Lidice: Mit dem Smartphone Geschichte erleben

Lidice

Mit modernen Medien Geschichte lebendig zu machen: Das haben sich die Macher des Projektes Rozeznění – Lidice 2012 vorgenommen. Mithilfe eines Audiodramas wollen sie an das Dorf Lidice erinnern, das durch ein Massaker der Nationalsozialisten 1942 komplett vernichtet wurde. Ein Audiodrama, bei dem der Zuhörer selbst Regie führt.

Lidice hat einen besonderen Platz in der deutsch-tschechischen Geschichte. Das kleine Dorf zwischen Prag und Kladno steht stellvertretend für die Grausamkeiten, die den Tschechen unter den Nationalsozialisten widerfahren sind. Nur wenige Einwohner überlebten das Massaker vom 9. und 10. Juni 1942, das im Zuge der Vergeltungsmaßnahmen für das Attentat auf Reinhard Heydrich stattfand. Das Dorf selbst wurde in Brand gesteckt und somit komplett zerstört. An den Ort des Massakers soll nun in neuer Form erinnert werden, das ist das erklärte Ziel des Projekts Rozeznění – Lidice 2012. Geschehen soll das mithilfe eines Audiodramas, das jedoch nicht mit einem einfachen Hörbuch zu verwechseln ist. Dazu Tereza Semotamová, die Autorin:



Tereza Semotamová  (Foto: Karolína Opatřilová,  Blanenský deník)
„Es ist kein Hörspiel, denn ein Hörspiel ist etwas, was man im Rundfunk hört. Es hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Unser Audiodrama über das Dorf Lidice hat keinen Aufbau eines klassischen Dramas. Stattdessen gibt es einzelne kleine Szenen zu mehreren Orten im Dorf, die zum Beispiel das Geschehen in einer Kneipe, einer Schule oder einer Kirche darstellen.“

Tereza Semotamová, Doktorandin an der Janáček-Akademie für Musik und darstellende Kunst in Brno / Brünn, ist die Verfasserin des Audiodramas. Als Inspirationsquelle dienten ihr die Erinnerungen weniger überlebender Frauen, ein Großteil des Stücks ist jedoch ihre eigene Interpretation. Bei dem Drama stehen aber nicht die grausamen Ereignisse, sondern das Alltagsleben der Dorfbewohner vor dem Massaker im Mittelpunkt. Um die Hörer so nah wie möglich an das Geschehen heranzubringen, hat Semotamová komplett auf die Nutzung von Zahlen und Statistiken verzichtet.

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„Was ich ganz toll finde, ist die Möglichkeit, die Geschichte des 20. Jahrhunderts aufgrund von konkreten Schicksalen darzustellen. Ich glaube, dass das mehr aussagt als die Fragen nach dem ‚Wann’ und der Opferzahl. Ich glaube, solche Statistiken können einen erschüttern, aber eben nicht auf längere Zeit. Und dann denkt man sich: Worum ging es dabei eigentlich?“

Interessant ist das Audiodrama auch, weil der Hörer selbst die Regie übernimmt. Durch den Weg, den er durch die Gedenkstätte Lidice wählt, kombiniert er auf eigene Weise die Szenen miteinander:

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„Man ist sozusagen sein eigener DJ: Jeder hört ein bisschen etwas anderes. Jeder Ort hat mindestens eine Szene, mancher Ort auch zwei. Man kann sich zudem entscheiden, ob man eine Szene weiterhören will oder direkt weitergeht – und zwei Szenen können sich auch kreuzen.“

All das funktioniert mit der Hilfe von Smartphones, die man sich beim Eintritt ins Museum von Lidice ausleihen kann. Die Szenen selbst werden mithilfe eines digitalen Markers erkannt, der sich an den jeweiligen Orten befindet.

Die Smartphones für das Audiodrama liegen ab dem 9. Juni, dem Gedenktag des Massakers von Lidice, für die Museumsbesucher bereit. Zuerst wird das Audiodrama auf Deutsch und Tschechisch, später aber auch auf Englisch zur Verfügung stehen.