen Armee wurde durch die Anwesenheit von Tschechen auf der Gegenseite also wohl kaum beeinflusst. Puzzlesteine wie dieser haben für Richard Lein schließlich den Schluss nahe gelegt, dass die Niederlagen Österreich-Ungarns in den genannten Schlachten keineswegs von den Tschechen verschuldet worden waren. Eine Straße des 28. Regiments (28. pluku) und eine Zborov-Straße (Zborovská) wird es in Prag aber wohl trotzdem weiterhin geben. Und auch bei vielen Österreichern wird das Bild von den untreuen Tschechen trotz der neuen Erkenntnisse nicht so schnell verblassen.


Pflichterfüllung oder Hochverrat?
„Pflichterfüllung oder Hochverrat? Die tschechischen Soldaten Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg“. Das Buch von Richard Lein ist im LIT Verlag erschienen, hat 448 Seiten und kostet 49.90 Euro.